Der Kronprinz des Selbstvertrauens. Markus Meisl

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Der Kronprinz des Selbstvertrauens - Markus Meisl

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gekommen, doch plötzlich hat sie mich wieder, die Melancholie; es ist die unnennbare Sehnsucht, die Neigung zum Endziel. Vorne hört man die Geräusche eines Ziehbrunnens; eine alte, gebückte Frau pumpt Wasser für die Blumen, sie ist neben mir die einzige auf dem Friedhof. Ich bin sehr schläfrig und habe das Gefühl, ich müßte mich ausruhen, vielleicht für Stunden, vielleicht für Wochen, gelehnt an einen Grabstein, begleitet vom monotonen Leiern eines Brunnens, ... ich glaube aber nicht, daß das der Normalität entspricht.

      Einige Stunden später ist Nacht. Ich erschrecke. Die Luft am Gesicht ist kühl und feucht; ich spüre, daß sie auch meinen Lederanzug durchdrungen hat, es ist das Gefühl von Kälte. Ich taste um mich, suche meinen Helm. Ich berühre die Einfassung eines Grabes, greife in das geschmiedete Eisen eines Kreuzes. Allmählich erlange ich meine Orientierung zurück; ich muß wohl viele Stunden geschlafen haben, denn das Geräusch des Ziehbrunnens hat aufgehört, auch die alte Frau ist verschwunden. Doch nun sind überall, illuminierende Schar, die Lichter der Toten erwacht.

      *

      3.Kapitel

      Herbst. Fünfzehn Grad im Schatten. Die Frauenwelt trägt Minirock. Ob wohl gebaut, Durchschnittsbau oder eine Dauerbaustelle – ein Mini darf es sein. Das Herbstmodell präsentiert sich unternehmungslustig und knapp, um einen Daumen breiter ist die Winterfassung. Und der nächste Sommer kommt bestimmt.

      Ich sitze hinter meinen Pflanzen - immer wieder flitzen Beine vorbei, in hochhakigen Stiefeln. Manchmal haben sie schwarze Strümpfe, manchmal farbige, das ist nicht immer ganz zu erkennen. Und Deckenlampen scheinen hell, während Bürogeräte fabrizieren das Lied der Arbeit.

      Meine Pflanzen haben im Laufe der Monate und Jahre beträchtlich an Ausdehnung gewonnen und ein lokales Kleinklima geschaffen; einmal am Tag gibt es Regen und Gewitter und alle Anfragen müssen draußen bleiben; nur mit Fräulein Blau gilt gesonderte Vereinbarung: ich falte einen kleinen Zettel und stecke ihn durch eine Ritze im Verbau, um meine Botschaft zu übergeben.

      „AUCH SCHON ALLE LUKEN DICHT GEMACHT? VORSICHT, NICHT VERGESSEN: SPEZIALANTENNE AUSFAHREN!“

      Es dauert ein wenig; da kommt ein Zettel zurück.

      „LUKEN GESCHLOSSEN, ALLE SYSTEME KOSCHER. NICHT VERGESSEN: GESCHÜTZE AKTIVIEREN ZUM GEFECHT!“

      Da nehme ich zwei Buntstifte, mit den Spitzen voran, klemme sie hinter die Ohren, lege meine Klammermaschine auf den Kopf und tauche langsam und voll mißtrauischer Blicke hinter der Trennwand auf, direkt vor Fräulein Blau – bis wir beide lachen.

      Es ist nämlich die ganze Woche Betriebsevaluierung; externe Kontrolleure bewegen sich durch alle Etagen, mit Bleistift und Notizblock, rauf und runter, links und rechts, bis in alle Kellerräume und überprüfen den Zustand des Gebäudes; die Arbeitsplätze, das Mobilar, die Maschinen, selbst die Papierollen auf der Toilette. Unser Chef läßt keine Gelegenheit aus, Mitarbeiter anzuhalten und anstehende Aufgaben zuzuführen; Frau Soundso, tun sie bitte das, Herr Soundso, sehn sie bitte nach, Herr Gerade da, da sie gerade da sind, usw., usw., ... da heißt es, klug sein.

      So vertiefe ich mich in die Akten, in die Matrix meiner Gehirnwindungen. Rechts neben der Pelargonie steht eine Kanne mit Kaffee, so muß ich nicht aufstehen und bleibe am Platz. Portionierte Milch und meine Vitamintabletten liegen in der Schublade. Nur Katheter hab ich keinen. Auch Fräulein Blau ist jetzt sehr beschäftigt und alle Scherze schweigen; aber überall herrscht jetzt Geschäftigkeit und Aufmerksamkeit für die Stunde.

      Da passiert etwas, tief in mir. Es ist von täglicher Konsequenz und plötzlich doch eine causa irritabilis: ich muß auf die Toilette. War das schon immer? Im alten Rom, bei den Ägyptern? Die Frage ist müßig, doch um sie nicht sofort zu klären, drücke ich meine Schenkel zusammen. Denn mein Bauchgefühl sagt deutlich: Vorsicht! Die Pfeile fliegen tief! So schreibe ich am Computer weiter, in unnatürlicher Haltung. Doch ich selbst, ein Freund der Natur, umgeben von Pflanzen, werde immer unnatürlicher, meine Haltung geschraubt. Schließlich ist Aufschub nicht mehr möglich und eine Entscheidung nötig: Sauberkeit geht vor Sicherheit. Ich strecke meinen Kopf hinter den Pflanzen hervor und prüfe die Lage; dann aber stehe ich auf, gebückt und mit schwingender Krawatte. Nun ist es ein Dringliches; ich hüpfe an den ersten Kollegen vorbei, passiere den Drucker, biege um den großen Gummibaum und fühle mich wie gezogen von der Türe mit dem großen H - für Herren. In gekrümmter Haltung beziehe ich eine der freien Kabinen. Rasch das übliche Prozedere, Riegel vor, drei Lagen Papier, Hosen runter, Feuerwehr Marsch - Sauberkeit vor Sicherheit. Das erkenne ich unter großer Erleichterung.

      Nach einer Weile betätigt jemand nebenan die Spühlung und tritt nach außen zum Händewaschen. Während dieses Vorganges erschallt ein Räuspern, streng und selbstbewußt. Und ich weiß, dieser Klang kann nur von zweierlei Herkunft sein: aus der Werkstatt meines Chefs oder von Micky Maus - eins von beidem.

      Nachdem die Person wieder gegangen ist, wärme ich noch ein wenig meine Sitzbrille. Denn Sicherheit, sie ist besser als die Gefährlichkeit ...

      ---

      Nach Rückkehr und weiteren Operationen am Schreibtisch empfängt mich das Lager. Ich muß meine Bestellungen kontrollieren und ob alles vorliegt, wie es der Computer verspricht. Hier ist es ruhig und warm und ich bin unsichtbar; mehrere Regalreihen mit schmalen Gängen und drei Etagen versperren den Blick. Betritt eine zweite Person das Areal, hört man es früh genug und das geschulte Gehör weiß mit der Erfahrung zu unterscheiden: Freund oder Feind.

      Ich inspiziere die Regale und mache bei jedem Teil, das sich mit der Liste deckt, einen Strich: Pissoirs, Toiletten, Bidets, etc.. Es verlangt Genauigkeit und Erfahrung, äußerlich sind es mitunter nur Kleinigkeiten, die ein Modell vom anderen unterscheiden, die sich aber im Grunde verhalten wie ein Ferrari und Minicooper. Und erklären sie das mal dem Kunden.

      Nach einer Stunde aufmerksamer Produktschau geht am äußersten Rand des Lagers die Türe. Ich halte inne, spitze die Ohren; Stimmen, etwas bewegt sich. Ist es die Evaluierung, einer von den Kollegen oder gar die Generalversammlung? Es ist mir noch unklar. Doch dann verebbt die Bewegung wieder, wie eine unschlüssige Brise. Die Türe schließt sich wieder.

      Jetzt greife ich an eine bestimmte Stelle im Regal, hebe den Deckel eines Spühlkastens und hole ein Bündel Zeitschriften hervor, Magazine, wie man sie kennt - zwischendurch erlaube ich mir, sie müssen nämlich wissen, ein wenig Auflockerung. Das muß sein. Denn durcharbeiten ohne Pause? Nicht mit mir!

      Die abgelichteten Damen in den Zeitschriften sind von gepflegter Art, durchwegs gewählt nach sinnlichen Kriterien. Eine liegt kokett am Strand und informiert mit versprechenden Blicken, eine andere wiederum hält sich die Brüste und ist lockscheu, wieder eine andere übt sich in einer Pose, die offensichtlicher nicht sein könnte. Die Bilder gefallen mir. Nur daß man die Körperbehaarung konsequent und an allen Stellen entfernt hat, ist bedauerlich. Manchmal mag es notwendig sein, doch im Grunde wirkt es zu sauber, wenn der Pelz verbannt wird. Fragen sie den Fachmann. Und unter jeder Dame ein Name - Dolly, Maria, Jenny, Lili, etc.. Dolly hat etwas Liebliches, Maria die größten Brüste, Lili ein opulentes Pearcing doch Jenny - Jenny ist die beste.

      Da geht am Eingang die Türe: Stimmen, Diskussionen, die Hauptkommission. Jetzt ist es soweit. Zwei Sekunden später sind die Magazine wieder im Versteck, neuer Rekord; denn jetzt, jetzt ist es Zeit. Ich nehme meine Unterlagen, drehe mich um und folge dem seitlichen Gang, für eine Weile; plötzlich in der Wand eine Geheimtür, aus der Entfernung nicht zu sehen - und ich verschwinde...

      ---

      Das zweite Ende des Fluchtweges befindet sich unter dem Treppenaufgang, hinter einem Schrank; die Türe wurde schon länger nicht mehr

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