Götzenbild. Dietrich Novak
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Kurz darauf erhielt er Antwort. »Die Halterin heißt Nina Feist? Ja, das dachte ich mir. Danke, Kollege.« Hinnerk drückte das Gespräch weg und wählte sofort neu. »Lange hier, schickt bitte die KTU zu einem Parkplatz in der Rollbergstraße Nummer … ja, wir haben das Fahrzeug eines Mordopfers gefunden.«
»Was versprichst du dir davon?«, fragte Lars, als Hinnerk das Gespräch beendet hatte. »Nach so langer Zeit wird es wohl kaum noch Spuren geben bei dem Kommen und Gehen.«
»Das kann man nie wissen. Das Fahrzeug muss ohnehin gründlich untersucht werden. Womöglich hat der Täter darin gesessen.«
»Ja, klar …«
»Ich gehe mal schnell pinkeln … der viele Kaffee … und wenn die KTU hier ist, geht es ab ins Präsidium. Bin schon ganz gespannt auf die Auswertung der Liste. Vielleicht ist der Anrufer unser Täter. Zumindest hat er gewusst, wo Nina Feist gearbeitet hat.«
Die Suche mithilfe der Leichenspürhunde im Volkspark Friedrichshain war ergebnislos verlaufen. Entweder der Täter hatte die Beine des Opfers woanders deponiert oder behalten.
Marlies wertete mit Eifer die Telefonliste des Callcenters aus. Dabei interessierte sie zunächst weniger, wen Nina Feist angerufen hatte, als wer sich mit ihrem Platz hatte verbinden lassen. Und da gab es tatsächlich eine Festnetznummer, die insgesamt zehnmal auftauchte. Es stellte sich heraus, dass sie zu einem Jörn Ritter gehörte.
»Oh, oh, ich ahne Schlimmes«, sagte Valerie. »Jemand der so offensichtlich über das Festnetz telefoniert, und nicht über einen schlecht nachzuvollziehenden Handyprovider, ist entweder besonders dreist oder hat tatsächlich nichts zu verbergen. Ich werde dem Knaben mal einen Besuch abstatten. Bis später.«
Draußen auf dem Flur begegnete Valerie die neue Staatsanwältin, Ingrid Lindblom. Eine attraktive Blondine, die im Gegensatz zu Valerie sehr weiblich gekleidet war. Ihre Blicke taxierten Valerie mit ihrem knappen T-Shirt und den engen Jeans eingehend, und Valerie glaubte, darin ein gewisses Interesse festzustellen.
»Gut, dass ich Sie treffe. Ist Herr Lange im Büro oder außer Haus?«, fragte sie kühl.
»Eben war er noch da.«
Warum sagt sie nicht Ihr Mann? dachte Valerie. Und diese Augen durchbohren mich ja förmlich. Aber attraktiv ist die Dame, das muss man ihr lassen, sehr sogar …
Wenig später, als Valerie längst unterwegs war, saß Hinnerk Ingrid Lindblom in ihrem Büro gegenüber.
»Sie haben eine Anzeige wegen Nötigung erhalten«, kam sie direkt auf den Punkt. »Es macht sich nicht so gut, wenn ein Hauptkommissar Selbstjustiz verübt …«
»Das hört sich ja an, als hätte ich den Dreckskerl umgebracht«, sagte Hinnerk. »Er hat mich zuerst beleidigt, bevor ich ihn daran gehindert habe, weiterzufahren. So sieht es aus. Die bilden sich doch ein, weil sie schneller sind, könnten sie sich alles erlauben. Es wird verdammt noch mal Zeit, dass Fahrräder auch Nummernschilder erhalten.«
»Kümmern Sie sich jetzt um die Aufgaben des Ordnungsamtes? Der Streit fing doch an, als Sie sich beschwert haben, dass er auf dem Bürgersteig fuhr.«
»Richtig, der Radweg war nämlich direkt daneben. Und weil diese Typen kein Unrechtsbewusstsein haben und denken, sie könnten sich alles erlauben, hat er mich noch unflätig beschimpft. Fick dich ist ja schon fast alltäglich geworden, aber ich lasse mich nicht ungestraft als Hurensohn bezeichnen.«
»Bleibt die Tatsache, dass sie den Mann festgehalten und an der Weiterfahrt gehindert haben. Für ihn erfüllt das den Tatbestand der Nötigung.«
»Was blieb mir denn anderes übrig als ihn aufzuhalten? Schließlich wollte ich seine Personalien aufnehmen. Dazu habe ich als Polizeibeamter ein Recht. Der wäre doch glatt weitergerast und hätte mir noch den Stinkefinger gezeigt.«
»Wäre … hätte … beides eher ungebräuchliche Vokabeln für einen Mann in Ihrer Position …«
»Sie mögen ja eine ausgezeichnete Staatsanwältin sein, aber Sie haben sich den falschen Angeklagten ausgesucht.«
»Ich klage Sie nicht an, schließlich sind wir hier nicht bei Gericht. Ich habe Sie nur kommen lassen, um aus Ihrem Munde den Vorfall geschildert zu bekommen. Weiterhin möchte ich Sie bitten, künftig Ihr Temperament etwas zu zügeln.«
»Wenn ich sehe, wie hier der Bock zum Gärtner gemacht wird … kann ich das nicht versprechen.«
»Sehen Sie, genau das meine ich. Statt vernünftig zu argumentieren, brausen Sie unangemessen auf … haben Sie private Probleme, ist Ihre Ehe nicht glücklich?«
»Das geht Sie mit Verlaub einen Sch … an. Für mich ist das Gespräch jetzt beendet, Frau Staatsanwältin. Tun Sie Ihre Pflicht und brummen mir eine Ordnungsstrafe auf oder lassen mich vom Dienst suspendieren …«
»Seien Sie nicht albern …«
Hinnerk sprang auf. »Auf gute Zusammenarbeit, kann man da nur sagen.«
»Ja, das hoffe ich …«
Statt einer Antwort, lief Hinnerk hinaus und warf die Tür ins Schloss.
»Die Tür hat eine Klinke, Herr Lange, also benutzen Sie sie bitte auch!«, hörte er hinter sich herrufen, doch da war er schon in seiner Abteilung.
»Das ist ja ein charmanter Fetzen, unsere neue Staatsanwältin«, sagte er wutentbrannt. »Wenn ich mich nicht sehr täusche, mag die keine Männer. Hält die mir doch eine Standpauke, weil mich das Arschloch wegen Nötigung angezeigt hat.«
»Ich hab dir doch gesagt, das gibt Ärger«, meinte Lars.
»Tu mir einen Gefallen und erspar mir deine klugen Sprüche. Jedenfalls stelle ich mir unter einer guten Zusammenarbeit etwas anderes vor.« Hinnerk ließ offen, ob er damit Frau Lindblom oder Lars meinte, und Lars hütete sich, noch etwas hinzuzufügen.
Valerie traf vor der Wohnung von Jörn Ritter ein. Sie befand sich im Hinterhaus eines Kreuzberger Altbaus im dritten Stock. Nach einer kurzen Wartezeit wurde tatsächlich geöffnet. Ritter war ein vom Alter her schwer einzuschätzender Mann. Seine wenigen Haare glänzten fettig, und seine Kleidung war sehr leger, um nicht zu sagen schlampig.
»Das ist ja mal eine Überraschung«, sagte er, als er Valeries Ausweis sah. »Sind alle Kommissarinnen beim LKA so schön?«
»Mir ist bekannt, dass Sie im Komplimente machen sehr geübt sind, Herr Ritter, nur sollten Sie sich vorher genau überlegen, wem Sie sie machen.«
»Ist es schon eine Straftat, einer Kommissarin zu sagen, wie schön sie ist?«
»Nein, ich meinte weniger mich als eine Mitarbeiterin eines Callcenters, die Sie derart bedrängt haben, dass es schon an Stalking grenzt. Aber wollen wir das hier im Flur besprechen?«
»Nein, kommen Sie rein! Gehen wir doch in die Küche, da ist es im Verhältnis zum Wohnzimmer noch relativ ordentlich.«
Ritter bot Valerie einen Platz auf einem schäbigen Küchenstuhl an, und sie war froh, eine Jeans, und keine helle Hose, anzuhaben.