Killerwitwen. Charlie Meyer

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Killerwitwen - Charlie Meyer

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formierten sich die zerstrittenen Kinder und Kindeskinder zu einer gemeinsamen Angriffsfront. Bis auf Raoul, dem zwei Strippen aus den Ohren ragten, die ein permanentes Dum-Dum-Dum von sich gaben und ihn konzentrierten Gesichtes ständig nicken ließen. Aber so war es schon immer gewesen. Die Kinder stritten sich, Mutter sprach ein Machtwort, und schwuppdiwupp avancierte sie zum Staatsfeind Nummer eins, den es sofort niederzubrüllen galt. Gemeinsam, versteht sich.

      Auch eine Art, die Familie zusammenzuhalten.

      Ob Julia überhaupt ahnte, was sie sich mit ihren vielen Kindern antat? Den Vieren, die ihr jetzt schon auf der Nase herumtanzten und dem Fünften im wohlgerundeten Bauch? Hoffentlich zog Mutter Natur von sich aus bald einen Schlussstrich. Die olle Taube krähte erst neulich wieder: „Die Asylantens, die kommen ja man auch immer mit ihre ganze Kinderschar bei uns an und dann können sie die nich’ mal durchfüttern und sitzen vorm Kaufhaus und tun betteln.“ Und im Satz zuvor hatte sie sich nach Julias Schwangerschaft erkundigt. Was für ein scheinheiliges, hinterhältiges Biest. Gott sei Dank ahnte sie nicht einmal, auf was für einer heruntergewirtschafteten Bioklitsche die Julia festsaß mit ihrem Maurer-Bauern, den Grübchenkartoffeln und Runzelmöhren. Mit verschrumpelten Äpfeln, die mehr lebendiges Fleisch als Fruchtfleisch enthielten und der im Holzbottich gestampften Butter ihrer zehn Kühe. Kein Wunder, dass sich dem Mädchen seit einiger Zeit ein verbissener Zug um den Mund eingrub. Aber von diesem Schlappschwanz von Mann konnte man ja nichts anderes erwarten. Warum musste Julia ausgerechnet so einen verträumten Spinner heiraten? Warum keinen Studierten? Oder wenigstens einen Krabbenkutterkapitän wie Taubes Susi? In das nächste fällige Geburtstagspaket legte sie ganz bestimmt ein Päckchen Kondome. In Geschenkpapier eingewickelt, mit einer großen roten Schleife und Ruperts Namensschildchen. Vielleicht erklärte ihm dann mal jemand, was Geburtenkontrolle bedeutete. Die beiden wurden doch jetzt schon kaum mit ihren Rangen fertig, was sollte da erst werden, wenn die ganze Bagage erwachsen war?

      „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, murmelte Emmi düster. „Alle miteinander nicht!“ Julia mit ihrer Engstirnigkeit, der fraulichen Fruchtbarkeit ihren Lauf lassen zu wollen, David mit seinem Schlagstock, von dem Alice in ihrer Trunkenheit am Geburtstag behauptet hatte, er lege ihn manchmal im Ehebett neben sich und Christina ...

      Tja, Christina war wohl ein besonderer Fall. Der erste Spross der Familien Nichterlein und Rieffenbach, der eine akademische Karriere anstrebte, studierte, mit summa cum laude abschloss und sich bereits während ihres Studiums eine Feststelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Amerikanistik sicherte. Der Stolz und Neid der gesamten Verwandtschaft, jedenfalls bis zum Tag ihrer Doktorfeier, als sie ihren Nervenzusammenbruch bekam. Einen äußerst merkwürdigen Anfall, wenn man Emmi fragte.

      „Eine sehr ernste psychische Krise“, hatte der Doktor im Göttinger Klinikum gesagt und sich mit dem Finger im Ohr gebohrt, während ein schwüler Duft nach Jasmin durchs offene Ordinationsfenster hereinströmte. „Nein, Schizophrenie nicht, Frau ... äh ... Nichterlein, so weit möchte ich nun doch nicht gehen, aber eine endogene Psychose liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Vielleicht auch ein frühkindliches Trauma mit postpubertären Auswirkungen. Soziale Probleme in der Familie? Suizidale Anlagen? Ein schweres Durchgangssyndrom? Drogenprobleme? Alkohol? Bis die Diagnose bestätigt ist, darf sie keinen Besuch empfangen. Tut mir leid!“

      „Das Kind braucht seine Mutter und keinen unfähigen Quacksalber“, hatte sie empört geantwortet, aber es war nicht das Sesam-öffne-dich der Krankenzimmertür gewesen, sondern nur ein schneller Rausschmiss. Und als sie durch die verlassenen weißen Gänge der Psychiatrie mit den fest verschlossenen Türen irrte und endlich einer vorübereilenden Krankenschwester verzweifelt zurief, sie suche den Ausgang, da antwortete diese unverschämte Frauensperson doch tatsächlich Raus wollen hier alle und eilte weiter.

      Frühkindliches Trauma! Dass sie nicht lachte. Und was für eine Unverschämtheit, sie anreisen zu lassen, nur um ihr mitzuteilen, ihre Tochter dürfe keinerlei Besucher - und schon gar nicht die eigene Mutter - empfangen. Aber seine Absicht war ja nur allzu leicht zu durchschauen gewesen. Aushorchen wollte er sie, weil er mit seinem Latein nicht weiterkam, um sich dann irgendeine dubiose Diagnose zusammenzuschustern. Frühkindliches Trauma, pah! Vielleicht sogar eine schwere Badewannenneurose, ausgelöst durch einen lebensmüden Weberknecht zwanzig Jahre zuvor. Und dafür durften diese Wichtigtuer nun jahrelang auf Kosten der Steuerzahler studieren!

      Gott sei gelobt, es ging ihr ja schon wieder besser, der Christina. Seit zwei Wochen war sie aus der Psychiatrie raus, wohnte wieder zu Hause in ihrem kleinen Appartement und ging nur tagsüber in eine Tagesklinik, wo sie ihre Psychosen in Ton modellierte und wild herumtrommeln durfte. Wegen der Aggressionen.

      Am Abend ihrer Entlassung rief sie gleich an und erzählte die seltsame Geschichte in allen Einzelheiten. Emmi fand bis heute, sie hätte ihr einige der Merkwürdigkeiten ersparen können.

      „O ja“, begann sie mit finsterem Respekt, doch nicht ohne einen gewissen morbiden Stolz, „wirklich und wahrhaftig ein Nervenzusammenbruch!“ Christina haftete ja von klein auf schon etwas Seltsames an, etwas Eigenwilliges, das sich nicht in Worte fassen ließ, aber diese verrückte Geschichte übertraf alles bisher Dagewesene und ließ Emmi ungläubig verstummen, zumal sie all ihrer Konzentration bedurfte, um den Unsinn überhaupt zu begreifen.

      Am Besten man dachte nicht weiter darüber nach. Das Kind hatte eine schwere Zeit hinter sich, war sicherlich überarbeitet und mit blanken Nerven ein leichtes Opfer für Halluzinationen jeglicher Art. So eine Doktorprüfung war schließlich kein Zuckerlecken, obgleich es Emmi ab und an doch in den Sinn kam, dass mit großer Wahrscheinlichkeit nicht alle überarbeiteten Doktoranden einen derart peinlichen Zusammenbruch erlebten. Und dazu noch mitten auf dem belebten Rathausplatz in Göttingen, vor den Augen ihres Professors und all der Kommilitonen. Vor den Kameras eines slowakischen Fernsehteams, das über deutsche Traditionen berichten sollte. Grundgütiger, um Haaresbreite wäre sie hingefahren, um den großen Augenblick mitzuerleben, in dem ihre Tochter, Frau Doktor phil. Christina Nichterlein, die erste Akademikerin der Nichterleins und Rieffenbachs seit Anbeginn der Zeiten, in Talar und Barett auf den Gänselieselbrunnen kletterte und der Liesel einen Blumenstrauß in den bronzenen Korb legte. Dem zuckenden M2 links unten sei Dank, dass sie stattdessen in Mirkowitz‘ Behandlungsstuhl gelandet war. Es gab eben doch noch eine höhere Macht im Himmel.

      „Alles paletti bis dahin. Aber dann ...“, sagte Christina mit einer natürlichen Begabung für Dramaturgie und stand in ihrer Schilderung noch einmal am Fuße des Brunnens. „Ich kletterte also auf den Brunnenrand und dann an der Gänseliesel hoch ...“

      Und dann kletterte sie am Telefon in aller Umständlichkeit, bis der Strauß im Korb lag und sie in Glückseligkeit - jawohl, Mutti, in Glückseligkeit - der Gänseliesel die Arme um den Hals legte und sie küsste.

      „So weit, so gut“, sagte Christina unheilvoll. „Aber dann – bäng -, da passierte es. Aus heiterem Himmel traf mich der Blitz ...“

      Wie sie da so hing am Hals der Gänseliesel, ihre warmen Lippen auf die kalten bronzenen gepresst, da habe sie ganz plötzlich gespürt, wie auch ihre Lippen zu Bronze erstarrten - an dieser Stelle hatte Emmi kurz und heftig geschnauft, doch Christina fuhr unbeirrt fort - und nach den Lippen ihr Herz und dann - o ja Mutti, sogar meine Seele. Und mit der abschließenden Feststellung, dass sie sich mit bronzenen Armen eben nicht mehr hatte halten können, plumpste sie am Telefon noch einmal in den aufspritzenden Brunnen und weinte zwei Stunden lang bronzene Tränen, bis sie die Sanitäter aus dem Wasser klaubten, auf eine Bahre schnallten und in der psychiatrischen Abteilung der Uniklinik an den Beruhigungstropf hängten.

      Ob das Mädel wohl jemals erwachsen wird?, überlegte Emmi und schüttelte resigniert den Kopf. Was dachte sie sich nur bei all ihren verrückten Unternehmungen? Nudistencamps an der Ostsee, Erlebnisurlaub in einem französischen Atomschutzbunker, ein vorübergehender Umzug in einen Jägerhochstand im Göttinger Wald und natürlich,

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