Virus. Kristian Isringhaus

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Virus - Kristian Isringhaus

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hatte er wichtigere Gedanken. Er hatte im richtigen Augenblick auf den Auslöser gedrückt. Er hatte ein unglaubliches Foto geschossen. Die Zufriedenheit hierüber überwog jetzt über das Mitgefühl mit dem Professor.

      Dieses Foto war der Grundstein zu seinem Moment des Ruhms. Er entnahm seiner Kamera die Speicherkarte, steckte sie in einen kleinen, extra dafür eingerichteten Schlitz in seiner Schuhsohle, und legte eine neue Karte in die Kamera ein.

       4.

      Holger Petersen schnarchte. Er wusste es nicht, und wenn es ihm jemand erzählt hätte, wäre es ihm egal gewesen, wie ihm fast alles egal war. Zudem schlief er alleine, aber wahrscheinlich hätte es ihn auch nicht gestört, wenn jemand neben ihm gelegen hätte, denn Rücksichtnahme gehörte schon lange nicht mehr zu Holgers Tugenden.

      Das Telefon klingelte, vermochte Holger aber höchstens halb zu wecken. Nach dem fünften Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter, doch der Anrufer legte auf. Dann klingelte das Telefon erneut. Diesmal wachte Holger ganz auf und Wut überkam ihn. Wer wagte es, seinen Mittagsschlaf zu stören? Wer nahm sich das Recht? Erneut legte der Anrufer auf, als sich der AB meldete, und versuchte es erneut. Holger würde das aussitzen müssen.

      Er öffnete ein Auge und blickte auf den digitalen Radiowecker neben seinem Bett. 17:04 Uhr. Als der Anrufer es um 17:09 zum siebten Mal versuchte, griff Holger entnervt nach dem drahtlosen Telefon auf seinem Nachttischchen und nahm ab.

      Er versuchte seinen Namen zu nennen und scheiterte kläglich. Ein heiseres Grunzen war alles, was aus seiner Kehle drang. Wann hatte er seine Stimmbänder das letzte Mal benutzt? Gestern? Vorgestern? Er wusste es nicht mehr.

      „Holger, bist du das?” fragte der Anrufer. Es war Lars Metzger, Holgers ältester und inzwischen einziger Freund. Lars war bei der Kripo.

      „Müsste ich für in den Spiegel gucken, keine Ahnung.” Holgers Stimme war ein kleines bisschen besser. Noch immer heiser und eingerostet, aber mit Wohlwollen und Konzentration durchaus verstehbar.

      „Hör auf mit dem Scheiß und beweg deinen Arsch zum Kongresszentrum. Hier hat der Blitz eingeschlagen.”

      „Na und?”

      „Während eines Vortrags, Mann. Zweihundert Menschen waren in dem Saal und es gibt einen Toten. Die Umstände sind mehr als dubios.”

      „Und was habe ich damit zu tun?” Holger versuchte, sich seine eingerosteten Stimmbänder zunutze zu machen und versoffen zu klingen. Vielleicht wollten sie ihn nicht da haben, wenn er zu unrasiert klang.

      „Du bist in einer halben Stunde hier, das hast du damit zu tun!” Damit legte Lars auf. Er war der Einzige, der sich traute, so mit Holger zu sprechen. Erstens waren die beiden seit Kindergartenzeiten miteinander befreundet und zweitens konnte Holger es sich nicht leisten, ihn auch noch als Freund zu verlieren. Dann wäre niemand mehr da gewesen.

      Holger legte das Telefon auf das Nachttischchen zurück und steckte sich eine Zigarette an. Es gab also einen Toten. Die Polizei brauchte ihn mal wieder. Natürlich. Und wenn die Polizei einen brauchte, dann musste man springen. Klar. Konnten sie denn keinen anderen fragen? Natürlich nicht. In diesem blöden Kaff gab es keinen anderen. Wer war überhaupt auf die bescheuerte Idee gekommen, in diesem winzigen Ostseedorf einen G8-Gipfel abzuhalten? Manchen Menschen war wirklich nicht zu helfen.

      Mit einem lauten Missfallensgrunz stand Holger auf und ging unter die Dusche. Jede mögliche Abstellfläche in seiner eigentlich schönen, hellen und großzügig geschnittenen Drei-Zimmer-Wohnung war vollgestellt mit leeren Bierflaschen und vollen Aschenbechern. Er ging nicht mehr viel vor die Tür, doch in Ordnung und Sauberkeit konnte er ebenfalls keinen übergeordneten Sinn ausmachen. Eigentlich war sein Leben – oder das, was man gemeinhin als Leben bezeichnete – längst vorbei. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er erst vierunddreißig Jahre alt war.

      –––––

      Holger ging zu Fuß. Er besaß zwar ein Auto, aber das nutzte er so gut wie nie. In diesem Kaff brauchte man kein Auto. Das Kongresszentrum lag keine zehn Minuten von seiner Wohnung entfernt.

      Holger war einer der wenigen Anwohner, die innerhalb des eingezäunten Bereichs wohnten. Angrenzend an das moderne Luxusresort mit seinem Golfplatz gab es eine kleine Siedlung unmittelbar an der Küste, die die Investoren der Anlage am liebsten dem Erdboden gleichgemacht hätten, wogegen sich die Anwohner aber erfolgreich gewehrt hatten. Die Siedlung war ursprünglich einmal ein winziges Fischerdorf gewesen, doch nachdem die Fischerei in der Ostsee mehr und mehr zurück gegangen war und die großen Trawler den kleinen Fischern den Fang streitig gemacht hatten, war die Siedlung zu einer guten, modernen Wohngegend in fantastischer Lage umfunktioniert worden. Der Zaun hatte aufgrund der Nähe der Siedlung zum Hotel diese mit einschließen müssen.

      Als das Resort gebaut wurde, hatte Holger noch aktiv dafür mitgekämpft, dass die Siedlung bestehen bleiben durfte. Damals hatte es noch etwas gegeben, wofür zu kämpfen sich gelohnt hatte. Jetzt im Nachhinein erschien es sinnlos. Hätte er damals nicht gekämpft, wäre er jetzt nicht von einem Zaun eingeschlossen.

      Der kurze Spaziergang tat allerdings gut. Der frische Wind und der Regen in seinem Gesicht halfen ihm, der Schlaftrunkenheit Herr zu werden und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Nicht einmal die Kapuze seines Sweatshirts zog er über den Kopf. Zu ruinieren war an seiner Frisur sowieso nichts, denn gekämmt hatte Holger seine halbkurzen dunklen Haare seit Jahren nicht.

      Nach wenigen Minuten erreichte er das Kongresszentrum. Er hatte mit Einigem gerechnet, aber mit so einem Aufmarsch nicht. Feuerwehrfahrzeuge, Mannschaftsbusse der Polizei und unzählige Ambulanzen standen auf dem Parkplatz vor dem Gebäude und hüllten mit ihren zig Blaulichtern die Szenerie in ein unwirkliches Licht. Holger warf einen Blick auf die Nummernschilder der Krankentransportwagen. Einige waren sogar aus Rostock angefordert worden.

      Unmittelbar hinter dem Parkplatz verlief der Zaun, belagert von unzähligen Kameraleuten und Journalisten. Letztere besaßen ein hochentwickeltes Sinnesorgan, das dem normalen Erdenbürger nicht zur Verfügung stand. Es nahm Sensationen wahr, noch bevor sie wirklich auftauchten. Die Medienmeute hatte Witterung aufgenommen und kreiste nun wie Geier über einem dinierenden Löwenrudel, in der Hoffnung, dass etwas für sie übrigblieb.

      Noch hinter den Journalisten hatte sich eine ganze Horde von Globalisierungsgegnern eingefunden, die hochmotiviert und mit unerschütterlicher Moral ihre Parolen skandierten. Arme Irre, dachte Holger. Niemand interessierte sich für sie. Keine einzige Kamera war auf sie gerichtet und Politiker waren mit Sicherheit nicht mehr in der Nähe, wenn es einen Toten gegeben hatte. Doch Mitleid hatte Holger nicht mit ihnen. Er hasste dieses Pack.

      Ein Streifenpolizist riss ihn jäh aus seinen Gedanken und brachte ihn wieder in die Realität zurück. Der Mann kam ihm irgendwie bekannt vor. Wahrscheinlich hatte er ihn mal in der Kirche gesehen.

      „Guten Tag, Herr Pastor”, sagte der Polizist.

       5.

      Im Kongresszentrum herrschte ein babylonisches Chaos. Menschen rannten hektisch durcheinander und ineinander, umkurvten oder verschoben willkürlich herumstehende Krankentransportliegen oder Teile der Saalbestuhlung, stolperten oder standen anderen im Weg. Untermalt wurde die Szenerie von einem beachtlichen Lärmpegel. Um sich verständlich zu machen, musste man brüllen. Feststellungen, Flüche, Fragen, Antworten, Anweisungen und Aufforderungen vermischten sich zu einem einzigen einheitlichen Brei. Dazu lag der beißende Geruch von Verbranntem, Verkohltem und Verschweltem in der Luft.

      Die

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