Dämon III. Alfred Broi
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Feuerwerk
Wenn meine Enkeltochter schreit, brauche ich ein Feuerwerk von ihnen!
Razor hatte den Sinn dieser Worte des Alten zunächst nicht verstanden. Nachdem sie ihren Platz am Rande des Hallendaches eingenommen hatten und das Geschehen im Inneren des Gebäudes verfolgen konnten, spürte er immer deutlicher, dass Francesco auf Etwas hinzuarbeiten schien, um Moonlights Kerl aus der Bredouille zu holen. Was das jedoch sein würde, konnte er nicht genau sagen.
Als Francesco dann aber dieses Mordsding von einem Scheißmesser aus seinem Gewand zauberte und ohne zu Zögern in Christophers Rücken rammte und Moonlight ein furchtbar schmerzhafter und über alle Maßen entsetzter Aufschrei aus ihrer Kehle entfuhr, da erinnerte er sich wieder der Worte des Alten – und handelte sofort.
Mit einer ruckartigen Bewegung schulterte er die Panzerfaust, die er bereits griffbereit neben sich liegen hatte. Während der riesige Dämon unten ihnen einen Augenblick brauchte, um zu realisieren, dass der Alte tatsächlich das getan hatte, was er getan hatte und Christopher in sich zusammensackte und Moonlight neben ihm einem Nervenzusammenbruch äußerst nahe war, visierte er den hinteren Teil der Halle an. Einen Augenblick später drückte er den Auslöser und das Projektil zischte quer durch den Raum in die Nebelwand, durch sie hindurch und detonierte schließlich mit unbändiger Wucht an der dahinterliegenden Wand.
*
Silvia war die ganze Zeit über eigentlich nur eine Mitläuferin gewesen, denn alles lief in einem derart hohen Tempo vor ihr ab, dass sie einfach nicht die Zeit dazu gehabt hatte, irgendetwas von dem, was gerade um sie herum geschah, wirklich zu realisieren.
Als sie zu Razor gegangen war, schien ihr alles so klar und eindeutig zu sein. Sie hatte ein ganzes Jahr an diesem furchtbaren Ort verbracht und sie war nur deshalb hier, weil sie ihr Leben geopfert hatte, um das von Christopher zu erretten - aus wahrer, reiner Liebe heraus. Das hatte sie auch geschafft und obwohl sie in den ewig langen Sekunden, bevor sie die Handschellen, die sie miteinander verbanden, zerstören konnte, endlich zu sehen glaubte, was sie stets erhofft hatte - nämlich die wahre Liebe auch in Christophers Augen, klar, ehrlich und offen – verblasste dieses Gefühl hier in der Hölle so furchtbar schnell, dass sie sich jetzt kaum noch daran erinnern konnte. Jeden Tag musste man hier ums Überleben kämpfen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, unablässig. So etwas wie Liebe gab es hier nicht. Freundschaften sollte man besser nicht eingehen, denn jeden Tag starben hier unzählige Menschen und es war verdammt besser, zu keinem von ihnen eine zu enge Bindung zu haben. Hier gab es auch keine Ehre oder Mitleid oder Rücksicht oder irgendetwas, das menschlichem Empfinden auch nur nahe kam. Kaum, dass sie registriert hatte, wo sie gelandet war, hatte sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden mehr Blut und Tod gesehen, als in ihrem ganzen Leben zuvor. Kinder, junge Menschen, Mütter, Väter, schwangere Frauen – es war an Härte, Gnadenlosigkeit, Grauen und Brutalität nicht zu überbieten gewesen und Silvia dachte ernsthaft, sie würde vollkommen wahnsinnig werden.
Doch genau das geschah nicht und der Grund hierfür war einzig Razor gewesen. Er hatte sich – obwohl er doch so viel besser hätte wissen müssen, dass es ein Fehler war – ihrer angenommen und ihr gezeigt, wie man hier überleben konnte, wofür auch immer das am Ende gut sein sollte.
Silvia erkannte schnell, dass hierzu jedoch nicht nur Razors Lehrstunden in Kampfkunst aller Art, sondern auch eine radikale Veränderung ihrer Selbst erforderlich war. Da sie nicht sterben wollte, tat sie, was sie tun musste und vergas allmählich, aus welchem Grunde sie hier war, nicht aber, warum sie hier war. Ja, da gab es in der Tat einen Unterschied. Sie war hier, weil sie ihr Leben gegeben hatte, damit Christopher seines nicht geben musste. Das war es, warum sie hier war. Und das vergas sie nie, ganz im Gegenteil, mit jedem neuen Tag kamen die Erinnerungen an jene Nacht immer bitterer in ihr auf, sodass sie sie irgendwann hasste – und unbewusst wohl auch den Mann, dessen Leben sie auf diese Weise gerettet hatte.
Der Grund, der ihr Handeln in jener Nacht jedoch bestimmte – nämlich ihre Liebe zu Christopher – der verblasste mit jedem neuen Tag und war irgendwann nur noch so schwach, so weit weg und so irreal, dass sie ihn einfach vergas. Zumindest dachte sie das.
Stattdessen wurde sie zu einer brillanten Kämpferin, die lernte, hier an diesem grausamten aller nur vorstellbaren Orte zu leben und zu überleben, doch von der Silvia, die einst aus Liebe hierhergekommen war, war nichts mehr übrig geblieben – eigentlich.
Dass es überhaupt eine Möglichkeit für Christopher und die anderen geben würde, ihr in die Hölle zu folgen und dass sie dies auch versuchen und am Ende sogar tun würden, dieser Gedanke war ihr nie gekommen und so war sie in dem Moment, da sie Christopher gegenüberstand mehr überrascht, als alles andere. Ein Gefühl, das sich auch nur annähernd mit Liebe beschreiben ließ, empfand sie dabei aber nicht – eigentlich.
Da die Hölle auch mit Christopher funktionierte wie immer, verliefen die nachfolgenden Stunden in der gewohnten Hektik und Härte. Erst als sie den Schutzraum erreicht hatten, so hatte sie zumindest gehofft, würde etwas Ruhe einkehren und sie konnte sich mit Christopher unterhalten.
Doch genau dem war nicht so. Christopher hatte ganz offensichtlich große Mühe, sich in der Hölle zurechtzufinden und wäre sicherlich sehr schnell getötet worden, wenn ihn nicht Razor ein ums andere Mal beschützt hätte.
Und als sie schließlich den Schutzraum erreicht hatten, da fühlte sie sich eben nicht zu Christopher hingezogen, sondern zu Razor. Dem Mann, der schon von ihrer ersten Begegnung an keinen Hehl daraus gemacht hatte, dass er sie attraktiv und anziehend fand, der sich aber niemals aufgedrängt hatte, der derjenige war, dem sie ihr Überleben hier an diesem finsteren Ort überhaupt zu verdanken hatte, weil er ihr früh ihre Illusionen genommen und ihr die Realität vor Augen geführt hatte, der ihr gezeigt hatte, wie man erfolgreich für das Überleben kämpfte. Und der letztlich sogar sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um Christopher zu retten, weil er annahm, dass Silvia ihn immer noch liebte.
All das waberte in ihrem Kopf umher, als sie den Schutzraum erreicht hatten. Auch sie hatte Razor sofort attraktiv gefunden, doch kam für sie natürlich niemals ein Betrug an Christopher in Frage. Erst die Zeit hier hatte die Verhältnisse geändert. Und deshalb war sie zu Razor in sein Zimmer gegangen. In ihrem Kopf rotierten die Gefühle für ihn und für Christopher und bauten dabei einen Druck auf, dem sie nicht mehr gewachsen war und der ein verdammtes Ventil brauchte. Und dieses Ventil war harter, feuchter, geiler Sex mit Razor, der ihn sich mit ihr mehr als verdient hatte.
Dabei spielten Gefühle eigentlich nur eine nebensächliche Rolle und Silvia war selbst sehr überrascht, wie sehr sie jede Berührung, jeden Kuss und jeden Stoß genoss.
Für wenige Minuten war sie in einer vollkommen anderen Welt, in der es keinen Kampf, keinen Krampf und keinen Tod gab, sondern nur Wärme, Licht und erregenden Rhythmus.
Bis sie merkte, wie Razor abrupt erstarrte. Erst wusste sie nicht, warum, doch als sie es erkannte, brach plötzlich alles über ihr zusammen.
Großer Gott, was hatte sie getan? Jahrelang war sie stets verletzt gewesen, wenn Christopher sie betrogen hatte und jetzt tat sie genau das Gleiche und auch noch direkt vor seinen Augen.
Schlagartig begriff sie: Christopher hatte erkannt, was er ihr all die Jahre angetan hatte. Die Jagd nach dem Dämon, die Sorge um sie, hatte ihm die Augen endlich geöffnet und ihm seine wahren Gefühle offenbart. In den so unendlich schmerzhaften Minuten, bevor sie durch das Tor zur Hölle gegangen war, hatte er es ihr gestanden und sie es klar in seinen Augen gesehen. Dann aber war Silvia nicht mehr da und für ihn musste sie gestorben sein. Nach fast einem Jahr jedoch, wurde ihm offenbart, dass es eben nicht so war und das Erste und Einzige, was er daraufhin tat, war, das Tor zur Hölle erneut zu