Bodos zornige Seele. Kurt Pachl

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Bodos zornige Seele - Kurt Pachl

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hat auch keine Erklärung, warum es hier so gespenstig ruhig ist.«

      Bodo lauschte angespannt. Außer den Stimmen der Helfer in den ver­schmierten, weißen Overalls waren nur wenige Vogelstimmen zu vernehmen. Vor allem Raubmöwen kreisten und kreischten.

      »Sie haben recht«, sagte Bodo erschrocken.

      »Vor knapp zehn Tagen waren wir hier. Da war ein ohrenbetäubender Lärm. Wie sieht es dort oben aus?«

      Hinter dem Strandhafersaum begann eine Buschvegetation und dahinter erstreckte sich Wald; vornehmlich Nadelwald.

      Der Mann aus Greetsiel schüttelte mit dem Kopf.

      »Wir sind seit gestern Spätnachmittag hier und haben zunächst mit dem Sandstrand begonnen.«

      Bodo legte seine Hand freundschaftlich auf Balduins Schulter.

      »Sobald wir weiter westwärts geankert haben, werde ich umgehend nach­schauen, was da los ist.«

      Auf dem Weg zum Ankerplatz wurde eine genaue Arbeitsteilung festgelegt. Bodo und die Biologen Simone, Pierre, Zola und Carlotta würden einzeln eine Bestandsaufnahme im Inselinneren durchführen, und sich in einer Stunde wieder am Ankerplatz treffen. Der Rest der Crew sollte die Zelte errichten, und alles für die Säuberungsaktionen vorbereiten. Dreißig Helfer sollten unver­züglich damit beginnen, den Strand nach links und rechts von den Ölklumpen zu säubern. Die großen, weißen Plastiksäcke sollten sie verschließen und einfach stehen lassen.

      Die beiden blauen Fischkutter hatten drei Beiboote geladen. Darin sollten die Säcke in Schlepptau genommen werden. Das Boot von Maurice war mit einer Vorrichtung versehen. Mit dieser konnten die beiden Quads auf den Strand gesetzt werden. Ein Quad war sogar mit einer kleinen hydraulischen Gabel ausgestattet, mit welcher die Säcke oder weitere schwere Gegenstände mühelos angehoben werden konnten.

      Nach zwanzig Minuten gingen sie vor Anker. Alle hatten mit einer weitaus größeren Verschmutzung gerechnet. Vereinzelt lagen tote Vögel am Strand oder trieben im Wasser; Sturmtaucher, Tölpel, einige Pelikane und vor allem Aztekenmöwen. Bodo betrachtete einige Vögel etwas genauer. Sie wiesen nur kleinere Verölungen auf. Aber an diesen klebrigen Verunreini­gungen waren sie ganz bestimmt nicht verendet.

      »Hast du eine Erklärung für den Tod dieser Vögel?«, fragte Bodo Simone.

      Die blonde Biologin zuckte mit den Schultern.

      »Dass es das Öl allein nicht gewesen ist, hast du mit Sicherheit bereits fest­gestellt.« »Bin gespannt, wie es da drin aussieht«, sagte Bodo, und deutete in Richtung Wald. »Geh du voraus. Ich muss hier noch einige Aufnahmen machen.« Simone nickte.

      Bodo entnahm einen Fotoapparat aus einer größeren Umhängtasche, die er geschultert hatte. Er begann konzentriert Aufnahmen zu machen; vor allem Nah- und Makroaufnahmen. Es war Ewalds Fotoausrüstung. Immer wenn Bodo durch den Sucher sah, dachte er an Ewald. Was er wohl zu diesem Horror gesagt hätte? Bodo war immer wieder überrascht über sich selbst. Sah er schlimme Szenen mit seinen eigenen Augen, drangen diese Eindrücke viel tiefer. Doch sobald er durch den Sucher der Kamera schaute, war er damit beschäftigt, die richtige Blende einzustellen, den geeignetsten Blickwinkel auszusuchen, und achtete akribisch auf alle technischen Details. Tiere oder Pflanzen waren in diesem Moment Objekte. Erst bei oder nach der Bildbe­arbeitung – vor allem, wenn er Motive heranzoomte - kam der Schock, die Trauer und der Zorn – wie ein Hammerschlag. Der Strandhafer, die vielen zum Teil seltenen Grasarten und das Schilf hatten Trauerkleidung angelegt. Sie waren wie mit einem braunen, klebrigen Film überzogen. Der starke Sturm hatte die Gischt mit dem Ölfilm weit ins Landesinnere getragen. Die Nester der Strandläufer und weiteren seltenen Bodenbrütern waren mit diesem Film überzogen. Die Eier in den Nestern waren ebenfalls mit dieser klebrigen Masse versehen. Auf einem Gelege hockte die tote Mutter, die vergeblich versucht hatte, die Jungen zu hudern; sie vor dieser tödlichen Brühe zu bewahren. Vergeblich. Tote Jungvögel hingen aus den Nes­tern im Schilf oder lagen im Gras. Spätestens bei diesem Anblick musste sich Bodo zwingen, Aufnahmen zu machen.

      Fast wie in Trance tastete er sich weiter landeinwärts. Hier waren die ersten großen Nester der Pelikane. Auf dieser Insel legten sie ihre Nester halbhoch in kompakten Büschen oder in kahlen Bäumen an. Der Sturm hatte einige Nester heruntergeweht. In allen Nestern, die Bodo einsehen konnte, waren bereits Jungvögel; zwei bis drei Wochen alt. Sie waren alle tot. Von den Altvögeln war weit und breit nichts zu sehen. Bei den Braunen Pelikanen wechselten sich die Eltern im Brutgeschäft ab.

      Für Bodo gab es nur eine Erklärung:

      Nachdem einer der Altvögel nicht mit Futter im Kehlsack zurückkam, und die Jungen laut und hungrig bettelten, sah der am Nest wachende Elternteil keine andere Möglichkeit, als sich auf Futtersuche zu begeben. Die Evolution hatte dies so programmiert. Nur wenige erwachsene Pelikane waren zurückgekehrt und lagen tot am Boden. Einige hingen in den Zweigen; waren kraftlos aus dem Nest gefallen.

      Noch vor zwei Wochen waren die Braunen Pelikane in Scharen gekreist und wie auf ein Kommando aus zehn Metern oder gar aus zwanzig Meter Höhe mit angewinkelten Flügeln ins Wasser geschossen. Diese Pelikane unterschieden sich von ihren weißen Kollegen dadurch, dass sie tauchend jagten. Und ihre Rufe, bevor sie sich fallen ließen - dieses Kreischen, diese Lebensfreude ….

      Diese Bilder … diese verdammten Bilder … dieses verdammt schöne Konzert … Und plötzlich diese verdammte Stille – und diese verdammten Eindrücke.

      Nun stand Bodo mit hängenden Schultern inmitten dieser grauenhaften Szenerie. In seinem Leben hatte er bereits hunderttausende toter Wasservögel gesehen; viele von ihnen waren mit einem dicken Ölfilm überzogen gewesen. Sie hatten hilflos im Wasser gerudert oder lagen total ermüdet und am Verhungern am Strand. Nur ein verschwindend kleiner Teil hatte mit riesigem Aufwand gerettet werden können. Warum also gingen ihm diese Bilder heute so an die Nieren? Er hatte keine Erklärung. Seine Beine waren wie Blei. Hilflos stand er da - und begann zu weinen. Er setzte sich müde ins ölverschmierte Gras. Um ihn herum war es still; totenstill.

      Es war ihm nicht bewusst, wie lange er mit schweren Gliedern im Gras kauerte. Doch urplötzlich kam die Kraft wieder zurück.

      Du musst stark sein, sagte er zu sich. Du musst kämpfen. Das hast du doch gestern zu einhundert Aktivisten gesagt. Das hier muss Konsequenzen haben. Und fast wie ein Roboter fing er an, erneut Aufnahmen zu machen; von den Pelikanen, die in den Zweigen hingen, von den kleinen Küken, die mit dieser hässlichen braunen Brühe überzogen waren, von den verölten Gräsern, von Schmetterlingen und Libellen mit einer feinen Ölschicht überzogen; vom Tod - von der hässlichen Seite des Energiehungers.

      Diese Bilder waren grauenhaft. Und sie sollten schlimmer als tausend Worte sein. Sie sollten die fetten Herzen wie Geschosse durchschlagen, und in ihrer verdammten Seele stecken bleiben. Das sind Bilder, vor denen diese ekelhaften Söldner der großen Konzerne eine Scheißangst haben, dachte er. Gegen solche Bilder sind auch Richter und Schöffen hilflos.

      Iris sah ihn zuerst. Sie hatten Ausschau nach Bodo gehalten. Schließlich wollten sie sich alle nach einer Stunde wieder am Zeltplatz treffen. Der große und muskulöse Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst. Dieses Mal wirkte er nicht wie ein kraftstrotzender charismatischer Hüne. Man sah, dass ihm jeder Schritt schwerfiel. Sein Gesicht war aschfahl. In seiner rechten Hand hielt er einen Pelikan. Dessen Kopf baumelte bei jedem seiner Schritte.

      »Wir haben uns schon langsam Sorgen gemacht«, sagte Simone leicht vorwurfsvoll. Carlotta und Zola starrten Bodo mit riesigen Augen an. Mittler­weile hatte sich eine kleine Gruppe um den Mann mit dem toten Pelikan gebildet. Die deutsche Psychologin versuchte die Situation zu retten.

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