Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.
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Der Schneefall hatte nachgelassen. Das fiel ihr auf, als sie den Gang durchquerte. Draußen war der Hausmeister damit beschäftigt, den Weg mit einem Fahrzeug vom Schnee zu befreien. Sie hielt kurz inne und sah, wie er den Schnee zu einem Haufen auftürmte. Das Fahrzeug sah aus wie ein kleiner Bagger, vorne mit einer Schaufel versehen.
Nachdem man ihr am Empfang versichert hatte, sie könne ihr Kleid am späten Abend abholen, ging sie zum Speisesaal. Warum auch immer. Möglicherweise, weil die Tür einen Spalt offenstand. Es war viel zu früh für das Abendessen, selbst die Angestellten waren noch nicht mit den Vorbereitungen zugange.
Sie öffnete die Tür und ging hinein. Ohne Menschen hatte der Speisesaal etwas von einem Theatersaal. Stellte man die Bestuhlung anders auf und entfernte die Tische, so hatte man ein wunderbares Auditorium. Die schweren Kristalllüster in Verbindung mit der hohen Decke verliehen dem Speisesaal das Aussehen eines ehrwürdigen Theaters. Sie stellte sich vor, wie auf der Bühne ein Theaterstück aufgeführt wurde, als sie plötzlich Stimmen hörte. Sie kamen aus einem kleinen Raum, der sich rechts neben der Bühne befand, dort stand ebenfalls die Tür offen. Carola Pütz ging vorwitzig näher. Die Stimmen klangen aufgeregt, aber trotzdem gedämpft.
War das ein Streitgespräch?
Sie stieg leise die Stufen zur Bühne hoch und ging auf Zehenspitzen in Richtung Tür. Siebzehn Parkettfliesen bis zur Tür. Sie blieb stehen, lauschte.
»Wir müssen vorsichtig sein. Jetzt, wo die Polizei hier herumschnüffelt, können wir nicht so weiter machen«, flüsterte die eine Stimme.
Weiblich.
»Ich habe meine Aufträge, ich kann jetzt nicht plötzlich aufhören. Es war klar, dass die Frau Doktor die Polizei einschaltet. Das war dir auch vorher schon klar«, antwortete ein Mann mit zischender Stimme.
Das kann nicht wahr sein!
Carola Pütz erstarrte. Wie es aussah, standen jetzt, keine vier Meter entfernt, nur durch die Tür von ihr getrennt, die mutmaßlichen Diebe. Ein Mann und eine Frau. Sie versuchte sich den Tonfall und die Klangfarbe der Stimmen einzuprägen.
»Und ich sage dir noch einmal, du hörst auf damit. Wenigstens so lange, wie die Polizei ermittelt. Ich habe keine Lust, wegen dir meine Anstellung zu verlieren.« Sie klang sehr aufgeregt, ihre Stimme überschlug sich.
Die Frau war angestellt. Sie sprach nicht von einem Job. Sie war hier in der Klinik also nicht nur als Aushilfe beschäftigt. Carola Pütz zog sich zurück. Einerseits war sie neugierig, andererseits bekam sie Angst. Sie hatte in ihrem Leben schon viele Kriminelle erlebt, doch waren diese in der Regel tot. Mausetot. Diese beiden aber waren quicklebendig.
Und vielleicht gefährlich.
Auf leisen Sohlen schlich sie die Treppe herunter. Fünf Stufen. Zwanzig Meter bis zur Tür. Geschickt umkurvte sie die Tische, die schon für den Abend eingedeckt waren. Noch zehn Meter bis zur Tür. Dann würde niemand sie bemerkt haben. Sie war sich sicher, die Stimme im Laufe der Zeit zu erkennen.
Plötzlich ertönte von der Bühne eine laute, ungehaltene Stimme: »Der Speisesaal ist noch nicht geöffnet. Wie kommen Sie denn hier rein?«
Carola Pütz hielt in der Bewegung inne.
Mist. Wenn ich mich jetzt umdrehe, sehe ich eine Diebin.
Die Frau sprach zu ihr. Ganz langsam drehte Carola Pütz sich herum, blickte zur Bühne herüber.
Herzklopfen.
Auf der Bühne stand eine Frau mit in die Hüften gestemmten Armen. Mit dem Blick, den sie Carola Pütz zuwarf, hätte man Tote erwecken können. Sofern das machbar war.
Es war Franziska Eichhorn.
»Entschuldigung«, sagte Pütz, »Die Türe stand offen. Ich finde den Raum so unvergleichlich, da bin ich hineingegangen. Ich wusste nicht, dass das verboten ist.«
Sie versuchte, ein normales, unbeteiligtes Gesicht zu machen.
Franziska Eichhorn wurde in dem Moment bewusst, dass sie einen Kurgast nicht so anfahren konnte. Ihr war der Schreck in die Glieder gefahren, als sie Carola dort im Speisesaal sah. Normalerweise waren die Türen bis eine Viertelstunde vor Beginn der Essenszeit geschlossen. Eine der Putzfrauen hatte sie wohl nicht abgesperrt.
»Nein, sicherlich ist es nicht verboten. Schauen Sie sich nur um«, sagte sie und fragte sich, ob die Frau wohl etwas gehört hatte. Ihre Stimme war nun nicht mehr so barsch.
»Vielen Dank, aber ich habe alles gesehen, was ich sehen wollte«, sagte Carola vielsagend und ließ die Frau auf der Bühne stehen. Sie drehte sich um und verließ schleunigst den Speisesaal. Franziska Eichhorn warf ihr einen misstrauischen Blick hinterher.
Während Carola Pütz zurück zu ihrem Zimmer ging, überlegte sie, was sie tun sollte. Die Polizei informieren? Die Klinikleitung informieren? Wer weiß, vielleicht steckten noch mehrere Angestellte mit diesen beiden unter einer Decke. Sie verwarf den Gedanken.
Abwarten.
Vielleicht war ja auch alles ganz anders.
Der Mann könnte ja auch etwas total harmloses gemeint haben. Wäre da nicht das Wort ‚Auftraggeber‘ gewesen.
Egal. Sie würde abwarten. Zu gegebener Zeit konnte sie mit ihrer Entdeckung vielleicht punkten.
Zurück in ihrem Zimmer, spürte sie eine innere Erregung. Beinahe so wie bei einer plastischen Rekonstruktion. Ganz am Anfang. Wenn noch nichts geklärt war. Wenn der nackte Schädel vor ihr stand. Forschergeist. Fühlte sich so ein Detektiv? Ihr gefiel der Gedanke.
*
Über Nacht taute der Schnee. Auch war es nicht mehr so kalt wie am Vortag. Carola Pütz öffnete das erste Mal, seitdem sie ihr Zimmer bezogen hatte, die Tür und trat hinaus auf den kleinen Balkon.
Man konnte nicht sagen, es sei mild, aber die Luft schien einmal komplett ausgetauscht worden zu sein. Heute war der erste Advent. Ein wenig Schnee hätte dem Tag gut zu Gesicht gestanden.
In der Eingangshalle brannte die erste Kerze an dem riesigen Adventskranz, der seit dem gestrigen Abend unter der Decke hing. Echte Kerzen wären stilvoller gewesen, doch seit einem Adventskranzbrand Ende der Achtzigerjahre war mit dieser Tradition gebrochen worden. Seitdem gab es täuschend echt aussehende elektrische Kerzen.
Diese waren sogar der neuesten Generation angehörend und reagierten auf ein Signal der Fernbedienung. Keine lästigen Kabel mehr. Den meisten Gästen der Klinik fiel dieser Unterschied nicht auf. Man brach in der Klinik nicht gerne mit althergebrachten Traditionen, aber in diesem Fall setzte sich der damalige Hausmeister, unterstützt von der Feuerwehr, gegen die Verwaltung durch.
Auch im Speisesaal befanden sich ein paar kleinere Adventskränze.
»Hätte der Schnee nicht liegen bleiben können?«, fragte Frau Schmitt-Wienand mit einem Anflug von gekünstelter Trauer in der Stimme.
»Ja, da muss ich Ihnen recht geben. Ein Advent ohne Schnee ist nicht schön. Gerade, wo man doch hier