Schtraworski. John Otis
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Am nächsten Tag fühle ich mich wie ein Gespenst. Der Anblick des Todes hat mich dumpf und taub werden lassen, als ob ich in Watte verpackt wäre, als ob ich nur ein Mann wäre, der in meinem Kopf wohnt, aufm Sofa fläzt, Cola trinkt und unbeteiligt der Welt durch meine Augen zuguckt. Ich bin abgebrannt, aber das nächste mal wäre leichter. Den halben Weg bin ich schon gegangen. Nur so zu deiner Info, Nicklas.
Ich lauf durch die verwinkelten Gänge der Schule. Vor dem Klassenzimmer stehen Leute. Es ist abgesperrt. Wir müssen davor warten. Das hasse ich am meisten.
„Guten Morgen Nickita“, sagt Martin, mein Schänder. Ich sage nichts, lehne mich gegen die Wand. Da kommt Caroline Hintermeyer. Scharfes Teil. Martin glotzt sie an, macht keinen Hehl daraus. Ich hab auch schon lange ein Auge auf sie geworfen, nur leider würde sie wohl nicht mal Dreck auf mich werfen.
„Morgen“, sagt sie in die Gruppe. Man unterhält sich, ich versuche cool zu bleiben. In ihrer engen Hose sehe ich jede Rundung von Carolines Arsch. Am liebsten würde ich da rein beißen. Lieber nicht. Sie würde das nicht gut finden und mir vermutlich vor Schreck ins Gesicht furzen. Ich mach den Wandschrank auf, gesell mich zu den Jacken. Hinter den Holzgittern winke ich Caroline zu. Sie sieht mich nicht.
Herr Geyer kommt. Wedelt mit dem Schlüssel. Wir sind drin.
„Guten Morgen“, sagt Herr Geyer. Wir stehen alle auf und sagen:
„Guten Morgen, Herr Geyer.“ Was war das eigentlich für Scheiße? Immer das mit dem Aufstehen?
„Heut hau ich euch halt mal so was von die Physik um die Ohren, da guckter dann blöd“, sagt Herr Geyer, „aber erst gibt’s die Arbeiten zurück.“ Er verteilt sie einzeln. Ruft auf, gibt dem jeweiligen die Arbeit, sagt ein paar Worte. Herr Geyer ist angefressen. Warn beschissener Schnitt. Dann kommts zum S. Das bin ich und ich bin der einzige.
„Herr Stäufer“, ich geh nach vorne, „ 1-, beste Arbeit“, sagt er laut, guckt auf sein Tisch, mir fliegtn Wurstbrot an Kopf, Herr Geyer hats nicht gesehen, es ist aus weichem Brot, es landet lautlos.
„Beeindruckend“, sagt Herr Geyer, „wirklich beeindruckend. Nein echt, da kann was draus werden“, er nimmt seine Brille ab, guckt mir ins Gesicht, „alles ok?“ Fragt er, „sie sehen ein bisschen meschugge aus.“ Ich nicke bloß, zu mehr reichts nicht, greif mir die Arbeit, setz mich wieder.
In der Pause flitz ich davon, raus ausm Klassenzimmer. Jetzt hol ich mir das fette Sandwich. Das mit Mayo drauf und Salat und fingerdick Salami und dem ganzen Scheiß. 3.50 kostet das Riesenteil. Ich muss es mit beiden Händen halten und balancieren, um nicht umzufallen. Ich beiß in die Kruste rein, der Schlodder rinnt mir die Backen runter.
„Gut guhuuut“, sag ich leise. In den mit Schüler gepfropften Gängen schaut mich ne Fünftklässlerin seltsam an.
„Guck mal“, sagt sie zu ihren Freundinnen, „der redet mit seinem Essen“, die Schlampen glucksen und lachen. Gerne würde ich ihr die Gurken ins Gesicht pfeffern. Die mag ich sowieso nicht. Ich bin ein Feigling, ich lass es sein. Ich leck die Mayo von den Gurken und schmeiß sie auf den Boden. Dann haben wenigstens die Putzfrauen genug Arbeit.
Ich bin müde. Ab in die Katakomben. Der Unterbau. Da kommt kaum Tageslicht hin und man sagt dort unten spukt der Geist des alten Rektors. Der ist zwar noch nicht so wirklich tot, aber was solls? Gerüchte sind sowieso nur für Leute, dies mit der Realität nicht so genau nehmen, weil ihnen ihre eigene nicht gefällt.
Ich geh in einen der Aufenthaltsräume und leg mich auf den stinkenden Teppichboden. Das Sandwich neben mir. Ich beiß nochmal rein, kaue, schmatze.
„Sch sch“, sage ich und streichle es, „es wird alles ok werden...“
An meiner Backe klebt ne Salami. Und den Rest von meinem Sandwich frisst der Hausmeister. Er steht in der Tür und glotzt mich an. Ich muss wohl eingeschlafen sein.
„Mhhh“, sagt er und kaut, spült mit Wasser nach, rülpst.
„Die gute Heidi“, sagt er, „die macht die immer so gut mit ganz viel Wurscht drauf.“
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
„Hast Glück gehabt“, sagt der Hausmeister, „hätte dich fast eingesperrt.“
Er kommt mit, wir holen meinen Rucksack aus dem Klassenzimmer. Wie ich nach hause gehe, ist es schon dunkel. Und mein Vater sitzt in seinem tuntigen Rentierpuli am Tisch.
„17:30 Uhr: Abendessen“, sagt er und steht auf, „wie spät ist es jetzt?“
„Keine Ahnung“, sag ich.
„Es ist jetzt 18:10 Uhr“, sagt er.
In der Stille ist dieser kurze Moment reiner Aggression und schierem Hass und ich würde ihm am liebsten an die Gurgel springen. Er geht einen Schritt auf mich zu, ich fliehe in mein Zimmer, sperr die Tür zu. Er brüllt irgendwas. Warum stirbst du nicht einfach?
Ich kann nicht mehr schlafen. Oder nur dann, wenn ich es nicht sollte. Ich krieg keine Luft mehr. Ich reiß das Fenster auf und lehn mich hinaus. In Boxer-Short steh ich da, frier mir einen ab und der Mond blendet mich. Mit seinen Furchen und Gräbern sieht er aus wie das Gesicht eines Dämons. Ich starre drauf, bis das Licht vor meinen Augen tanzt und ich ne Latte krieg, weil ich an Caroline Hintermeyer denk. Ich hol mir einen runter und schäme mich danach.
2
Er schwankt. Die ganze Zeit. Er ist gefangen in der Ambivalenz der Eltern, zwischen Neid und Stolz. Deswegen ist es schwer ihn zu hassen und schwer ihn nicht zu hassen. Wir reden über die Zukunft, meine Zukunft.
„Was willst du vom Leben?“ Fragt mein Vater.
Ich bleib die Antwort schuldig. Keine Ahnung, vielleicht dass es aufhört?
„Dass es nicht mehr zum Kotzen ist?“, stammle ich. Er räuspert sich, schaut mich verlegen an, als ob er mich erst jetzt verstehen würde. Auch er bleibt eine Antwort schuldig. Vielleicht hasst er mich deswegen so sehr, weil er selbst keine Antwort hat.
Er blättert in seiner Zeitung, murmelt irgendwas, trinkt sein Kaffee, isst nen Keks.
„Die sind echt gut“, sagt er bloß.
Am Horizont verglühen die Wolken, die Sonne taucht sie in Scharlachrot und da vorne über dem See hängt der Nebel. Ich habe mir Zigaretten gekauft. Das mache ich manchmal. Wie ein kleines Kind versteck ich mich dann und rauche. Ich steh am Waldrand und zieh auf Lunge, kotz sie dabei halb aus. Mir wird schwindelig. 20 Meter weg, da vorne steht der Baum meines geplanten Ablebens. Keine Ahnung, warum ich hierher gekommen bin.
Er keucht wie Sau. Ich hör ihn lang bevor ich ihn seh. Sein Kopf wackelt, als ob er gar nicht festgemacht wär, seine Haare stehen in alle Richtungen. Er kommt die Böschung hoch, sein Atem kondensiert in der klirrenden Kälte. Irgendwie hab ich das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen.
„Hallo“, sagt Sammy.
„Was geht?“ Frag ich, hab das mal jemand sagen hören, das scheint mir gerade angebracht.
„Nich viel“, seine Augen werden zu kleinen Schlitzen, der rote Himmel blendet ihn, er grinst.