Der Fluch. Michael Lindner
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Robin nahm Platz auf einem der Stühle. Er hatte sich noch nicht einmal hingesetzt, als die Dame von gegenüber aufstand, wortlos ihr Kästchen nahm und zur Türe hinausging. Er folgte ihr mit seinem Blick, da schnippte Johan mit dem Finger und aus dem Schatten in der Ecke des elfenbeinfarbigen Salonofens trat ein Mann, gekleidet im tadellosen, zweireihig geknöpften Frack mit heller Hose und einem Gesicht, so schwarz wie Ebenholz. Er trug ein silbernes Tablett, beladen mit allerlei exotischen Früchten und eilte geschäftig herbei.
„Bringt diesem Herrn etwas zu trinken. Rasch!“ befahl Johan mit ernster Miene. Er hatte seine Worte gar nicht fertig gesprochen, da zog einer der neben ihm sitzenden jungen Herren eine zusammengefaltete, weiße Landschaftskarte aus einer schwarzen Aktentasche und breitete sie vor ihm aus.
„Sehr schön Grässe, hervorragende Arbeit!“ lobte ihn Johan, fuhr mit dem Zeigefinger eine der eingezeichneten Linien entlang und tippte schließlich auf einen Punkt, worunter der Name „Moutua“ geschrieben stand.
„Hier“, intonierte er in gewichtigem Ton zu Robin gewandt, „hier liegt unser zukünftiger Handelshafen, nicht wahr, mein lieber Soloman?“
„Jawohl verehrter Herr!“ Der Angesprochene nickte kurz und die Bartstoppeln auf seinem Kinn kratzten mit jeder Bewegung des Kopfes an seinem mit Fischbeinstäbchen versteiften Hemdkragen, unter dem ein schwarzes, aufgeplustertes Satinhalstuch steckte. Gleich danach stand er wie auf ein geheimes Signal hin auf, schlug wie ein Soldat die Hacken zusammen und verließ geräuschlos den Raum. Der andere Herr mit kurzem, legerem Hemd und abgegriffener Kapitänsmütze, nahm auf einen scharfen Blick des Alten hin die Aktentasche zur Hand und fegte ihm geschmeidigen Schrittes hinterher.
Robin saß nunmehr mit ihm alleine am Tisch. Der Diener ließ sich nicht wieder blicken und im selben Augenblick der geräuschvoll ins Schloss fallenden Türe, schlug Johan die Karte zusammen, erhob sich und lotste ihn mit fächelnder Handbewegung auf den Balkon hinaus. Die orangerote Sonne versank soeben am Horizont, und tauchte die in der Ferne liegende Bucht in ein samtweiches Abendrot, als er mit der linken Hand, dicht an Robins Nase vorbei, auf ein, neben dem weit draußen gelegenen Strand, deutlich sichtbares, schmales Waldstück zeigte. „Dort, mein verehrter Herr, liegt Moutua, genießen Sie die letzten Augenblicke!“ Mit diesen Worten ließ er ihn stehen und verschwand im Inneren des Zimmers.
Robin blickte ihm verdutzt hinterher. Im gleichen Moment kam von rechts eine dicke, pechschwarze Dienstbotin über den Balkon in seine Richtung geschlurft. In der rechten Hand hielt sie eine geöffnete Gartenschere und in der linken einen bis zur Hälfte mit Blüten gefüllten Kübel. Um ihre Hüften flatterte eine knöchellange, mit Spitzen verzierte Schürze, die zwei Bindebänder um den voluminösen Leib schnürten. Auf dem Kopf trug sie eine weiße, flache Bäckermütze.
„Guten Abend!“ grüßte sie ihn freundlich, schnitt mit der Schere die Stängel der seitlich an den Blattstielen herabhängenden, abgestorbenen Blüten entzwei und ließ sie, eine um die andere, in den Plastikübel fallen. Eine besondere, ungewöhnlich große, rote Blüte war darunter, deren Form Robin an den Kopf des großen Vogels erinnerte.
„Warum diese auch?“ fragte er sie verständnislos und betrachtete sie mitleidig, wie sie ihm, am Kübelrand liegend, die riesenhaften Staubblätter aus dem weit geöffneten Blütenkelch entgegenstreckte.
„Weil sie stinkt!“ erwiderte sie in harschem Ton, klappte die Schere zusammen und trat vom Balkon. Kurz glaubte er einen Verwesungsgeruch bemerkt zu haben, als sich die Frau schnaubend an ihm vorüber schob. Er warf noch einen schnellen Blick auf den in der Dunkelheit verschwindenden Ozean und folgte ihr dann nach drinnen, wo es bereits dämmrig war. Der weiße Schürzenzipfel verschwand gerade hinter dem Türstock und er hörte sie noch die Holztreppe hinab trampeln. Dann war alles still.
Als er nach draußen in den Korridor kam, sah er, dass unter einer der Türen hindurch einen Spalt breit Licht fiel. Er ging daran vorbei, zum Geländer hin. Irgendjemand hatte die Kerzen angezündet. Ihr flackernder Schein warf riesenhafte Schatten an die getäfelten Holzwände. Langsam stieg er die knarrende Treppe hinab, schlich an den grimmigen Blicken der Männer auf den Bildern vorbei, zurück zum Durchgang, der in das Schlafzimmer führte. Der Vorratsraum war hell erleuchtet. Er trat darauf zu. Entsetzlicher Gestank stieg in seine Nase. Über den Regalen brannten zwei Wandfackeln und darunter stand, neben all den Kokosnüssen und dem gedörrten Fleisch, der schwarze Plastikkübel der Dienstbotin. Die große, rote Blüte hing über den Rand hinunter. Mit zugehaltener Nase besah er die borstigen schwarzen Härchen, die den dicken, gebogenen Stiel überzogen, die dunkelgrünen Blätter, die daraus entwuchsen und trompetenförmig weiterliefen bis zum Rand, wo sie dunkelrot gefleckt waren. Er ging in die Knie, und warf von unten einen Blick hinein in die Öffnung. Es schimmerte violett daraus hervor und an den Seiten verliefen drei wulstige Leisten bis zum Boden der Kanne, wo sich kleine Fangarme sternförmig rund um eine weiße Rosette rankten. Er senkte den schwer gewordenen Kopf, hob ihn abermals, da öffnete sich lautlos der helle Fleck, gab ein dahinterliegendes schwarzes Loch frei und schloss sich wieder.
Erschrocken torkelte er zurück, sprang auf und drückte gegen die Türe. Sie gab nicht nach. Jemand stemmte sich von außen dagegen. Ein schwarzer Unterarm tauchte kurz auf, und er schrie und drückte, aber seine Kraft reichte nicht aus. Die Türe fiel ins Schloss und der eiserne Riegel schob sich geräuschvoll in die Verankerung. Er ließ sich zitternd zu Boden sinken, blickte nach oben und sah die Umrisse des Blütenkopfes größer werdend langsam auf ihn zukommen. Grauenhafter Gestank hüllte ihn ein, vernebelte seine Sinne. Schwindel befiel ihn. Dunkelrote Flecken verschwammen vor seinen Augen, alles wurde schwarz, der noppige Schlauch kratzte an beiden Wangen und stülpte sich schabend über ihn. Eine bittere, klebrige Flüssigkeit rann aus den Poren, füllte seine Nase und den Mund. Die Arme und Beine wurden steif und es sog ihn wie ein betäubtes Insekt in den Trichter hinein, bis der Kopf stecken blieb und die Luft immer weniger wurde. Er atmete nur noch ruckartig, das Herz flog kraftlos und er spürte einen dumpfen Schlag in der Brust.
Da erwachte er schreiend, den offenen Mund auf den Unterarm gedrückt. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
*
Der nächste Morgen brach an und Robin weckte das Vogelgeschrei, so wie jeden Tag. Er hatte ein eigentümliches Gefühl und alles, was geschehen war, machte ihm den Anschein, als wäre es ganz unwirklich. Mit Schaudern erinnerte er sich an den Traum, aber sofort fiel ihm Nuii ein. Müde schleppte er sich die Treppe hoch, den Gang entlang und trat auf den Balkon. Ein paar Meter weiter war er gesessen.
„Vielleicht ist er gar nicht mehr da“, dämmerte es ihm. „Er konnte doch nicht hier geschlafen haben.“
Er rief ihn, aber es kam keine Antwort und auch da, wo die Fackel eingezwängt war, zwischen den zwei Holzstreben am Balkon, war nichts von ihm zu sehen, nicht die geringste Spur.
„Womöglich ist er ja draußen“, sagte er zu sich selbst. Er ging die paar Stufen hinunter auf den großen Platz, bis zurück zu den Palmen. Aber auch dort war er nicht. Robin war beunruhigt. Er fragte sich, wo er geblieben sein konnte. War er etwa davongelaufen ohne ihm ein Wort davon zu sagen? Er wollte es nicht glauben. Er hielt es einfach nicht für möglich. „Er hatte ihm schließlich das Leben gerettet“, dachte er. Er hatte ihn bei sich aufgenommen. So etwas tut man nicht, war er sich sicher.