Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban

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Adler und Leopard Gesamtausgabe - Peter Urban

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verließ die Downing Street mit einem unguten Gefühl im Magen. Der Termin mit Pitt hatte nur einen einzigen Zweck gedient: ‚Sie‘ wollte herausfinden, wer diese unbekannte Größe aus Indien wirklich war, denn irgendjemand hatte irgendwelche undurchsichtigen Pläne mit ihm. Er konnte sich nur noch keinen Reim darauf machen. Arthur verstand sehr gut, dass er gerade eben nicht Englands Premierminister getroffen hatte, sondern als Freimaurer von einem anderen Freimaurer an seine Pflichten und den Schwur erinnert worden war. Die britische Armee war durchsetzt mit Freimaurer-Logen. Vom gemeinsten Soldaten bis hinauf zu den höchsten Offiziersrängen verbargen sich hinter so gut wie jedem roten Uniformrock das Lot und der Stechzirkel. Arthur machte hier keine Ausnahme. Doch im Lauf der indischen Jahre hatte er ein distanziertes Verhältnis zum Freimaurertum entwickelt. Es missfiel ihm das ‚Sie‘ versuchten, sie auf allen Ebenen in die Politik des Landes einzumischen. Sie übten einen ungesunden Einfluss auf Großbritannien aus. Damit verrieten ‚Sie‘ in seinen Augen ihre Ideale und die Grundsätze der Alten Pflichten. Auf dem Rückweg nach Richmond Palace gingen ihm die Worte des Premierministers durch den Kopf und vor allem die von Castlereagh.

      Arthur war seinen Freunden gegenüber nie misstrauisch. Castlereagh zählte er dazu, denn sie hatten schon als vier- oder fünfjährige Kinder zuhause, drüben in Irland miteinander gespielt. Und auch der Premierminister war jemand, der seit Arthurs Kindertagen zum engsten Umfeld der Familie zählte… und sie waren alle Iren. Trotzdem hatten Castlereagh und Pitt versucht, ihn zu manipulieren. Arthur fühlte sich bei diesem Gedanken plötzlich unwohl: Sein Soldatenleben in Indien war so einfach gewesen; er hatte sich nie mit politischen Spitzfindigkeiten und Ränkespielen aufhalten müssen. Seine Vorgesetzten hatten sich damit begnügt, ihm aus der Ferne ein paar Befehle zu erteilen. Dann hatten sie ihm die Entscheidung überlassen, wie er diese Befehle ausführte. Genauso war es gelaufen, wenn er mit lokalen Machthabern verhandeln sollte: eine knappe Leitlinie und den Rest hatte man in seine eigene Hand gelegt. Hier in London erkannte er nun plötzlich schmerzhaft, dass das Leben doch vielschichtiger war, als einfacher Befehl und Gehorsam oder Schwarz und Weiß. Er erkannte auch, dass diese Situation ihn gänzlich unvorbereitet traf. Zehn Jahre lang hatten sie alle ihn an einer sehr langen Leine laufen lassen. Und nun wollten sie ihn plötzlich hart an die Kandare nehmen? Arthur saß nachdenklich auf der Bettkante und starrte auf die schwarzen Wasser der Themse hinunter. Von hinten legten sich plötzlich sanft zwei Arme um seine Schultern und er schrak aus seiner Grübelei hoch.

      „Was ist mit Dir los? Ich klopfe seit zehn Minuten gegen die Tür und Du sagst keinen Ton.“, Sarah trug ein einfaches dunkelgraues Kleid mit einem weißen Spitzenkragen. Sie musste gerade erst aus ihrem Krankenhaus oder von der Universität nach Hause zurückgekommen sein.

      „Ich denke nach!“, seufzte Arthur unglücklich. „Du machst Dir wieder einmal Sorgen.“ Sarah setzte sich neben ihm auf die Bettkante, „Möchtest Du darüber reden?“ Arthur betrachtete interessiert den Boden: „Eigentlich nicht, wenn ich es irgendwie vermeiden kann.“ Die junge Frau verzog belustigt den Mund. „Was hast Du heute Abend vor?“, fragte sie. Arthur runzelte die Stirn. Dann grinste er einen Stoß Karten und einen Haufen Papier auf seinem Schreibtisch an. Ein kurzer Augenblick des Nachdenkens genügte und er antwortete entschlossen. “Nichts!“

      „Wir haben unser monatliches Abendessen am Lehrstuhl. Das ist eine muntere Angelegenheit. Und Du könntest gleichzeitig noch das Versprechen einlösen, das Du McGrigor in Lambeth gegeben hast. Du erinnerst Dich doch noch?“ Die beunruhigenden Gedanken, die Wellesley seit seinem Gespräch mit Pitt verfolgt hatten, waren auf wundersame Weise verschwunden. Das Kartenmaterial über Napoleon Bonapartes Italienfeldzug, das er sich aus dem Generalstab als Nachtlektüre mitgenommen hatte, hatte plötzlich seinen ganzen Reiz verloren. “Ich halte meine Versprechen immer ein, Sarah.“, sagte er.

      Beim Abendessen im Hause von Professor McGrigor ging es laut her. Seine Assistenten debattierten hitzig miteinander. Sie stritten sich zwischen zwei Gläsern Wein, wie die Rohrspatzen. Man verhörten Arthur respektlos zu Krankheiten, denen er in Indien begegnet war. Ihr Lehrmeister schmunzelte vergnügt über sein Glas hinweg in die Runde. Er griff nur ein, wenn die Diskussion auszuarten drohte oder man den Gast aus der Armee zu sehr bedrängte. Sarah war so in ihrem Spiel gefangen, dass sie Arthur vergessen zu haben schien. In einem völlig unverständlichen Fachjargon legte sie sich mit einem schnauzbärtigen Schotten namens Hume an. Ihre Wangen glühten. Sie ähnelte wieder dem kleinen Hitzkopf, dem er vor vielen Jahren Dornen aus den Fingern gezogen hatte, weil sie es bei irgendeinem unerlaubten Vergnügen im Garten zu weit getrieben hatte. Er hatte das Gefühl, dass er gerade dabei war, sich Hals über Kopf in Sarah Lennox zu verlieben. Sie war Charlotte so ähnlich: diese Angewohnheit, ihre Worte mit wilden Gesten zu unterstreichen; die kleine Brille, die zwischen ihren Fingern kreiste, wenn sie sich über irgendetwas ärgerte.

      Als die Tafel spät in der Nacht aufgehoben wurde, stand ihm der Sinn nicht danach, sich mit ihr in die Kutsche zu setzen und auf dem schnellsten Weg nach Richmond Palace zurückzukehren. „Hast Du Lust auf frische Luft nach dem vielen Wein und den heißen Diskussionen?“, fragte er sie leise. „Hat es Dir bei uns gefallen, Sepoy-General?“, antwortete sie spitzbübisch mit einer Gegenfrage. Arthur nickte. “Ihr seid ein munteres Völkchen. Es ist schon sehr lange her, dass ich mich so gut unterhalten habe.“

      Sarah gab dem Kutscher ihres Vaters Zeichen ohne sie ins West End zurückzukehren. Dann schlug sie an Arthurs Arm den Weg Richtung St.James Park ein. “Es macht Dir also doch nichts aus, über Indien und über den Krieg zu erzählen?“ Er schüttelte den Kopf: “Das Gespräch heute Abend hat wenig mit dem Krieg zu tun gehabt.Ich erzähle Dir ja auch immer bereitwillig über Indien und über die Menschen, ihre Sitten, Gebräuche und den ganzen Rest. Es gibt aber auch ein paar Dinge, an die möchte ich mich nicht mehr erinnern, obwohl sie England in einen Zustand hellster Begeisterung versetzt haben: das Soldatenhandwerk ist ein blutiges Geschäft, Sarah!“ Obwohl es ihn viel Selbstbeherrschung kostete, gelang es Arthur einen Schein von Gelassenheit und Ruhe zu wahren. Bereits ein falsches Wort, eine falsche Bemerkung konnten vor seinem inneren Auge Bilder des Grauens auslösen. Zum Glück war der Park beinahe menschenleer. Irgendwo fanden sie eine kleine Holzbank und er bat Sarah sich zu setzen.

      "Lasse mir ein wenig Zeit. Ich muss zuerst einmalmit mir selbst wieder ins Reine kommen und ein paar Dinge verdauen“, bat es sie, “und irgendwann erzähl ich Dir dann die ganze Geschichte vielleicht... Nur nicht hier und heute…es geht einfach nicht…“ Arthurs graublauen Augen blickten Sarah flehend an. Sie waren nicht mehr so kalt und hart, wie auf dem Ball von Lady Holland. Auf den Schlachtfeldern Indiens hatten viele gute Freunde ihr Leben verloren…und noch mehr Feinde. Er war sich nach knapp zwanzig Jahren im roten Rock immer noch nicht sicher, ob er überhaupt für das Kriegshandwerk das Herz besaß. Arthur war nie auch nur im Geringsten auf irgendeinen seiner militärischen Erfolge stolz gewesen. Er hatte sich über keinen einzigen seiner Siege je gefreut. Seit dem Feldzug in den Niederlanden und Boxtel verfolgten ihn die Toten bis in seine Träume. Und es wurden immer mehr: nachts wachte er regelmäßig schweißgebadet und zitternd vor Angst auf, weil die Schreie der Verletzten und Sterbenden ihm in den Ohren klangen…und das Grollen der Kanonen. Namen, wie Assaye, Argaum oder Gawilghur, die sein Land in hellste Begeisterung versetzt hatten, versetzten ihn nur in einen Zustand tiefster Niedergeschlagenheit. Hinter seinen kalten Augen versuchte Arthur verzweifelt ein viel zu weiches Herz und eine sehr verletzliche Seele zu verbergen. “ Du wolltest vorhin doch wissen, worüber ich mir Sorgen mache", wechselte er rasch das Thema. Er hoffte, dass Sarah seine zittrigen Hände übersah. Er klemmte sie sich zwischen die Knie. Während ihm der kalte Schweiß über den Rücken lief und sein Hemd durchtränkte, erzählte ihr ausführlich von den Gesprächen mit dem Kriegsminister Castlereagh und dem Premierminister von England. Als er fertig war, hatte er sich innerlich wieder beruhigt. Die Antwort, die Arthur von Sarah erhielt, ähnelte der, die, er sich selbst einige Stunden zuvor auch gegeben hatte: "Gehe Deinen Weg und lasse Dich nicht kaufen. Wenn Du heute sofort nachgibst, wird man Dich morgen nicht mehr achten und anschließend wird dich irgendjemand aus der Regierung immer wieder als Instrument der Macht benutzen. Und wenn Du niemandem mehr nützlich bist, wird man Dich wegwerfen, wie einen alten Knochen."

      Nachdem

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