Der Fluch. Michael Lindner

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Der Fluch - Michael Lindner

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Augen wurden stumpf und traurig, so wie zuvor auf der Veranda. Er ging ein paar Schritte zurück und ließ sich müde auf dem Stuhl nieder, der hinter ihm stand.

      „Wer ist Layla?“ fragte ihn Robin neugierig. „Kannst du mir von ihr erzählen?“ Doch Nuii hatte keine Lust zu reden. Missmutig blickte er die Muschel an, die er noch immer in der Hand hielt. Robin betrachtete ihn ein wenig mitleidig, dann ging er zur anderen Seite des Raumes, wo ein offener Kamin war, den er als Kochstelle benutzte. „Willst du Tee?“ fragte er ihn freundlich. Nuii nickte ihm zu.

      Robin begann mit dem Feuermachen. Es brannte schnell, wegen des trockenen Grases, welches schon bereitlag und dank der Zündhölzer, von denen ihm noch ein paar wenige übriggeblieben waren. Er stellte das Wasser auf und bereitete die Teeblätter vor, die er in mühevoller Arbeit zerkleinert und getrocknet hatte. Ab und zu warf er einen Blick auf Nuii, der ihm, im Stuhl sitzend, bei seiner Arbeit zusah. Nach einer Weile bemerkte er, dass sich seine Miene wieder aufgehellt hatte. Er wirkte deutlich besser als zuvor. Das Feuer knisterte bereits, das Wasser kochte langsam vor sich hin, da sagte Nuii auf einmal: „Vielleicht sollte ich dir doch von ihr erzählen.“

      „Ja, mach das unbedingt!“ ermunterte ihn Robin. Es packte ihn eine Leidenschaft, eine große Vorfreude auf seine Geschichte.

      Die Worte kamen Nuii anfangs nur zögerlich über die Lippen, doch schon bald wurde seine Erzählung immer lebhafter. Robin lauschte aufmerksam. Je länger Nuii redete, umso begeisterter war er und alles prägte sich so fest in seinem Gedächtnis ein, dass er die Geschichte noch am selben Abend, beinahe Wort für Wort in sein Tagebuch übertrug. Selbst die kleinsten Einzelheiten vergaß er nicht:

      Layla hatte nie Schminke aufgetragen. Ihr Haar war zurückgekämmt und einzelne schwarze Strähnen fielen in die Stirn. Ein wenig wild sah es aus, so wie ihre braunen Augen und das schmale Kinn mit dem markanten Grübchen, das ihrer Erscheinung das Eigentümliche gab, besonders wenn man sie von der Seite betrachtete. Sie war keine klassische Schönheit, aber ihr Blick zog ihn magisch an. Er hatte etwas Tiefes, so etwas wie Charakter oder Entschlossenheit. Er kannte sie schon länger und als sie das erste Mal nebeneinandersaßen, wandte sie sich ab, etwas scheu, als wollte sie nicht mit ihm sprechen. Sie drehte den Kopf so, dass er ihr Profil sah, ihre schönen Augen, ihre Augenbrauen, ihre Ohren, ihre Haut, die olivbraun war - anders als die Haut von Mischlingen - also nicht wie die Haut der Konbay oder der Ulahin. Ihr Ton war keine Mischung. Was ihre Gesichtszüge betraf, so waren diese eindeutig die einer Kowori Bantu - einer Wilden (selbst unter den Wilden gab es Wildere und weniger Wilde) - wenngleich einer sehr un-typischen Kowori Bantu, denn bislang kannte er Bantu - Frauen nur mit gelblich brauner Haut, einer Farbe, die heller war, als die der Frauen seines Stammes.

      Sie saßen in der hintersten Ecke einer großen, bescheidenen Hütte auf einem kleinen, altmodischen Diwan, den er irgendwann hierhergeschafft hatte, gleich neben der Feuerstelle. Der Tisch war zu hoch, selbst für ihn. Sie streckte den Rücken durch, hatte die Beine über Kreuz, sodass eine kleine Lücke in ihrem Rock zum Vorschein kam. Sie war zweifellos attraktiv. Ihre braune Haut, die Hände, ja vor allem die Hände und die Unterarme, die sie sich rasiert hatte, sodass feine schwarze Härchen hervorstanden, was aber nicht im Geringsten störte. "Woher kommst du ursprünglich?" fragte er sie.

      "Aus Weyal", antwortet sie. Abermals sah er ihr Profil von der Seite und jetzt, wo sie ganz nahe zusammengerückt waren, konnte er die eine und andere Unreinheit auf der Stirn und in dem kleinen Kinngrübchen feststellen. Ihre Hände waren ganz nahe an seinem Oberschenkel, wo sie ihn beinahe berührte, in einer Art Gebetshaltung zusammengefaltet. Es machte den Eindruck, als ob sie betteln würde. Ihr Blick, der seinen Oberkörper streifte bis zum Lendenschurz abwärts und wieder zurück hinauf, suchte Halt zu bekommen in seinen Augen, die unablässig wanderten, von ihrem Hals über die silbernen Ohrringe zu den kleinen weichen, wohlgeformten Ohren.

      "Ich brauche deine Hilfe!" flehte sie ihn an, gerade laut genug, dass er es verstehen konnte.

      "Du bist eine schöne Frau, du kannst alles von mir haben“, flüsterte er ihr ins Ohr, ganz nah zu ihr geneigt, mit seinem Mund knapp über dem Hals, sodass sie den Hauch seines warmen Atems spürte.

      Sie griff an sein rechtes Knie. "Du machst mich heiß", flüsterte sie.

      Er legte den Arm an ihre Taille, umfasste sie ganz, glitt unter das Kleid und streichelte ihre nackte, feste Haut. Ein wenig Babyspeck war da, gerade so viel, dass die Beckenknochen sich noch angenehm abhoben.

      *

      Der Tee war bereits fertig, als Nuii aufgehört hatte zu erzählen. Robin hatte ihn in einem alten Kessel gekocht. Er eignete sich hervorragend zum Kochen, fand er, denn er war groß, breit und passte ganz genau auf die Stellfläche aus zwei quadratischen Steinen. Die Tür stand noch immer offen. Die Sonne senkte sich bereits und der Tag neigte sich seinem Ende zu. Die Hitze wurde erträglich und es entstand ein angenehmer Luftzug, der von der Tür zu dem Fenster auf der anderen Seite wehte. Ab und zu konnte man sogar das Salz in der Nase und auf dem Gaumen spüren, das die an der Küste sich brechenden Wellen dem Wind auf seinen Weg mitgaben. Der Strand war von hier nur wenige hundert Meter entfernt. Robin saß auf dem alten Stuhl, der neben dem Kamin stand. Nuii hatte an seiner Seite Platz genommen, den Blick nach draußen gerichtet, auf die freie Fläche vor dem Haus, zu den gebogenen Stämmen der dahinter-liegenden Palmen und dem kleinen Waldstück. Robin sah ihn ungeduldig an. Es brannte ihm eine Frage auf den Lippen, die er ihm nur zu gern gestellt hätte: Warum hatte Layla seine Hilfe gebraucht?

      Nuii nippte vorsichtig den Tee aus einer silbernen Blechtasse. Er schien ihm zu schmecken. Zufrieden schlürfte er in kleinen Schlucken. Da fiel sein Blick auf den großen Kessel, der jetzt am Boden neben der Feuerstelle stand. Er war noch halb voll und eine Menge grünbrauner Teeblätter befanden sich darin.

      „Woher hast du diesen Topf?“ fragte er Robin.

      „Diesen Topf?“ fragte Robin überrascht, „ich habe ihn aus meinem Boot.“

      „Aus deinem Boot?“ fragte Nuii. „Wo ist dein Boot?“

      „Mein Boot liegt in der Bucht, in der Nähe der Lagune.“

      „Du bist mit deinem Boot gekommen“, sagte Nuii. „Woher?“

      „Ich bin aus Europa gekommen.“

      „Europa? Ich habe gedacht, du kommst von Australien.“ Er pfiff durch die Zähne und schüttelte den Kopf, dass die Kette klimperte.

      „Australien? Ja, da war ich eine Zeit lang. Doch eigentlich bin ich aus Europa“, sagte er und wollte schon erzählen von seiner Heimat, da hielt er auf einmal inne. Es beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Es war das gleiche wie vorhin, als sie auf der Veranda gestanden waren. Es kamen Gedanken an seine Vergangenheit, Erinnerungen an zu Hause, an Dinge, die er schon vergessen zu haben glaubte. Er sah Nuii an und bemerkte seinen neugierigen Blick. „Als ob durch ihn alles wieder zurückkommt“, dachte er. „Wie seltsam das ist.“ Er nahm eines der Teeblätter aus dem Kessel und begann daran herum zu kauen. Er überlegte, zögerte kurz und sagte dann: „Willst du das Haus sehen?“ Obgleich er Angst hatte, dachte er, dass ihn das vielleicht etwas ablenken könnte. Er schlug ihm vor, nach oben zu gehen, über die Treppe in das obere Geschoss, wo er schon lange nicht mehr war.

      Nuii schien erfreut von dem Gedanken. Er war geradezu begeistert, sprang auf und schob dabei unachtsam den Stuhl zur Seite, worauf der Teekessel umkippte und die braune Flüssigkeit mitsamt ihrem Inhalt den Boden übergoss.

      „Ich mache das gleich sauber“, sagte Robin schnell. Er nahm den Topf und trug ihn durch die rückwärtige Tür in seine Vorratskammer. Sie lag am Ende des Flurs neben dem Schlafzimmer.

      Als

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