Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.
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Wagner.
Wenn es einen deutschen Komponisten gab, den Carola zutiefst verachtete, dann war es Wagner. In ihrem Kopf verknüpften sich sofort im Stechschritt marschierende Soldaten mit infernalischem Kriegsgetümmel. Und sie sah Menschenmassen, betäubt von blindem Gehorsam. Im Berliner Olympiastadion sah sie Menschen einem kleinen Männlein aus Österreich zujubeln. Des deutschen Größenwahns musikalische Analogie. Das bedeutete Wagner für sie.
Doch das konnte sie ihr so nicht sagen.
»Wagner? Nun, da liegt unser Musikgeschmack ein wenig auseinander«, sagte sie mit einem Ton, dem man im Grunde genommen seinen schaudernden Unterton anhören musste. Frau Schmitt-Wienand war allerdings so mit dem befüllen ihres Tellers beschäftigt, dass sie den nicht bemerkte.
»Wie war denn Ihr erster Tag, Frau Dr. Pütz?«, fragte sie, nachdem sich die beiden Frauen an ihren angestammten Platz gesetzt hatten.
»Wie war mein erster Tag? Stressig war er. Auf der Arbeit habe ich nicht so viele Termine«, antwortete sie.
»Das legt sich mit der Zeit. Werden Sie noch sehen, meine Liebe.«
Frau Schmitt-Wienand schien nicht bei der Sache. Auf dem Bauernbrot stapelte sie grünen Salat, Käse, mehrere Scheiben Salami und krönte das Ganze mit einer Spreewaldgurke. Der erste Bissen landete trotzdem gekonnt in ihrem Mund.
Carola hatte sich für eine warme Variante des Abendessens entschieden. Auf einer noch dampfenden Folienkartoffel lag eine gehörige Portion Quark mit Kräutern. Daneben lagen zwei Scheiben frischgebackenes und köstlich duftendes Brot.
In diesem Moment gesellte sich Krawuttke an ihren Tisch.
»N‘ Abend, die Damen. Wie geht es Ihnen?«
Eine nur gemurmelte Antwort von Frau Schmitt-Wienand. Carola antwortete artig, dass es ihr gut gehe. Von der Bühne drang plötzlich Musik herüber. Instrumente wurden gestimmt. Schlagartig wurde das Stimmengewirr im Saal leiser.
»Oh, wie schön«, frohlockte Carola, »wir bekommen Tischmusik geboten.«
»Hoffentlich ist es nicht wieder Schubert, sie spielen hier immer nur Schubert. Auf die Dauer ist das langweilig.«
Auf der Bühne hatte sich das Quartett sortiert. Schwarz gekleidet, mit Fliege und weißen Hemden, saßen die Vier auf ihren Stühlen. Die Musiker suchten noch kurz Augenkontakt untereinander und begannen zu spielen.
Carola überhörte den unpassenden Kommentar von Frau Schmidt-Wienand. Schubert schien ihr passender als Wagner. Warum sollte auch hier jemand Opernarien singen?
Flöte, Gitarre, Bratsche und Violoncello: Sie spielten etwas Beschwingtes von Schubert.
Ihre Tischgenossin rollte gelangweilt mit den Augen.
»Wie haben Sie denn geschlafen?«, fragte Krawuttke, der sich mit einem bescheiden gefüllten Teller neben sie an den Tisch setzte.
»Oh, danke der Nachfrage, sehr gut. Das Bett ist vorzüglich«, antwortete Carola.
»Es sind andere Musiker als sonst«, sagte Krawuttke mit einem Blick auf die Bühne.
»Aber schon wieder Schubert!«
»Sie sind auch mit nichts zufrieden, meine Liebe. Solange se nich‘ singen, sondern nur Kammermusik spielen, ist dat doch völlig in Ordnung«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln.
Carola war schuld daran, dass der Abend trotzdem noch in eine positive Richtung driftete. Sie hatte es geschafft, die Tischgenossen in ein Gespräch abseits der Musik zu ziehen. In diesem Gespräch erfuhr sie, dass Frau Schmitt-Wienand verwitwet war. Der Verursacher des Doppelnamens, Herr Wienand, hatte schon das Zeitliche gesegnet.
Sie war von Beruf Lehrerin. Genauer gesagt, Musiklehrerin an einem Gymnasium. Und stolz darauf, die Letzte an ihrer Schule gewesen zu sein, die eine Klasse durch die Oberstufe geführt hatte. Die Aufklärung, welches Lehrfach sie unterrichtet hatte, rang Pütz ein kleines Schmunzeln ab.
Daher kam also ihre Vorliebe für Wagner.
Seit dem Sommer war sie in Pension. Sie weilte in der Klinik, um ihren aus den Fugen geratenen Stoffwechsel neu einzunorden.
Herr Krawuttke stellte sich als Klempnermeister aus dem Ruhrpott vor. Genau wie Carola hatte er einen Herzinfarkt erlitten, den er zu einhundert Prozent seinem Chef zuschrieb, der ihn von einer Baustelle zur nächsten gehetzt hatte. So lange, bis sein Herz einfach in den Streik trat. Er war froh darüber, dass er jetzt kräftig ausspannen konnte, so drückte er sich aus.
Danach stünde die Entscheidung an, ob er jemals wieder arbeiten gehen würde. Das gab ihm gefühlt die Oberhand über seinen ungeliebten Chef.
Der Abend flog dahin. Sie bekamen noch nicht einmal mit, dass die Musiker das Spielen einstellten. Erst als die Reinigungskräfte die Tische zu säubern begannen, stellten sie das erstaunt fest und verabschiedeten sich.
Carola überraschte das, denn sie war sonst die personifizierte Aufmerksamkeit, allein schon wegen ihrer Zählmacke. Nach einer ausgiebigen Dusche versank sie schlaftrunken in ihren Kissen und wurde erst wieder unsanft durch das Klingeln des Weckers aus dem Schlaf gerissen.
Auf dem Programm stand Morgenschwimmen.
*
Der Kalender vermerkte den ersten Dezember. Außer dem morgendlichen Schwimmen würde am heutigen Tag nicht viel passieren. Es war Samstag und ihr zweiter Tag in der Klinik. Die Vorfreude auf das Konzert am Sonntagabend ließ sie die Zeit vergessen, die sie bis dahin nahezu untätig hinter sich bringen musste.
Sie suchte sich ihren züchtigen Badeanzug aus. Beinahe hätte sie den mit dem tieferen Ausschnitt gewählt, den Gedanken aber doch verworfen, weil sie nicht in den Ruf kommen wollte, den Bademeister gleich am ersten Tag bezirzen zu wollen. Über den unifarbenen Badeanzug, der so gut zu ihrer Augenfarbe passte – sie musste zugeben, dass das mit ein Grund für den Kauf war – zog sie sich den Bademantel, den sie in ihrem Badezimmer vorgefunden hatte. Auf der linken Seite prangte das Logo der Klinik. Mit einem weißen Badehandtuch über der Schulter machte sie sich auf den Weg zum Hallenbad.
Es waren achtzehn Frauen und drei Männer, die an diesem Morgen im Wasser des Hallenbades strampelten. Der Bademeister mit den Preisboxermuskeln stand am Beckenrand und kommandierte. Er hieß Konstantin Ferner. Das Becken war so in Aufruhr, als würde ein Schwarm Piranhas ein Opfer fressen.
Jeder hatte eine flexible Schaumstoffstange vor sich und strampelte mit den Beinen. Die von Carola war orange, sie hing darin wie auf einer Kleiderstange. Konstantin Ferner hatte die einundzwanzig Gesichter vor sich.
Aufmerksam.
Die Frauen versuchten sogar noch im Wasser mit ihm zu flirten. Die Männer machten da natürlich nicht mit. Sie absolvierten ihre Übungen ohne Spaß, ebenso ohne Hintergedanken. Auch Carola Pütz hatte keine. Sie trieb jetzt auf dem Rücken, ohne solch ein verklärtes Grinsen wie ihre beiden Nachbarinnen. Ihnen war anzusehen, wonach sie sich sehnten. Sie schienen vor lauter Verlangen fast zu platzen. Das war es, worum es bei einer Kur auch ging. Sex. Viele kamen hierher, um sich einen Kurschatten zu angeln. Carola hatte