Das Blut des Wolfes. Michael Schenk
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„Selbstverständlich“, erwiderte Turner indigniert.
„Dann können sie sich eigentlich nicht verlaufen haben“, stellte Jochen fest. „Die zugelassenen Wege sind gut beschildert. Vielleicht ist ihnen doch etwas Ernsteres passiert.“
Turner nickte. „Das befürchte ich auch. Als ich heute Morgen den Wagen vorfand, bin ich mit den beiden Arbeitern los und wir haben den Weg abgesucht, den die Proschkes genommen haben müssen. War aber nichts zu finden. Auf unser Rufen hat keiner reagiert. Ich befürchte, sie haben den Weg verlassen und das ist ja nicht ganz ungefährlich.“
Jochen nickte. Das offene Waldgebiet und der abgegrenzte Teil des Naturparks waren überwiegend sich selbst überlassen. Der Baumbestand war nicht kultiviert und das bedeutete, dass die Bäume ganz normal alterten und verfielen. Irgendwann brachen sie zusammen und vermoderten. Der Wald lag voller umgestürzter Bäume und war zudem stellenweise von Pflanzen überwuchert. Wer sich von den Wegen entfernte, der konnte sich schon nach einigen Dutzend Metern verlaufen.
„Besteht die Möglichkeit, dass die Proschkes in den abgesperrten Bereich eingedrungen sind?“
Turner schüttelte den Kopf. „Wir haben den Zaun entlang des Weges kontrolliert. Alles in Ordnung. Und durch das Tor kommt man nicht ohne Schlüssel.“
„Mist.“ Es gefiel Jochen nicht besonders, durchs kniehohe Unterholz klettern zu müssen. Immerhin, zwei Vermisste, das brachte etwas Aufregung in die sonstige Eintönigkeit und machte sich im Revierbericht gut. Abgesehen von den Unfällen auf der Landstraße, war das bedeutendste Ereignis der letzten drei Jahre ein Unfall gewesen, bei dem ein angetrunkener Dorfbewohner eine Kuh von Bauer Wolicek angefahren hatte. „Schön, dann sehen wir es uns an. Muss ja nichts Schwerwiegendes sein, aber wenn einer von den Proschkes sich verletzt hat, kann der andere vielleicht nicht weg. Sitzen dann irgendwo herum und warten dringend auf Hilfe.“
Peter Wagner nickte. „Sollen wir Verstärkung rufen? Das Waldgebiet ist ja ziemlich groß und wir könnten die BePo alarmieren.“
Jochen räusperte sich. „Die Bereitschaftspolizei? Ne, Kollege Wagner, das käme nicht gut, wenn wir gleich um Hilfe schreien. Wir sehen erst einmal, ob wir die Proschkes selber finden. Falls das nicht der Fall ist, sagen wir der Feuerwehr Bescheid. Dann kann die eine Suche veranstalten. Nicht gleich die Kreisstadt verrückt machen, Peter, nur weil sich so ein idiotisches Paar verlaufen hat.“
„Rechts des Hauptweges können sie nicht sein“, meinte John Turner. „Verläuft ja quasi direkt am Zaun entlang. Wir sollten uns also links des Weges halten.“
„Könnten die Leute im abgesperrten Bereich des Parks sein?“
Der Ranger schüttelte entschieden den Kopf. „Wie ich schon sagte, das Tor ist abgeschlossen und der Zaun ist hoch und sehr stabil. Zudem sind die Proschkes sicher keine, äh, sehr sportlichen Leute. Die sind bestimmt nicht auf die andere Seite geklettert.“
Jochen nickte. „Gut, dann können wir den Bereich aussparen. Damit beschränkt sich die Suche auf den offenen Teil des Parks. Wir gehen in Schwarmlinie parallel zum Weg vor. Nur so viel Abstand, dass jeder den Nebenmann sehen kann.“ Er grinste. „Nicht, dass sich noch einer verläuft. Peter, stell Kanal Zwei ein. Du gehst am Weg entlang und ich bleibe zwischen den beiden Arbeitern und dem Ranger. Sollten wir“, er blickte auf die Uhr, „die beiden Vermissten bis zwei Uhr nicht gefunden haben, dann brechen wir ab und holen die Feuerwehr dazu.“
John Turner sah Bärbel Honnig an, die sich sichtlich Vorwürfe zu machen schien. „Wir werden sie schon finden, Bärbel. Bleiben Sie hier an der Station. Vielleicht tauchen die Proschkes ja doch wieder auf.“
„Wenn die noch laufen könnten“, meinte einer der Arbeiter, „dann wären die längst wieder da. Selbst wenn sie keinen Hunger hätten, die haben seit gestern nichts mehr getrunken… Die müssen Durst haben bis zum abwinken.“
„Wir werden sehen.“ Jochen Kircher reckte sich. „Brechen wir auf. So groß ist der Park ja nun auch nicht, dass da jemand spurlos verschwinden kann.“
Doch genau das war der Fall.
Jochen rief die Feuerwehr zu Hilfe, damit die Suche intensiviert werden konnte, aber am späten Abend ließ er die Aktion abbrechen. Es gab keinen einzigen Hinweis auf den Verbleib des Ehepaares Proschke.
„Na schön“, räumte Jochen missmutig ein, „weiter im Wald herum zu latschen, das bringt uns nicht weiter. „Ich rufe die Rettungshundestaffel Eifel-Mosel an. Die Hunde werden die Proschkes schon finden.“
Kapitel 4
Tiefe Nacht lag über Wolfgarten. Eine Nacht, in der die Sterne in ihrer ganzen Pracht am Himmel standen. Mehr als genug Licht um sich orientieren zu können, auch wenn der Mond nur eine bescheidene Sichel war. Die wenigen Straßenlaternen im Ort waren längst abgeschaltet worden und nichts schien sich in dem schlafenden Ort zu regen. Nur vom Hof des Landwirts Wolicek war das leise Muhen einer Kuh zu vernehmen, dann herrschte erneut Stille.
Niemand hörte das lautlose Tappen weicher Pfoten auf dem Asphalt der Straße, die von der Tageshitze noch immer Warm war. Niemand sah das Wesen, welches sich durch Wolfgarten bewegte.
Niemand hätte es beachtet.
Seine Art lebte schon seit vielen Jahrtausenden unter den Menschen. Manchmal in deren verhasster Gestalt, manchmal in der eines jener Wesen, an welche sich die Zweibeiner schon so sehr gewöhnt hatten. Beides war ihrer Art möglich, denn sie waren Wandelwesen.
Die Umwandlung ging schnell vor sich, erforderte nur Augenblicke, aber sie wurde mit grellem Schmerz bezahlt. Auch wenn sich die Form und die Größe ihrer Gestalt verändern lies, so blieb ihre Körpermasse dabei gleich und es war anstrengend, Knochen und Gewebe zu dehnen oder zu schrumpfen, um sie der jeweiligen Form anzupassen. Aber der Schmerz war ein geringer Preis für die Möglichkeit, sich unerkannt zwischen den Menschen zu bewegen.
Der Beute.
Früher war es leicht gewesen, sich verborgen zu halten. Schon oft hatte sich das Wandelwesen in der Gestalt eines Menschen in ihre Siedlungen begeben, wartete dann ungeduldig auf die Nacht, um endlich töten zu können. Es erforderte Selbstbeherrschung und die Unterdrückung aller Triebe, um zu warten, wenn der verlockende Geruch der Menschen in die Nase stieg und alle Sinne auf jenen Augenblick lauerten, an dem die Schnauze in das warme Blut der Zweibeiner eintauchte. Vor vielen Jahren war das Wandelwesen schon einmal durch diesen Ort geschlichen und doch war es diesmal anders, denn so vieles hatte sich im Verlauf der Jahrhunderte verändert.
Dort drüben waren der Erbpachthof und der kleine Marktplatz gewesen, und das Wesen glaubte die Gerüche wahrzunehmen, die das bunte Treiben begleitet hatten. Der Duft von Pflanzenfasern, mit denen die Färberin ihre Stoffe in bunte Tücher verwandelt hatte, der stechende Geruch menschlichen Urins, mit dem das Leder gegerbt worden war… Das Wesen erinnerte sich an das quirlige Treiben, die Rufe und das Lachen und es erschauerte wohlig, als es an das entsetzte Keuchen dachte, dass schon damals den Tod begleitet hatte.
Damals waren oft Menschen spurlos verschwunden und nur wenige hatten sich darum gekümmert. Hunger und Krankheit forderten ihren Tribut, Kriege überzogen die winzigen Ländereien und die Menschen fürchteten Bären und Wölfe,