Der Sommer der Vergessenen. René Grandjean
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Читать онлайн книгу Der Sommer der Vergessenen - René Grandjean страница 14
„So. Besser ein Feuer anzünden, als über die Dunkelheit jammern.“
Driftwood schaute auf. „Wenn das Feuer uns den Weg zeigen kann, ist es mir mehr als willkommen. Ansonsten kann es mir den Buckel runterrutschen.“ Aus einer braunen Umhängetasche, die an einen Stein gelehnt stand, zog Socke einen Topf. Vorsichtig stellte er ihn ins Feuer.
„Der Salatkopf hat wohl vergessen zu erwähnen, wie lange wir geschlafen haben“, moserte Driftwood. „Alles Sack und Asche.“
„Pst! Nenn ihn nicht so“, zischte Socke. Er blickte sich erschrocken um. Als nichts geschah, ging er kopfschüttelnd ein paar Schritte und begann, Pilze zu pflücken.
Driftwood starrte missmutig ins Feuer.
„Niemand mehr da, den wir kennen. Alle Aufzeichnungen sind sinnlos!“ Er griff mit einer Pfote in den Pelz auf seinem Bauch und zog eine Karte heraus. Irgendwie schien sich dort eine Tasche zu verbergen. Die Karte war brüchig und vergilbt. Er faltete sie auseinander.
„Um Neunseen ist vieles wie gehabt. Aber außerhalb des Tals …“ Seine Stimme verlor sich in mürrischem Gemurmel.
Socke trat ans Feuer und streute allerlei Grünzeug ins kochende Wasser. Er trug jetzt eine kleine Schürze. Driftwood dachte laut. „Dort war der Ort, wo der Drache hauste.“
Socke rührte die Suppe mit einem Holzlöffel.
„Der Drachenhort war nicht da“, sagte er, ohne hinzusehen. „Das ist der Katzenbuckel. Der Drache war viel weiter im Norden.“
„Meinst du?“, grübelte Driftwood. „Mag sein. Aber dort hatten wir den Ärger mit den Kratzen. Diese Mistviecher!“
„Nein“, korrigierte Socke. „Die Kratzen waren im Westen bei Morgobath. Erinnerst du dich nicht an Auro, den Nasenleser?“
„Ach, diese kleine Made.“ Driftwood zerknüllte die Karte und warf sie hinter sich ins Gebüsch. „Was gibt’s zu essen?“
„Waldpilzsuppe.“ Socke schlürfte sie vorsichtig vom Löffel. „Ist gleich fertig.“
Driftwood verschränkte die Arme vor der Brust. „Damals hätte ich einfach Schnorbus, die schallende Schnecke gefragt“, murmelte er. „Weiß der Henker, ob die sich noch irgendwo rum treibt. Oder Fledder. War immer für einen Tipp gut. Aber heute? Eine Karte allein wird uns nicht weiterbringen. Als hätte jemand das ganze Land umgepflügt. Wo ist nur dieses verfluchte Buch?“ Er stand auf und schaute in die Baumwipfel. „Es ist ekelhaft. Aber ich sehe keinen anderen Weg. Wir brauchen Hilfe. Jemanden, der den Irrsinn da draußen kennt. Jemanden, der sich unauffällig unter den Menschen bewegen kann … das ist es!“, rief er plötzlich. „Ich hab es!“
Socke blickte ihn erwartungsvoll an.
„Wir brauchen einen Menschen! Socke, wir packen ein!“
„Und die Suppe?“ Socke klang enttäuscht.
„Ach ja.“ Driftwood setzte sich wieder.
Kapitel 7
Als die Sonne langsam hinter den Gipfeln der Berge verschwand, tauchten die Fackeln den Festplatz in ein verzaubertes Spiel aus Licht und Schatten. Rolo hatte noch nie eine so große Menschenmenge schweigend erlebt. Der Abendwind, der vom See zu ihm hinüberwehte, brachte die Geräusche der Schiffsbesatzung mit sich. Kommandos wurden gebrüllt, eilige Füße rannten über das Schiffsdeck. Der Wind blähte die Segel und es klang, als würden riesige Bettlaken ausgeschüttelt. Rolo vernahm das mahlende Knarren, das Holz auf Holz erzeugt, als die lange Planke über die Reling geschoben wurde. Der Steuermann pfiff und erklärte damit das Anlegemanöver für beendet. Das war das Zeichen für die Besatzung, das Schiff zu verlassen. Im Gleichschritt gingen sie von Bord und verschwanden unter Beifall in der Menge. „Der Hirsch am Bug“, flüsterte Hallimasch, „ist der Sommerkönig.“
Rolo konnte riechen, dass Hallimasch dem Apfelwein sehr zugetan war.
„Sein Geweih trägt die ganze Welt. Dieses Schiff bekommen wir hier nur einmal im Jahr zu sehen. Es ist die Taranis.“
„Die was?“, fragte Rolo.
„Pst!“, zischte Onno.
„Die Taranis“, flüsterte Hallimasch. „Dieses Schiff ist so unsagbar alt, dass nicht einmal ich mich daran erinnern kann, dass es mal ein Jahr nicht kam. Was meinst du, wie alt ich bin?“
„Oh, ich würde schätzen, so um die …“
Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge. Um sie herum sprangen alle von ihren Stühlen. Lana und Tinka standen auf und verschwanden im Gewühl. Viele stiegen auf Tische und Bänke. Auch Rolo und sein Vater versuchten, zwischen der wogenden Menge hindurch einen Blick auf das Schiff zu werfen. Hallimasch lehnte sich lächelnd zurück und nippte an seinem Wein. Irgendwo weit vorne, in der Nähe des Ufers, begann jemand einen langsamen Rhythmus zu klatschen. Vereinzelte Rufe wurden laut. Rolo verstand die Worte nicht. Ein zweiter Klatscher stieg in den ruhigen Takt ein, dann ein dritter. Wie ein Lauffeuer im trockenen Gras verbreitete das Klatschen sich über den Platz. Plötzlich erstarrte die Menge. Auf dem Achterdeck stand eine verschleierte Frau.
„Oje, dieses Jahr erscheint sie ganz in Schwarz“, raunte Onno.
Rolo nickte lächelnd, verstand allerdings nicht den Anlass für Onnos Kummer. Er streckte sich, um die Dame vom See genauer in Augenschein zu nehmen. Ihr Kleid war aus schwarzer Spitze in einem wallenden Schnitt. Die Ärmel waren eng, wurden nach unten trompetenförmig weiter und verhüllten ihre Hände. Ein Schleier aus dem gleichen Stoff verdeckte ihr Gesicht bis auf die Augen. Rolo fand das alles sehr hübsch, aber er sah keinen Grund zur Aufregung.
„Sehen wohl nicht so oft Laienschauspieler hier“, flüsterte er seinem Vater ins Ohr. Der seufzte und nickte.
„Ja, so sind sie.“
„Die Beleuchtung ist spitze. Ich sehe überhaupt keine Fackeln oder Scheinwerfer, aber sie ist gut ausgeleuchtet. Hast du schon irgendwo Tante Farrah entdeckt?“
Sein Vater deutete zum Schiff.
„Was?“, platzte es aus Rolo heraus.
„Ruhe!“, forderte Onno.
Dann begann sie zu sprechen. „Wisst ihr noch, wer ich bin?“ Ihre Stimme erklang laut und deutlich über den Platz. Rolo schaute nach versteckten Lautsprechern, entdeckte aber nichts.
„Du bist die Bendith Geserith“, antwortete die Menge. „Richtig, das bin ich. Und wisst ihr auch noch, was ich bin?“
Wie aus einem Mund kam die Antwort: „Du bist die Herrin des Tals, des Sees, der Berge und Wälder. Du bist die Hüterin des Landes. Du bist die Mutter des