Silber. Hans.Joachim Steigertahl

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Silber - Hans.Joachim Steigertahl

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nach Luv zurückzogen, wo ihr kleines Boot, mit dem sie sich angeschlichen hatten, festgemacht war. Aber bevor sie über Bord gingen, erledigte der Sturm ihr Werk: Der Kreuzritter verfehlte in einer plötzlichen Orkanböe wieder einmal einen Piraten, sein Schwert verfing sich in dem Tau, mit dem Gernot und Heinrich gefesselt waren, durchschnitt es und blieb in der Bordwand stecken. Durch das plötzliche Bremsen seines Hiebes stürzte der Johanniter und lag schwertlos im eingedrungenen Wasser. Diesen Moment nutzte einer der Piraten und hieb ihm mit seinem Krummsäbel mit einem Schlag erst den Schwertarm, dann mit einem zweiten den Kopf ab. Jetzt brachen die anderen über die Johanniterknechte herein. In kürzester Zeit waren sie besiegt, getötet und über Bord geworfen. Während des Kampfes war das Rahsegel am Hauptmast vom Sturm zerfetzt worden, aber unter der Besanrah lief das Schiff unter dem Wind zur Küste, und als sie aus dem Sturm heraus in den Windschutz der Küste kamen, zielte der Pirat am Steuerruder auf eine Bucht, die hinter Vorbergen und Klippen fast verborgen war. Die gespenstische Ruhe an Bord, die eingekehrt war, nachdem das Heulen des Sturmes und das Tosen des Gewitters vorbei war, enthüllte, wie es um die Sambuke stand: das Schiff war unversehrt, der Kaufmann und Landgraf Heinrich waren verletzt, aber nur leicht; die Knechte des Kaufmanns und Genot waren unverletzt, weil man sie geschont hatte, damit sie weiter schöpfen konnten. Als Heinrich sich mühsam aufrappelte, um gleich wieder an die Bordwand gebunden zu werden, sagte Gernot zu ihm: „Für uns ist es doch egal, wer gesiegt hat, wir wollen doch nur nach Hause! Ich hole Eure Waffen und die Rüstung, und dann werden wir sehen, was geschieht!“ Heinrich nickte nur und Gernot stieg, von den Piraten, die sich um das Tauwerk kümmerten, unbehelligt in die Kajüte hinauf. Als er das Kettenhemd, Schwert, Helm und Wappenmantel sah, wusste er, dass er das nicht auf einmal tragen konnte und streifte sich deshalb Hemd, Helm und Mantel über. Als er so gewandet aus der Kabine trat, brüllte der Anführer der Piraten, der am Steuer stand, lachend: „Was haben wir denn da noch für einen seltsamen Vogel? Der wird uns viel Lösegeld einbringen. Und dabei wollten wir doch nur das Geld für die Galeeren - umso besser, Männer, ab jetzt ist genug Geld da für ein Fest an jedem Tag!“ Während die Piraten jubelten, schaute Gernot zu Heinrich, der ihn anstarrte und dann nickte.

      In der Bucht angekommen, wurde das Schiff entladen, der Kaufmann wurde in Ketten gelegt und in ein kleines Boot verfrachtet, das ihn nach Venedig bringen sollte, damit der Rat der Stadt das Kupfer zurückkaufen könnte; die Knechte und der vermeintliche Diener Heinrich mussten mit an Bord – als Ruderknechte, wenn es nötig würde. Gernot wurde gefesselt an Land gebracht und in diesen Kerker verschleppt, in dem er seitdem saß; ein Bote mit Lösegeldforderungen war auf dem Weg nach Erfurt!

      Wenn Landgraf Heinrich viel Glück hatte, kam er überhaupt nach Hause zurück, aber sicher nicht vor dem Boten. Und was geschehen würde, wenn tatsächlich Lösegeld bezahlt würde und dann käme er, Gernot, anstelle von Heinrich nach Erfurt – und Heinrich selbst wäre nicht da, um zu erklären, was geschehen war… „Wie kann man nur so ein Esel sein – ich hätte das ganze Zeug liegen lassen sollen, statt den treusorgenden Diener zu spielen!“

      Er richtete sich mühsam auf und schleppte sich zu der kleinen Schießscharte, die seinen einzigen Ausblick nach draußen möglich machte. Wie immer – kahle Felsen, das Meer, mal schwarz, mal blau, der Himmel über der Bucht, selbst jetzt im Spätherbst meist blau; irgendwo schien fast immer die Sonne, aber er sah sie eigentlich nie; offensichtlich zeigte die Öffnung ziemlich genau nach Norden. Gedankenverloren sah er hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Das Bild hatte sich in den letzten Wochen so eingeprägt, dass er es sicher niemals mehr vergessen würde.

      Andererseits musste er zugeben, dass es Schlimmeres gab als Gefangenschaft bei Piraten, die auf Lösegeld hofften: er wurde nicht allzu schlecht behandelt, denn eine tote Geisel bringt nichts mehr ein, er erhielt ausreichend Essen und Wasser, fing an, in der beschäftigungslosen Zeit alle möglichen Rätsel zu erfinden oder die heimischen Methoden der Feldarbeit und des Erzabbaus im Kopf zu verbessern, versuchte, beweglich zu bleiben, nur die Kälte, die immer schärfer wurde und die Nässe des Gemäuers setzten ihm sehr zu. Sogar eine Art Zeitrechnung konnte er machen, denn die Piraten waren alle sieben Tage so besoffen, dass sie ihn nicht versorgten; damit konnte er zählen, wie viele Wochen er wohl schon hier saß, nicht ganz genau, denn am Anfang hatte er den Rhythmus noch nicht verstanden, aber es mussten sieben oder acht Wochen her sein, seit er gefangen genommen worden war…

      Was war das? Eine Bewegung in seinem Gesichtsfeld ließ ihn aufmerksam werden. Das war nicht das Piratenboot, das hatte er oft genug gesehen in diesen Wochen, meist vollbeladen zurückkehrend und manches Mal mit einem erbeuteten Schiff. Diesmal sah er nur eine Mastspitze, an der der Wimpel der genuesischen Flotte flatterte. Und dann erfüllte Lärm die sonst so ruhige Bucht: Geschrei und dumpfe Schläge wechselten sich mit Kommandos ab, es flackerte, als wenn ein Teil der Burg brennen würde, und mit einem Krachen flog die Tür seines Kerkers auf: „Gernot von Steigerthal? Oder auch Heinrich, Markgraf von Meißen, Landgraf zu Thüringen?“ Vor ihm stand ein Mann in Kettenhemd mit Armschienen und Helm, dessen Visier er eben hochklappte. „Ich bin Bartolomeo Sforza, Kommandant der genuesischen Brigantine ’La Spezia‘ und soll Euch hier rausholen!“ Ein Grinsen ging über das Gesicht des Genuesers:“Das hättet Ihr nicht erwartet, was?“ Gernot blieb wie erstarrt an der Schiesscharte stehen, den Blick auf Bartolomeo gerichtet. „Euer Herr, Heinrich, ist ja als Ruderknecht nach Venedig gekommen und konnte im Gewimmel des Hafens fliehen. Auf dem Weg nach Mailand traf er meinen Bruder, Gabriele Sforza, den er als Käufer thüringischen Silbers und als Waffenlieferant gut kannte und erzählte ihm, was geschehen war. Da Heinrich Gabriele einmal aus einem Hinterhalt in eurem Gebirge, Herz oder Harz oder so, herausgehauen hatte, war es für meinen Bruder eine Selbstverständlichkeit, Euch und die ehrwürdige Rüstung hier ebenfalls herauszuhauen. Also hat er mich hierher geschickt, und es gelang uns, die Piraten nach ihrem eigenen Muster zu überraschen, als sie nämlich alle besoffen waren. Deshalb gab es nur wenig Gegenwehr, wir haben genügend Beute, um die Fahrt zu bezahlen, die Piraten verkaufen wir bei Pescara an Sklavenhändler und Euch bringen wir nach Ancona, von wo aus Ihr relativ sicher nach Thüringen kommen könnt.“

      Steigerthal, Thüringen, Frühjahr 1316

      „Hat dich die Vorstellung, Cuno bald wegzugeben zu müssen, so erschreckt, dass du nicht einmal dein vorzügliches Essen kosten kannst?“ fragte Gernot. „Ja“, war die einsilbige Antwort, „Weiß er schon davon?“ „Seit vorhin.“ Die Gedanken wirbelten in Adas Kopf. Sie kannte natürlich all die Geschichten vom Kreuzzug, der Befreiung Gernots und auch, wie dieser in Erfurt empfangen wurde, als er die Rüstung zurückbrachte und sie seinem unterdessen unversehrt heimgekehrten Herren übergeben konnte: Heinrich war so bewegt, dass er etwas tat, was seiner Umgebung und dem ganzen thüringischen Adel Gesprächsstoff für Jahre gab: Er bat Gernot, niederzuknien, schlug ihn zum Ritter und belehnte ihn mit dem Weiler Steigerthal, der nach dem Tod des alten Ritters an Heinrich zurückgefallen war, worauf ihm Gernot die Treue schwor. Die anwesenden Adligen murrten und klagten, dass Gernot schließlich eigentlich leibeigen sei und nie von ihnen als gleichwertig aufgenommen würde, aber Heinrich blieb stur, auch wenn er versuchte den anderen Rittern klar zu machen, dass das Lehen, das nur aus dem Weiler Steigerthal und das ihn umgebende Tal bestand, für keinen der anderen Adligen einen Verlust bedeuten würde. Für diese Ritter ging es nicht um weltliche Güter, sondern um Ehre, Reinheit des Blutes und Traditionen. Gernot aber wusste, dass der Name des Lehens – der ja jetzt auch sein Name war – eine tiefere Bedeutung hatte: An den Berghängen des Tals gab es einzelne Aufbrüche und Stollen, in denen die Dorfbewohner in ihrer kargen Freizeit Gestein ausbrachen, das sie mit Schmiedehämmern zerschlugen und in Holzkohlefeuern erhitzten, so dass zumindest meistens eine kleine Pfütze geschmolzenes Silber übrigblieb. Der verstorbene Ritter von Steigerthal hatte schon einen Teil der wenigen Bauern aus dem Weiler von der Leibeigenhaft befreit. Sie gaben daraufhin den größten Teil der Landwirtschaft auf den wenig ergiebigen Böden auf und versuchten, ihren Lebensunterhalt mit dem Berggewerbe zu verdienen. Da sie bald Hilfskräfte beschäftigten, um das Gestein zu bearbeiten und selber in die Schächte stiegen, nannten sich die Bergleute Steiger. Dadurch waren die Ritter von Steigerthal wohlhabend geworden und deswegen war das Lehen keineswegs so unbedeutend, wie

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