Silber. Hans.Joachim Steigertahl
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Heinrich, Markgraf von Meißen, dagegen hatte als junger Ritter erst im Jahr zuvor, nachdem Heinrich Raspe aus dem Haus der Ludowinger ohne Erbe verstorben war, im Kampf mit den Luxemburgern den Sieg davon getragen und die Landgrafschaft Thüringen für das Haus Wettin gewonnen. Ohne die Hilfe seiner lothringischen Vettern wäre er sicher nicht erfolgreich gewesen, da deren Heer die luxemburgischen Stammlande in Schach hielt und er die nach Thüringen entsandten Truppen aufreiben konnte, ohne dass Nachschub an Kämpfern drohte. Noch immer gab es vereinzelte Adlige, die Widerstand zu leisten versuchten, aber sein getreuer Marschall, Graf von Hohnstein, hatte Ruhe in der ganzen Landgrafschaft erzwungen. Als dann die Einladung Jean de Beaumonts ihn erreichte, ihn zum Hoftag in Pontoise zu begleiten, war er froh, den Scharmützeln zu entkommen und sich unter die Fürsten des Abendlandes mischen zu können. Der Gedanke, an einem Kreuzzug teilzunehmen, hatte ihm fern gelegen – dazu war die Lage in Thüringen viel zu unsicher, aber die Begeisterung der tausenden von Rittern in Pontoise hatte ihn zu dem unüberlegten, und wie er jetzt schon ahnte, unguten Eid verleitet. Konnte er Hohnstein so lange alleinlassen? Würde er diesen Eid nicht schon bald bitter bereuen?
Jean reichte „Henri“, wie er ihn nannte einen Becher und gemeinsam tranken sie auf die Abendteuer, die ihnen bevor standen. „Ist es nicht toll, wenn Du jetzt schon weißt, dass alle Sünden, die Du begangen hast und die Du noch begehen wirst, dadurch gesühnt sein werden, dass Du Dich in ein Abendteuer stürzt? Und das soll genauso verlaufen, wie die vielen andern, die wir bisher gemeinsam bestanden haben. Erinnerst Du Dich noch an die Herbstjagd, irgendwo nördlich Deiner Grafschaft? Wir hatten den ganzen Tag ein Rudel Hirsche verfolgt und kamen abends in irgendeinem Ort mit unaussprechlichem Namen an, wo wir im Haus eines Bergwerkbesitzers Unterschlupf fanden.“ „Oh, ja, ich weiß genau,“ entgegnete Heinrich nun grinsend. „Der Ort heißt Clausthal und der Mann schien unermesslich reich an weltlichen Gütern, war aber nicht gerade eine Zierde der Menschheit! Du hattest im Lauf des Tages einen kapitalen Hirsch erlegt, der fast so stank wie unser Gastgeber – vom Hirsch haben wir nur das Geweih mitgenommen, und mir war eine junge brunftige Hirschkuh vor den Speer gelaufen, die wir die Knechte aufladen hießen, und mit der wir unser Nachtlager bezahlt haben. Wenn der Mensch gewusst hätte, wie brunftig wir waren und wie brunftig seine Frau und seine Tochter – ich glaube, den Hirschbraten hätte er lieber nicht gegessen!“ „Und siehst Du, Henri, das ist ab jetzt keine Sünde mehr, sondern frommes Tun!“
Lemesós (Limassol), Zypern, September 1248
Genuesische Galeere um genuesische Galeere lief in den Hafen von Lemesós ein, entlud ihre Ladung aus Rittern, Knappen, Knechten, Pferden, Rüstungen, Waffen, Mätressen, Nahrungsmittel, Weinkaraffen….. Was immer das riesige Kreuzfahrerheer brauchte, musste herbeigeschafft werden, und die Republik Genua konnte ihre Schiffe nicht besser einsetzen als zum Transport all dieses – auch wenn jedes hundertste Schiff als Spende umsonst fuhr!
Für die meisten Kreuzfahrer, gleich welchen Standes, war die Überfahrt unangenehm gewesen – das Schwanken des Schiffs auch bei ruhigem Wind, die Enge, der Gestank, das ständige Getrampel der Tiere, das meist brakige Wasser, das eintönige, nur aus Getreidebrei bestehende Essen morgens, mittags und abends. Für einige hundert Ritter und ihr Gefolge war die Überfahrt allerdings bereits das Ende des Kreuzzuges geworden.
Ein Verband von 10 Galeeren, wie immer begleitet von zwei wendigen, schwer bewaffneten Zweimastern der genuesischen Marine, war östlich von Syrakus in einen schweren Sturm geraten. Die Wellen waren so gewaltig, dass die Ruder wie Zweiglein brachen. Der eine Zweimaster verlor beide Masten und trieb nach wenigen Minuten kieloben über einen Wellenkamm, der andere ritt, nur mit der Fock segelnd, den Sturm unter dem Schutz der Küste Siziliens aus und brachte später die Nachricht nach Lemesós, dass alle zehn Galeeren gesunken seien – und mit ihnen ein fast unersetzlicher Truppenteil.
Jean de Beaumont fluchte gotteslästerlich, als er im Zelt König Ludwigs die Neuigkeit vernahm. Der Kreuzzug, zu dem er mit solcher Freude aufgebrochen war, hatte in den wenigen Wochen seit dem Kreuzeid seine Stimmung schwer getrübt. Als Kämmerer des Königs sah er die Ströme an Gold und Silber durch seine Hände fließen, die nötig waren, um nur die Kosten des Hofes und den Transport zu bezahlen – die Ritter mussten für sich und ihr Gefolge selbst aufkommen. Und die Beschaffung der Münzen aus Franzreich war jedes Mal ein gewagtes Spiel, denn längst hatte sich unter den Piraten herumgesprochen, dass die Schätze Franzreichs in Säcken in ihrer Nähe herumsegelten. Wenn dann auch noch viele Kämpfer gar nicht am Etappenziel ankamen, schwächte das die Kampfeskraft und den Kampfeswillen. Schlimmer aber war, dass der König den Genuesern zusagen musste, dass er für mögliche Verluste aufkommen würde. 10 Galeeren und eine Brigantine würden ihn mehr kosten als die Verpflegung des ganzen Heeres für einen Monat – und es war schon Herbst!
Heinrich von Meißen sah seinen Freund an und wusste, dass er jetzt die Seite des Freundespaares sein musste, diefür die schöneren Seiten des Lebens zuständig war. „Lass das Geschimpfe, Jean. Wir sind um unseres ewigen Lebens willen hier, und das Geld, das verloren ist, war doch sowieso nicht Deines! Lass uns dieses Zeltlager wenigstens heute Abend einmal verlassen und uns im Städtchen vergnügen!“ „Du hast Recht! Genug des Ärgers für heute. Komm, wir kleiden uns wie einfache Soldaten und nehmen nur ein Beutelchen mit meinem Geld mit.“ Gesagt, getan. Der treue Gernot blieb zurück mit dem Auftrag, beide Rüstungen zu reinigen und für Nachschub an Wein und Käse zu sorgen.
Als sie das Lager verlassen hatten, sagte Jean: „Eine gute Idee von Dir, Henri. Wir haben bisher noch nicht ein einziges Mal über die Stränge geschlagen – und das, wo uns unsere zukünftigen Sünden doch bereits vergeben sind! Pierre La Motte hat neulich im Zelt des Königs Ludwig von einer Kneipe gesprochen, die noch so unter byzantinischem Einfluss steht, dass sie sauber ist, aber Zicklein vom Feinsten und vorzüglichen Wein serviert. Und was Pierre sonst noch so erzählte - lassen wir uns überraschen.“
Wie von selbst führte sie der Weg vom Lager gleich hinter dem Hafen den Hügel hinauf in die Richtung der Hochburg. Das geschäftige Treiben und die Verschiedenheit der Menschen beeindruckten Heinrich immer wieder. Ein bärtiger, dunkelhaariger Fischverkäufer mit blauen Augen hatte seinen Stand neben einem Obsthändler, der ganz offensichtlich afrikanischen Ursprungs war und für den Thüringer unbekannte Früchte lauthals anpries. Auf zweirädrigen Karren wurden Waren von Männern transportiert, die so mancher Erzählung in den trauten Winternächten entsprungen zu sein schienen: hochgewachsener Berber mit ihren blauen Turbanen überholten sehnige, aber viel kleinere Araber in ihren wehenden Gewändern, beide machten einem offenbar wohlhabenden Juden Platz, der durch seine Kopfbedeckung, die Kippa, und seine Schläfenlocken ganz eindeutig als orthodoxer Jude gekennzeichnet war, selbst wenn das wegen seines Gesichtsschnittes nicht nötig gewesen wäre. Sein Knecht, der den Karren schob, war unzweideutig ein Sklave aus Nordeuropa. Osmanen, Griechen, Italiker, Berber, Nubier, Ägypter – Lemesós war wahrhaftig ein Schmelztiegel der Völker. Und wie überall in von Christen beherrschten Gegenden des Orients mischten sich verschleierte wie unverschleierte Frauen und Mädchen in das Gewühl, während die Kinder zwischen den Erwachsenen herumwuselten. Die Mischung aus orientalischem Handel, dem Durcheinander von Religionen und Kulturen und der dominanten Anwesenheit von vor allem französischen Knechten und Knappen machten aus der verschlafenen Hafenstadt, die erst durch Richard Löwenherz, der hier während des dritten Kreuzzugs geheiratet hatte, bekannt geworden war, einen brodelnden Kessel aller menschlichen Eigenschaften. Raub, Erpressung, Todschlag, Mord, Vergewaltigung waren hier genauso an der Tagesordnung wie Hilfsbereitschaft, Almosen, Dankbarkeit und Hingabe.
Als die beiden fast auf dem Hügel angekommen waren, zeigte Jean auf eine kleine Gasse, die halblinks wieder den Hügel hinabzuführen