Silber. Hans.Joachim Steigertahl

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Silber - Hans.Joachim Steigertahl

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zeigte, dass es sich hier um mehr als eine Mauer handelte. Auf Jeans Pochen hin wurde der eine Torflügel einen Spalt weit geöffnet und ein finsterer, riesiger Bursch mit Vollbart und dem Krummschwert an der Seite musterte sie. „Kein Eintritt für Knechte und anderes minderwertiges Volk“ fasste seinen Eindruck von den beiden, die eintreten wollten, zusammen und er versuchte, den Torflügel wieder zu zudrücken. Jean stellte seinen stiefelbewehrten Fuß in den Türspalt fingerte nach seinem Beutel und drückte dem Riesen eine Münze in die Hand. Der schaute das Geldstück nicht einmal an, sondern ließ seinen Daumen über die Oberfläche gleiten, öffnete mit einem schiefen, aber wohlwollenden Lächeln die Tür und sagte: „Oh, die Herren sind verkleidete Ritter – eine gute Vorsicht! Herzlich willkommen im Lemesós.“

      Sie traten durch das Tor und kamen in einen kaum beleuchteten Gang; in den Nischen der dicken Festungsmauer standen Statuen fremder Götter und vor allem Göttinnen, die vom Aussehen her wenig mit Küchenfeen zu tun hatten. Am hinteren Ende des Ganges tat sich eine Türwölbung auf, durch die helles Licht fiel. Jean und Henri traten durch diese Wölbung und standen in einem Innenhof: an allen Seiten gab es Säulengänge, in der Mitte plätscherte ein Springbrunnen und Heinrich stellte mit einem Blick an den Himmel erstaunt fest, dass der ganze Hof mit einem festen Dach überdeckt war. Das Licht, das sie bemerkt hatten, kam von Fackeln, offenen Feuerschalen und Kerzen, die in den beiden Etagen der Säulengänge geschickt verteilt waren, dass das ganze Atrium erleuchtet, aber nicht allzu hell war. Rund um den Springbrunnen waren Tische so platziert, dass zwischen ihnen und dem Brunnen ein gewisser Abstand eingehalten war. Überall standen große Tontöpfe mit blühenden Pflanzen, die Tische waren mit weißen Leinendecken gedeckt, die Stühle und Bänke mit Kissen gepolstert, über allem schwebte der Duftreifer Feigen, wie er so typisch für Zypern war. Sowie die beiden Ritter den Torbogen durchschritten hatten, näherte sich ihnen ein barfüßiger Junge in roten, knielangen Pluderhosen und einem weißen Überwurf und bat sie wortlos mit deutlichen Gesten darum, ihnen einen Platz anbieten zu dürfen, von dem aus sie die Darbietung auch gut verfolgen könnten. Erst da wurde ihnen bewusst, dass das regelmäßige Viereck des Hofes von einer etwas erhöhten breiten Stufe unterbrochen wurde, die ganz offensichtlich als Bühne gedacht war. Jean und Heinrich wählten einen Tisch, der etwas abseits stand, so dass sie sehen konnten, ohne allzu genau gesehen zu werden. Kaum hatten sie sich gesetzt, brachte der Junge weißes Brot und ein Tablett mit vielen kleinen Tellern, auf denen viele kleine Happen von Fleisch und Fischgerichten dekoriert waren. Diese Meze, eine typische Landesspeise, gab einen Querschnitt über die kulinarischen Spezialitäten: frisches, knuspriges Brot, eingelegtes Gemüse, Jogurt mit Minze, Sesampaste, Fischpastete, Hackfleischbällchen, Oliven, Schafskäse, gebratenen Fisch und vieles mehr; dazu ein Krug mit kühlem, gewürztem Weißwein und edle Pokale.

      Sie schauten sich um und stellten fest, dass etwa die Hälfte der Tische bereits besetzt war, obwohl es noch früh am Abend war. Die Gäste waren – Lemesós entsprechend – höchst unterschiedlich: An einem Tisch tafelten bereits Kreuzritter, die ihrem Dialekt und ihrem Gelärm entsprechend aus der Provence zu kommen und sich mit diesem Kreuzzug dem Kampf um ihre Heimat gegen England zu entziehen schienen; an einem weiteren Tisch saßen zwei in edle Stoffe gehüllte Araber, die tafelten, und vier Frauen, die völlig in glänzende, dunkelblaue Schleier gehüllt waren und deswegen auch weder essen noch trinken konnten; ein dritter Tisch war Tafel für eine Runde fröhlicher, zechender Ritter, die von Sprache, Kleidung und Verhalten wohl als Überreste derjenigen Kreuzritter einzuordnen waren, die im letzten Jahr von den Muslimen aus Palästina vertrieben worden waren und nun Zuflucht auf Zypern gefunden hatten; vor den beiden Freunden saß eine Runde von Kaufleuten aus vieler Herren Länder, die – nach ihren eigenen, lauten Bemerkungen - vor allem einen guten Blick auf die Bühne und viel zu Trinken haben wollten. Ganz am Rande drängten sich genuesische Seeleute an einem Tisch, genau beobachtet von der Besatzung einer venezianischen Brigantine.

      Der Junge kam, schaute auf die Teller und machte deutlich, dass er gern mehr bringen würde. Jean winkte ab und bestellte gegrilltes Zicklein. Der Junge verneigte sich und verschwand. Die beiden nutzten die Pause zu einem kurzen Austausch im lothringischen Dialekt, von dem sie sicher waren, dass keiner der Anwesenden ihn verstehen würde: „Was hat Pierre La Motte gemeint, dass es hier mehr gibt als gutes Essen?“ „Ich weiß es nicht, gerade als er es erklären wollte, kam der König dazu, aber die Meze sind auf jeden Fall schon mal das Beste, was ich in den letzten vier Wochen zu essen bekommen habe.“ „Schau mal zu dem Tisch mit den Arabern – kommt es Dir nicht seltsam vor, dass die Männer Frauen mit in ein öffentliches Gasthaus bringen – und dann auch gleich vier?“ „Du hast Recht, aber verstehe einer die Muselmänner!“

      Bevor Heinrich antworten konnte, erklangen Lauten und von beiden Ecken der Längsseite traten als Araber gekleidete Musikanten auf die erhöhte Stufe und begannen eine Melodie zu spielen, die den beiden Freunden völlig unbekannt war, sie aber an ein süßes Sehnen erinnerte. Der Lärm im Hof klang ab, alle schienen die gleiche Wirkung zu spüren und begannen, auch in sich hinein zu hören. Als die Lautenspieler endeten, gab es keinen Applaus, die entstandene Stille dauerte ein wenig an und wurde erst unterbrochen, als die Kaufleute nach mehr Wein riefen. Jean und Heinrich hatten ihre Meze vertilgt und baten ebenfalls um einen weiteren Krug Wein, als der Junge die Zicklein brachte. Sie waren mit Rosmarin gewürzt, hatten eine köstliche knusprige Kruste und einen so intensiven Geschmack, dass den Beiden das Gespräch nicht weiter wichtig war.

      Auf dem Podium erschien ein Gaukler, wie man sie in allen Städten zu sehen bekam: behängt mit Musikinstrumenten, Fratzen ziehend und mit Bällen jonglierend. Er schien mit sich selbst zufrieden und spielte so vor sich hin, bis alle Gäste das Hauptgericht verzehrt hatten. Dann aber stand er auf, legte sich, auf einen Ellbogen und ein Bein gestützt auf die Bühne und begann – Feuer zu spucken! Die Seeleute beider Städte schrien auf, die Kaufleute erstarrten, nur die Ritter behielten ihre Haltung. Ohne Worte gelang es dem Gaukler, den Kampf zwischen einem edlen Sohn Zyperns und dem Drachen darzustellen, indem er immer wieder blitzschnell die Position änderte und durch kleine Veränderungen seiner Kleidung die Rollen deutlich machte. Als der Drachen dann zum letzten Mal Feuer spuckte und der siegreiche Zypriot sich über ihm erhob gab es Beifall von allen Tischen.

      Der Junge räumte die Teller mit den abgenagten Knochen ab, brachte Trinkschalen und Krüge mit anderem Wein und servierte nacheinander wieder allen Gästen ein Tablett, das reich gefüllt war mit süßen Teigtaschen und eingebackenen Mandeln; beides triefte von Honig und duftete nach vielen Gewürzen; der Wein dazu war rot, schwer und süß.

      Die Akkorde eines dreiseitigen Saiteninstruments klangen auf, der Musiker setzte sich auf die rechte Seite der Bühne und lockte durch einen besonderen Akkord einen Flötenspieler dazu, der mit seinen Tönen der Melodie des ersten zu folgen suchte; als beide ihren Rhythmus und Klang gefunden hatten, kam ein Männchen und setzte sich in der Mitte der erhobenen Plattform an den Rand; sein Instrument schien eine umgekehrte Amphore zu sein, aber die eigentlich offene Seite war mit einer Tierhaut bespannt und durch unterschiedliches Antippen des Trommelfells erreichte der Alte die Klangfülle vieler Instrumente. Als er sich in den Rhythmus eingespielt hatte, sprangen Männer über die Plattform in den Kreis rund um den Springbrunnen; sie hatten nackte Oberkörper, trugen weite Röcke bis zum Boden und auf den Köpfen balancierten sie Tabletts mit Kerzen. Als die Musik schneller wurde, fingen sie an, sich um die eigene Achse zu drehen und dabei doch den Raum um den Springbrunnen durch weiter kreiselnde Bewegungen zu füllen. Immer schneller wurde der Rhythmus der Musik, immer schneller drehten sich die Tänzer und schienen durch ihre Geschwindigkeit das Licht zum Erlöschen zu bringen.

      Heinrich erschrak fast, als er spürte, wie in diesem Wirbeln von Noten und Körpern jemand seine rechte Hand zart anfasste; neben seinem Ohr sagte eine vibrierende Stimme auf Französisch: „ Kommen, Sie mein Herr. Ich möchte Ihnen das Besondere des Λεμεσός zeigen.“ „Aber ich weiß nicht – was ist das? Kann ich das? Die Kosten…“ Nun hörte er ein leises Lachen und eine aufflackernde Feuerschale erlaubte ihm einen Blick auf seine Gesprächspartnerin zu werfen: Es war eine der blauverschleierten Frauen, die mit den arabischen Vornehmen zu Tisch gesessen hatten. „Nur keine Bange! Meine Freundin kümmert sich um deinen Freund und unser

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