Four Kids. Byung-uk Lee
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Streunende Hunde verfolgten ihn und er scheute sich nicht, das stinkende Fell zu streicheln. Nur zwei begleiteten noch ein Stück seines Weges, bis auch sie das Interesse daran verloren und sich wieder dem Schnüffeln an Mauern, dem Durchwühlen von Müll und dem Kläffen widmeten. Im Labyrinth aus schmalen Wegen verirrte er sich schnell. Trotzdem schlich sich keine Panik in sein Gemüt, sondern eher Genugtuung. Einige alte Damen kreuzten seinen Weg, auf ihren verjährten Rücken Körbe geschnallt, die mit Chinakohl und Rettich gefüllt waren. Haekwon stellte mit Freude fest, dass seine Begrüßung mit gleicher Freundlichkeit erwidert wurde. Und so nahm er zwei Damen die Körbe ab und trug sie ein Stück der Strecke. Vor einem maroden Haus legte er sie ab und sie bedankten sich für seine Hilfe. Faltige Hände klopften ihm auf die Schulter. Diese aufrichtige Geste zeigte Haekwon umso mehr die verlogene Kälte der Wohlhabenden. Es war das Aufrichtigste, was er jemals erfahren hatte. Tief im inneren Kern dieser Armut erkannte er den Kern der Menschlichkeit, nach dem er solange gesucht hatte. Diese Leute besaßen fast nichts, aber dennoch führten sie ein erfüllteres Leben als sein Vater, der König der Schreibwarenartikelindustrie, jemals führen würde. Jeden Abend kam Hee-Chul völlig aufgelöst von der Arbeit und saß bis in die Nacht apathisch auf dem Sofa, die Stirn von Sorgenfalten zerfurcht. Noch nie hatte Elend eine so luxuriöse Verpackung gehabt. Im Haifischbecken musste man sich behaupten, damit man nicht gefressen wurde. Dieses Leben hatte Haekwon nie gewollt. Er wurde einfach in diese Schlucht hineingestoßen. Nun kam er nicht mehr hinaus, egal wie hoch er kletterte. Doch Mitleid verlangte er keines. Denn ihm war durchaus bewusst, dass ihm ein Leben in die Wiege gelegt worden war, das andere Menschen anstrebten und doch nie erreichen würden. Mit einem seltsamen Gefühl verließ er das Viertel, um wieder in seine Glitzerwelt einzutauchen, die von unzähligen Sendern als Daily Soaps ausgestrahlt und von den Ärmeren mit Bewunderung angesehen wurden.
Es war dunkel in der Wohnung. Haekwons müder Blick schweifte über die vielen Umrisse, die teure Ledersofas, Holzschränke aus Mahagoni und Lampen aus deutschem Porzellan erzeugten. Auch ein menschlicher Umriss war zu sehen. Hee-Chul, sein Erzeuger, saß auf dem Sofa und hatte ein Whiskeyglas in der Hand.
„Wo ist Mutter?“, fragte Haekwon den schwarzen Fleck.
Trotz der Dunkelheit erkannte er, dass Hee-Chul immer noch in seinen Geschäftsanzug gezwängt war. Er schwieg zunächst und nahm einen Schluck Whiskey.
„Setz dich erstmal. Wir müssen reden.“ Haekwon besorgte die Ernsthaftigkeit, die in der Stimme lag. Er war noch berauscht vom Bier. Vermutlich genauso berauscht wie sein Vater. Trotzdem hoffte er, dass Hee-Chul den Biergestank, der seine Speiseröhre wie eine unangenehme Befürchtung hochkroch, nicht bemerken würde.
„Nun“, fing Hee-Chul an und stellte das Glas auf den Tisch ab, „deine Mutter und ich machen uns Sorgen wegen dir.“
„Weswegen?“
„Es geht um deine Zukunft. Wenn du nicht mal deinen Schulabschluss schaffst, wie willst du dann die Universität absolvieren. Du solltest dir mal ernsthafte Gedanken darüber machen. Ich will meine Firma nicht an dich übergeben, wenn du keinen akademischen Abschluss hast.“
Haekwon wusste, dass der ruhige und bereits leicht lallende Ton die Ruhe vor dem Unwetter war. Es erschien ihm fast schizophren, als sein Vater ihm die warme Hand auf den Rücken legte, vertrauensvoll und warnend zugleich.
„Nächstes Jahr werde ich es bestimmt schaffen. Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.“
„Aber wie?“, stöhnte Hee-Chul lauter und lehnte sich wieder zurück. „Wenn du nicht den ganzen Tag draußen rumlungerst und Blödsinn treibst, sitzt du stundenlang vor dem Computer, statt zu lernen. Ich will keinen Taugenichts als Sohn haben. Hast du das verstanden? Wenn du keinen Abschluss hast, bist du nicht mehr mein Sohn.“
Haekwon antwortete mit Schweigen und ließ seinen Vater ratlos zurück. Instinktiv schaltete er seinen Laptop ein, um Trost in den Weiten des Internets zu suchen. Unverhofft ploppte ein Chatfenster auf.
Browneyes55: Sorry, habe unseren Termin völlig verpennt.
Bluebird27: Nicht schlimm. Hatte sowieso andere Pläne.
Browneyes55: Ach ja, welche denn?
Bluebird27: Habe mich mit Leuten getroffen.
Browneyes55: Sicher, dass du nicht sauer bist?
Bluebird27: Ja
Browneyes55: Trotzdem möchte ich es wieder gut machen. Ich gib dir ein Essen aus. Eine Portion von Gyeongs berühmten Nudeln.
Bluebird27: Das brauchst du nicht.
Browneyes55: Doch ich will es aber. Und ich habe dir was Wichtiges mitzuteilen.
Wie Worte doch die Stimmung eines Menschen verändern konnten. Die milde Dankbarkeit der alten Gemüsedamen schlug in Zufriedenheit um, die mahnende Ansprache seines Vaters bedrückte ihn und machte nachdenklich. Neugier und Vorfreude waren es nun, was Haekwon empfand. Es war für ihn ein Tag gewesen, an dem er alle Gefühle dieser Welt verspürte, ohne jemals einen festen Bezug zu ihnen zu entwickeln, als wäre er einfach ein stummer Zuschauer. Erschöpft legte er sich ins Bett und drückte seine Ohrmuschel gegen die Wand. NICHTS. Heute gab es keine Daily Soap, keine Streitigkeiten an diesem Abend. Anscheinend hatte der Alkohol Hee-Chuls Geist gefügig gemacht. Haekwon hasste seinen Vater zwar nicht, aber dennoch ertappte er sich dabei, wie er Verachtung empfand, die ihn auf Distanz zu ihm hielt. Gelegentlich schämte er sich, weil er so fühlte. Ertappt von seinem eigenen Gewissen wie es oft Ladendieben erging. Seine Mutter liebte er über alles. Verhätschelt hatte sie ihn dennoch nie. Das war es, was er an ihr am meisten mochte. Die liebevolle, aber dennoch rationale Beziehung zu ihr.
Fliegende Worte
„Hast du dir schon mal gewünscht, jemand anderes zu sein?“
Heute hatte sie ausnahmsweise nicht ihre Schuluniform an, was Soo-Jung befremdlich vorkam. Sie saßen auf einer Mauer und blickten in den aschgrauen Himmel. Die dichte Wolkendecke löste sich nur zähflüssig auf. Darunter eine Ansammlung spärlicher Behausungen, die von schmalen Wegen als Geiseln genommen wurden. Die Armut kroch den steilen Hügel hinauf und verschwand in der Weite, als würde sie vor sich selbst flüchten.
„Nein“, war seine kurze und zögernde Antwort gewesen.
Ihr Seufzer klang nach Erleichterung. Soo-Jung schaute ihr Ernst in die Augen, bis sie ihren Blick von ihm abwandte. Es war das dritte Treffen mit ihr und er genoss die Zeit ohne Hektik.
„Willst du denn jemand anderes sein?“
Auch sie grübelte lange darüber nach, als wenn sie eine lebenswichtige Entscheidung treffen müsste. Mit den Hacken ihrer Turnschuhe schlug sie gegen die marode Mauer, sodass der Putz unauffällig runterrieselte. So schüchtern und leise wie sie.
„Manchmal