Das Blut des Wolfes. Michael Schenk

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Das Blut des Wolfes - Michael Schenk

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sich, in ihr Zimmer zu kommen.

      Das alte Schlafzimmer ihrer Eltern lag im Erdgeschoss, Svenjas Reich befand sich unter dem Dach. Das Zimmer war recht groß, wurde aber durch die Dachschräge eingeengt, die sich an einer Längswand entlang zog. Die Einrichtung stammte überwiegend von einem großen Möbelhaus. Svenja und ihre Mutter hatten sie damals selbst zusammengebaut, da Jochen zu einem Lehrgang gewesen war. Sie waren der Aufbauanleitung gefolgt und hatten im Verlauf der Montage in ihrer Verzweiflung auch zu Hammer und Nägeln gegriffen. Jochen sah damals großzügig darüber hinweg.

      Gegenüber dem Fenster stand das Bett, auf dem einige Kuscheltiere an die Mutter erinnerten. Fünfzehn Stofftiere. Zu jedem gemeinsamen Geburtstag hatte Karin Kircher ihrer Svenja ein Besonderes geschenkt. Svenja wollte keines davon missen. Eigentlich war sie aus dem Alter ja heraus und doch gaben ihr die weichen Gestalten etwas Trost, wenn sie ihre Mutter wieder einmal vermisste.

      Regale und Schrank waren abgenutzt und nur das Bett und der Schreibtisch waren neueren Datums. Svenja hätte sich längst andere Möbel kaufen können, denn sie verdiente immerhin schon ihr eigenes Geld, aber die alten Sachen genügten ihr und sie wollte lieber für die Zeit sparen, an der sie aus Wolfgarten fort zog. Früher oder später würde dies der Fall sein, schon aus beruflichen Gründen, doch es drängte sie nicht, den Ort zu verlassen.

      Die Puppen und die Poster aus Kindheitstagen waren längst verschwunden und durch Aufnahmen verschiedener Musikgruppen und Schauspieler ersetzt. Über dem Bett hing die Lichterkette eines Weihnachtsbaums, die durch halbtransparente Tücher verdeckt wurde. In ihrem gedämpften Licht hatte sie zum ersten Mal die Freuden der Liebe erlebt, ein sorgfältig gehütetes Geheimnis, welches sie vor ihrem Vater verbarg. So vertraut sie einander auch waren, so führte doch jeder auch sein eigenes Leben. Ein Stück neben dem Fenster, unterhalb der Dachschräge, stand der Schreibtisch. Er war der Beleg dafür, dass aus Svenja längst eine junge Frau geworden war.

      Neben einem stationären Computer lag ein geöffneter Laptop auf der Schreibplatte. Grafische Skizzen und Notizen türmten sich in der Ablage und auf dem Bildschirm war der halbfertige Entwurf eines Werbeflyers zu sehen. Svenja hatte das Glück gehabt, nach ihrer Schule sofort eine Ausbildungsstelle gefunden zu haben. Der Beruf der Werbegrafikerin gefiel ihr, denn er war vielseitig, erlaubte ihr das Ausschöpfen eigener Ideen und den Kontakt zu Kunden. Sie hatte Talent, das richtige Gespür für die Inhalte und setzte diese mit Ideenreichtum um. Ihre Chefin war mehr als nur zufrieden und erlaubte Svenja ein paar Freiheiten, welche diese gerne annahm. Dazu gehörte es, dass sie gelegentlich zu Hause arbeiten konnte, was ihr die Möglichkeit gab, sich zusätzlich um den Haushalt zu bemühen.

      Der Sitz der kleinen Firma befand sich in Schleiden und Svenja fuhr mit ihrem Mofa zur Bushaltestelle der Linie 231 an der Landstraße, von dort mit dem Bus nach Gemünd und wechselte in die Linie 829, um mit dem öffentlichen Verkehrsmittel ins Büro zu gelangen. Es war ein wenig umständlich, zumal zwischen den Abfahrtzeiten der Linie 231 eine volle Stunde lag. Gelegentlich hatte sie überlegt, ob sie nicht nach Schleiden ziehen sollte, aber sie wusste nicht mit Bestimmtheit, ob die Firma sie übernehmen würde. Für eine andere Stelle nochmals umzuziehen, empfand sie jedoch als ausgesprochen unpraktisch. Zudem sagte sie sich immer wieder, dass sie ihren Vater nicht im Stich lassen konnte.

      Offensichtlich war ihre Sorge um ihn unbegründet, wie die Anwesenheit von Vanessa Schneider bewies. Warum die hübsche Frau nackt unter der Dusche stand, konnte Svenja sich denken, aber warum war es ausgerechnet die schwarzhaarige Ortsvorsteherin? Es gab nur wenige Menschen, gegen die Svenja eine instinktive Abneigung empfand, doch ausgerechnet Vanessa Schneider gehörte zu dieser Gruppe. Die Gewissheit, dass sich diese Frau nun im Haus aufhielt, trübte Svenjas Stimmung und sie ging zu ihrem Laptop, rief das Musikprogramm auf und warf sich auf das Bett. Nachdenklich verschränkte sie die Arme hinter dem Kopf und blickte zur Seite.

      Dort hing das Poster ihrer Mutter an der Wand. Es war die vergrößerte Aufnahme eines alten Passfotos und daher von eher mäßiger Qualität. Dennoch war zu sehen, dass Karin Kircher eine sehr hübsche Frau gewesen war. Die blauen Augen strahlten Warmherzigkeit und Freundlichkeit aus.

      Angeblich verfügte Svenja über große Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Dasselbe schmale Gesicht mit den großen dominierenden Augen, dieselben blonden Locken, die gelegentlich ein wenig kraus wirkten und eine schlanke Figur, an der sie lediglich die Schenkel einen Hauch zu kräftig fand.

      Svenja konnte sich noch gut an ihre Mutter erinnern und hätte das Poster dafür nicht benötigt. Für ihren Vater war das Bild eher ein Ärgernis. Er versuchte, den Verlust der geliebten Frau zu vergessen. Einmal hatte er das Poster von der Wand gerissen, aber Svenja hatte es sorgfältig wieder zusammengeklebt. Sie wollte die Mutter und deren Tod nicht verdrängen und kam inzwischen, so wie sie glaubte, auch ganz gut damit zurecht. Jedenfalls besser als ihr Vater, der seitdem viel zu oft zum Bier griff und jetzt wohl bei Vanessa Schneider nach Trost suchte.

      Eher unbewusst tastete Svenja nach ihrem Mobiltelefon und gab die Kurzwahl ihrer Freundin Kim ein. „Weißt du, was hier abgeht? Die Schneider hängt hier ab. Mann, ich kriege echt die Krise.“

      „Die Schneider? Dieses hippe Perlhuhn?“ Kim klang sichtlich überrascht. „Dein Dad ist doch bei den Mützen. Was hat der mit der Schneider zu schaffen?“

      „He, ich weiß selbst, dass mein Dad bei den Bullen ist.“

      „Na ja, wahrscheinlich will er nur ein bisschen Spaß.“

      Svenja seufzte. Sicher, Jochen war ja auch nur ein Mann und hatte seine Bedürfnisse. „Aber ausgerechnet die Schneider?“

      Kim lachte auf. „Ach, hab dich nicht so. Für deinen Dad ist die Auswahl in unserem Kaff ja nicht gerade groß, oder?“

      „Nein, sicher nicht“, murmelte Svenja. Kims eher gleichgültige Reaktion ärgerte sie.

      „He, komm runter.“ Die Freundin spürte die Verstimmung. „Er kann es ja schließlich nicht runterwürgen, oder? Gönn ihm doch den Spaß.“ Kim zögerte einen Moment. „Oder hast du Schiss, dass er das ernst meint?“

      Svenja leckte sich unbewusst über die Lippen. Vielleicht war das genau der Punkt, warum sie eine instinktive Abneigung gegen Vanessa Schneider empfand. Sie hatte nichts dagegen, wenn ihr Vater ein bisschen Spaß hatte, doch die Vorstellung, zwischen Vanessa und Jochen könnte eine tiefere Beziehung entstehen, erfüllte sie mit Unbehagen.

      „Ich weiß nicht“, gab sie widerwillig zu.

      „Mach dir jetzt echt keinen Stress“, riet Kim. „Ist doch nicht gesagt, dass zwischen den beiden wirklich was abgeht.“

      „Ach, Scheiße.“

      „Du, ich muss Schluss machen, meine Erzeuger rufen zum Essen. Wir können morgen quatschen, okay?“

      „Ja, okay.“

      Svenja schaltete das Gerät aus und fluchte leise. Sie dachte an ihren Vater Jochen und an Vanessa Schneider und die Vorstellung, dass die beiden Intimitäten austauschten, gefiel ihr immer weniger. Erneut sah sie auf das Poster ihrer Mutter. Vielleicht lag es an den Augen? Die ihrer Mutter blickten freundlich und offen. Die von Vanessa waren… anders. Svenja konnte nicht einmal sagen, was sie an den Augen der Frau störte.

      Sie erhob sich wieder von ihrem Bett und trat unter die Dachschräge, in die das große Fenster eingebaut war. Seufzend blickte sie hinaus, legte die Hände auf den Fensterrahmen und stützte ihr Kinn auf die Finger. Eher gelangweilt glitt ihr Blick über Wolfgarten.

      Das kleine Haus der Kirchers lag am Ende der Straße „Pützbenden“. Svenjas Fenster wies nach Süden und vom Dachfenster aus

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