Der Fluch. Michael Lindner
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„Gechartert?“ fragte Nuii.
„Ja, gemietet, ausgeborgt!“ Robin wollte nicht zugeben, dass er das Boot gestohlen hatte.
„Ich habe das Boot aufgehoben. Ich werde es wieder zurückgeben, wenn ich wegfahre von hier“, sagte er.
Nuii pfiff durch die Zähne und schüttelte den Kopf, dass die Haifischkette schepperte.
„Du hast ein Boot gestohlen?“
Robin war nicht mehr wohl. Er setzte sich auf den Boden des Balkons. Nuii blieb stehen und sah zu seinem, von der Dunkelheit verborgenen Gesicht hinab. Dann hörte er, wie er ganz leise sagte:
„Ich liebe sie noch immer.“
„Wen liebst du? Deine Frau oder deine Freundin?“ fragte Nuii.
„Meine Frau“, antwortete Robin mit schwacher Stimme.
„Ich liebe meine Frau nicht mehr“, erwiderte Nuii trotzig.
„Vielleicht ist es besser so“, meinte Robin. Er stand auf und hatte Lust zu gehen. Es war ihm kalt geworden. Mit zittriger Stimme schlug er ihm vor: „Gehen wir zurück?“
„Ich gehe nicht mit“, sagte Nuii. „Warum bleiben wir nicht hier? Hier bei dem Feuer von meinem Stamm?“
„Du willst hier schlafen, hier auf dem Balkon?“
„Ja, ich schlafe hier!“ sagte Nuii und freundlich fügte er hinzu: „Nimm die Fackel und geh alleine. Wir sehen uns morgen.“
„Dann wünsche ich dir eine gute Nacht“, sagte Robin. Er fand es ein wenig sonderbar, dass Nuii den Wunsch hatte alleine auf dem Balkon zu übernachten Aber er konnte ihn nicht umstimmen mitzukommen. Er drehte sich um, ging zurück, geradewegs mitten über den Balkon bis zur Fackel, die schon fast ausgegangen war, durch das Zimmer, den Gang, die Stiegen hinab, hinein in den Raum, wo das Bett stand.
In dieser Nacht quälten ihn die Gedanken. Ständig dachte er an Nuii. Am liebsten wäre er zu ihm hinaufgegangen und hätte ihn gefragt, ob er wüsste, wo Layla jetzt war und ob man ihr irgendwie helfen konnte. Dann wieder war er aufs Höchste besorgt, denn er stellte sich vor, wie Nuii sich jetzt fühlen musste in seiner Situation, die so aussichtslos war. Da waren die Männer, die ihn töten wollten, da war sein Stamm zu dem er nicht zurückkonnte und dann gab es noch Layla, in die er sich verliebt hatte und die seine Hilfe brauchte. Wohin sollte er gehen? Was konnte er tun ohne irgendeinen Schutz? Er beschloss gleich am nächsten Morgen zu ihm zu gehen.
Nuii hockte indessen am Balkon und ahnte nichts davon, wie sehr sich Robin um ihn sorgte. Er war nicht mit ihm mitgekommen, weil in seinem Inneren schwarze Gewitterwolken aufgezogen waren. Der Grund dafür waren die Männer, die ihm heute nachgestellt hatten und die ihm, wäre Robin nicht gewesen, das Leben genommen hätten. Von Minute zu Minute wuchs in ihm der Hass gegen diese Männer, die ihm wohlbekannt waren und die er, wie ihm jetzt immer klarer wurde, töten wollte, um jeden Preis. Er überlegte scharf, wie er das am besten anstellen konnte und welches der richtige Weg wäre, es zu tun. „Es war der einzige Weg für ihn und wohl auch der einzige für Layla, sie ein für alle Mal aus ihren Fängen zu befreien“, war er sich sicher.
Er dachte angestrengt nach und bald kam er auf eine Idee. Noch wollte er Robin nichts davon sagen. Er musste erst Vorkehrungen treffen, Vorkehrungen, um die Männer in die Falle zu locken. Wenn er diese Männer tötete und Layla die Freiheit zurückgab, dann wäre seine Aufgabe erledigt, wusste er. Er liebte Layla und es gab nur diese eine Chance. Mit diesen Gedanken schwang er sich auf, ergriff in Windeseile den Holzpfosten, schlang seine Arme darum, kletterte daran hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
2
Als Robin eingeschlafen war, begann er gleich darauf zu träumen. Er träumte vom Haus. Es war Abend und er ging darauf zu. Schon von der Ferne sah er das Blitzen der Fenster. Er blickte zum Balkon hinauf. Sattgrüne Sprossen rankten sich an der Brüstung entlang, umwickelten sie. Sie trugen Blüten in dunkelgelb und rosa und in blassem Rot. Schwer hingen die Köpfe über den Vorbau, ihr Stiel wand sich in enger Drehung an den Stützen hinauf, dick, wie die ovalen Blätter, mit zartgrünen Enden, inmitten rot schimmernder Blumen. An jedem der Pfeiler, auch in den Verstrebungen unter dem Dach, baumelten bündelweise Knäuel von bunten Blättern. Er träumte, er spazierte darunter hindurch, dem Eingang entgegen, öffnete die Türe und trat ein. Hohe Bilder, schwach beleuchtet vom Abendlicht, das durch die Fenster fiel, schmückten die Wände. Seine Augen streiften darüber. Männer mit strengen Ausdrücken, gekleidet in Gehröcke und Beinkleider, schauten ernst zu ihm herab. Dazwischen, in den Zwischenräumen der Rahmen, prangten goldene Leuchter, reich bestückt mit spitzen weißen Kerzen. Auf einmal hörte er Stimmen. Sie kamen von oben. Er wandte sich um, hin zu der großen Treppe und betrat das hölzerne Podest. Es knarrte und quietschte unter seinem Gewicht.
Er blieb einen Augenblick stehen, an eine der kunstvoll geschwungenen Säulen des Geländers gelehnt und horchte. Aus einem Zimmer im oberen Stockwerk kamen Geräusche von klirrendem Besteck, Gabeln oder Löffel, die an Porzellanteller stießen. Abwechselnd sprachen ein Mann und eine Frau in aufgeregter Unterhaltung miteinander. Ihre Worte konnte er nicht verstehen. Er stieg hinauf bis zum Treppenabsatz im ersten Stock. Aus einer Tür, die einen Spalt breit offenstand, fiel der schmale Lichtstrahl der Abendsonne und erhellte spärlich den langen Korridor. Durch den fahlen Schein und die darin tanzenden Staubteilchen hindurch in das dahinterliegende Zimmer blickend, erkannte er einen weißen, mit kleinen Figürchen und Muscheln besetzten Kachelofen. Dahinter ragte die massive Platte eines Tisches aus Mahagoniholz hervor. Stimmen drangen heraus.
„Fräulein Dietrich, dieses Stück hier! Das finde ich ja geradezu grandios. Lassen Sie mich doch mal sehen!“
Darauf die Stimme der Frau: „Aber natürlich Johan! Beachten Sie nur den unübertrefflich geschwungenen Saugrüssel!“
Es folgte lautes Scheppern von Tassen, dann wurde irgendetwas geredet, das er nicht verstand, daraufhin war eine weitere Männerstimme zu hören.
„Wie bemerkenswert, ein wunderschönes Exemplar. Und diese Augen! Sind das Augen?“
„Augen, aber ich bitte Sie. Das ist eine der Lippen! Und sehen Sie nur, daran anschließend das gehörnte Kopfschild.“
Dann verstummte das Gespräch. Er stand auf, ging zur Tür und lugte mit klopfendem Herzen in das Innere des Raumes. Er war riesig, hell weiß gekalkt und an der Decke hing ein Kronleuchter mit geschliffenen, blauen Glassteinen. In der Mitte der monströsen Tafel, die sich über die gesamte Länge des Raumes erstreckte, bis an die gegenüberliegende Fensterfront, die zur Veranda führte, saß ein Mann mit Schnurrbart, flankiert von zwei weiteren, etwas jüngeren Herren, gegenüber einer Dame mit grauem, zu einem Zopf zusammengebundenem Haar. Sie umfasste einen Gegenstand aus Holz mit beiden Händen und hielt ihn den Männern vorgestreckt zur Ansicht hin. Sie beugten interessiert die Köpfe darüber und murmelten einander zu.
Er schob sich leise in den Raum. Der Fußboden knarrte. Die am Tisch Sitzenden blickten kurz zu ihm auf und führten, von seiner Anwesenheit völlig ungerührt, das Gespräch weiter, selbst als er bereits hinter ihnen stand und über ihre Schultern auf ein dunkles Holzkästchen blickte. Darin lagen, von einer Glaswand geschützt, auf mehrere Behälter verteilt, kleinere und größere Insekten, Schmetterlinge in den verschiedensten Farben und noch etwas, das aussah wie eine Larve.
„Ich glaube“, sagte Johan in lautem Ton, „ich glaube, wir sollten unserem Gast einen