Kuckucksspucke. Gloria Fröhlich

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Kuckucksspucke - Gloria Fröhlich

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kann, dass die Eltern jetzt arm und allein sind, weil sie doch nur die Eine hatten, und dass das Leben ja weitergeht.

      Und deshalb setzten sich beide Fahrräder umgehend in Bewegung.

      Jedes in eine andere Richtung.

      Line umklammerte den Bauch ihrer Mutter und schaute auf die dunkelblauen Basaltsteine, die während der Fahrt unter ihr nicht mehr einzeln zu erkennen waren, sondern als glatte Fläche dahinsausten, und in ihrem Kopf wimmelten die merkwürdigsten Gedanken.

      Am nächsten Tag erzählte sie Tim von der baumelnden Tochter auf dem Dachboden. Dabei gab sie der Tatsache, dass die abgeschnitten worden war, eine enorme Dramatik, indem sie eine Stirnfalte zog und die Stimme hob.

      Aber für Tim war das leider keine Neuigkeit mehr.

      „Das weiß ich doch schon, das ganze Dorf redet doch über nichts anderes mehr“, war Tims vorwurfsvolle Antwort.

      Dann schwiegen sie einen Moment, bis Line es vor Neugier nicht mehr aushielt und von ihm wissen wollte, was man von der baumelnden Tochter denn eigentlich „abgeschnitten“ hatte.

      Tims Stimme klang so, als hätte Line nicht alle Tassen im Schrank.

      „Den Strick, den sie um ihren Hals hatte natürlich, was denn sonst, die war ja tot, die hat sich doch aufgehängt“.

      Line sah ihn kopfschüttelnd an und sagte vorwurfsvoll: „Wieso denn tot, die hat doch nur am Strick gebaumelt“.

      „So ein Quatsch“, sagte Tim, die hat sich wirklich aufgehängt, mit einem Strick um den Hals, verstehst du und deshalb ist sie jetzt tot!“

      Wie immer, wenn Line ihm ungewöhnliche oder gewöhnliche Fragen stellte, hatte er auch jetzt wieder etwas zu erklären, weil er nämlich wieder ganz genau wusste, wie das mit dem Aufhängen ging.

      „Da nimmt man einen dicken Strick, bindet ihn an einen Balken und macht eine Schlinge, durch die man den Kopf steckt, wenn man sich aufhängen will. Vorher stellt man sich auf einen Stuhl, den man mit den Füssen wegschubst, wenn man sich dazu entschlossen hat, es zu tun. Und dann baumelt man mit dem Strick um den Hals hin und her. Von dem Gewicht, das man hat, zieht sich die Schlinge fest zu, und mit einem kurzen Knack bricht das Genick und man ist tot. Die Augen quellen blutunterlaufen hervor, und die geschwollene Zunge hängt aus dem Mund“.

      Tim sah fürchterlich aus, als er das demonstrierte.

      Line war fassungslos vor Entsetzen!

      Das war dann ja gar kein Spaß, dass sie am Strick gebaumelt hatte, sondern ein schreckliches Unglück, von dem die Frau erzählt hatte, dachte sie.

      Line nahm jetzt so richtig Anteil und sagte mit erstickter Stimme: „Die Eltern sind jetzt arm, aber doch nicht allein, da ist ja wenigstens noch die alte Jungfer“.

      „Quatsch“, sagte Tim, das ist doch die, die jetzt tot ist, die hatte keinen Mann und dann heißen die so“.

      Und Line war voller Mitgefühl einerseits und zufrieden andererseits, dass sie dann ja wenigstens schon mal eine alte Jungfer gesehen hatte und dass es nun endlich wieder eine Beerdigung gab.

      Und immer wenn Line später an dem Bauernhaus von der aufgehängten Tochter vorbeifuhr, fühlte sie das Grauen, das nun über ihm in der Luft hing. Wie der Essengeruch, der nicht weit entfernt davon aus der Gastwirtschaft kam, in der seit kurzer Zeit ein Mittagstisch für die fahrenden Händler angeboten wurde. Line war sich nicht sicher, was damit gemeint war. Wenn nur ein Mittagstisch angeboten wurde, woran saßen denn die anderen Handlungsreisenden, von denen ihre Großmutter manchmal sprach.

      Und natürlich wusste Tim wieder Bescheid, dass das nur so hieß, weil es dort eben Mittagessen gab und das natürlich für alle, und dabei schüttelte er den Kopf, so dass Line klar war, wieder mal etwas Blödes gefragt zu haben.

      Line wusste aber, dass in der Gastwirtschaft die alte Schwiegermutter von Stine Dirks herrschte. Was eine Schwiegermutter, und die gab es reichlich, eigentlich so richtig war und welche Bedeutung sie hatte, wusste sie nicht so genau. Sie hatte jedoch gehört, dass Boshaftigkeit, Zank, Streit, Wut und ziemlicher Ärger damit in Verbindung standen.

      Mit den vielen Kriegerwitwen in den Dörfern hatte Line ein ähnliches Problem, nur dass es da andere Substantive gab, nämlich Trauer, Halbwaisen, viel Mitleid, weil die Kinder ohne Vater aufwachsen mussten, die ihn in den meisten Fällen ja überhaupt nicht kannten, und dann noch die bange Frage, wie es weitergehen sollte ohne Mann im Haus oder auf dem Hof, denn die Krieger von den Kriegerwitwen waren allesamt im Krieg geblieben und da blieben sie auch für immer.

      Die alte Schwiegermutter von Stine Dirks war jedenfalls genau so hoch gewachsen und mager wie die „Stelze“, nur viel, viel älter. Und es mangelte nicht nur Line an gehörigem Respekt vor dieser knochigen Erscheinung. Nach Lines Meinung, sie könnte vielleicht sogar eine Hexe sein, fehlte ihr aber der Buckel, und es gab auf ihrer Nase auch keine Warze mit drei kräftigen Borsten und nicht mal einen schwarzen Kater an ihrer Seite.

      Auf dem Tresen der Gaststube stand ein großes Glas mit Sahnebonbons.

      Lines schlechte finanzielle Lage war für ihr Alter ganz normal.

      Nur selten kam sie an geringfügig Bares, und dann stand ihr Entschluss fest.

      Wenig später läutete über ihrem Kopf die Glocke, wenn sie die schwere Tür zur Gastwirtschaft öffnete. Dann stand sie endlich vor dem großen Bonbonglas in der Gaststube, in der es immer nach gebratenen Zwiebeln, Speckessen und kaltem Zigarettenrauch roch.

      Sie gruselte sich etwas und wartete ungeduldig auf das Schlürfen der Pantoffeln, das dann von hinten aus der Küche langsam lauter wurde und durch die Gaststube bis an den Tresen kam.

      Die alte Frau stand dann wenig später hoch aufgerichtet da.

      „Was willst du?“

      Die Frage kam barsch, mit Kindern sprach sie so.

      „Ich möchte für einen Groschen Sahnebonbons, bitte“, sagte Line laut und deutlich.

      Die Alte hörte gut, sehr gut sogar.

      Dafür sollte sie aber fast blind sein, wusste Line und war sich nie sicher, ob das stimmte, denn woher wusste sie, dass ein Kind in die Gaststube gekommen war?

      Konnte sie vielleicht doch noch ein ganz klein wenig sehen?

      Ihre wässrigen Augen sahen Line nicht an, sondern irrten durch die rauchgelben Gardinen vor den Fenstern der Gastwirtschaft hindurch, über die Kreuzung der schmalen Straßen und dann über die Weiden ins Weite.

      Lines Geldstück machte ein klackendes Geräusch auf dem Tresen.

      Die Alte nahm und befühlte es aufmerksam, machte einen schlürfenden Schritt auf das Bonbonglas zu, hob den Deckel und griff mit ihrer großen, knochigen Hand hinein.

      In ihrer geballten Faust befand sich Lines heißer Wunsch, der nun vor ihr auf den Tisch fiel.

      „Nimm dir fünf, mehr gibt’s nicht für dein Geld!“

      Das war ihr Befehl an Line, ohne sie dabei anzusehen.

      Wieder irrten die Augen der alten Frau ziellos durch den Gastraum und zum

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