Dagebliebene. Reiner Kotulla

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Dagebliebene - Reiner Kotulla

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der möglicherweise auf Befehl des Leutnant Wladimir Neubauer gehandelt hatte. Sie wusste von den Scharfschützen der Roten Armee, die, wie es hieß, feige aus sicherer Position nur darauf warteten, dass sich ein armer Landser eine Zigarette anzündete, um den Abzug an seinem Scharfschützengewehr durchzuziehen.

      Sie erzählte Wladimir davon, der betroffen war, ehrlich ergriffen. Allerdings stelle er ihr die Frage, die sie sein Handeln verstehen ließ. „Wenn dich jemand in deiner Laube überfällt, dich vergewaltigt und deine Kinder tötet, am Ende die Laube anzündet. Was würdest du tun, hättest du ein Gewehr und die Gelegenheit, den Verbrecher zu bestrafen?“

      Waltraud musste nicht lange nachdenken, zu sagen, dass sie den Tod ihrer Kinder rächen würde.

      „Und genau das, Waltraud, ist vielfach in unserem Land geschehen. Deine Leute haben uns überfallen, haben gemordet, geschändet und vergewaltigt. Wir mussten uns verteidigen, mussten unsererseits Töten.“

      „Und haben nicht viele von euch deutsche Frauen vergewaltigt?“

      „Ja, das hat es gegeben, aber wurde es bekannt, entgingen die Täter ihrer Strafe nicht.“

      Waltraud hörte ihn an, war sich aber nicht sicher, ob sie seinen Worten Glauben schenken sollte. Seiner Liebe jedenfalls konnte sie sich nicht erwehren. Nein, gestand sie sich ein, sie liebte diesen Rotarmisten, und was sie besonders erstaunte, war, dass er sie die Liebe zu Ernst vergessen ließ. Langsam zwar, doch beständig.

      Dann, eines Tages, wusste Waltraud Berger, dass sie schwanger war. Nie war sie es gewesen, die bestimmte, wann sie sich treffen konnten.

      Das war natürlich von seinem Dienst abhängig. Er kam, wann er konnte. Drei Tage sah sie ihn nicht, da wurde sie unruhig. Jetzt, mit dem Wissen um ihren Zustand, konnte sie es nicht abwarten, fuhr nach Karlshorst, meldete sich bei der Kommandantur.

      Zuerst wollte man ihr keine Auskunft geben, doch Waltraud ließ nicht locker, bis man sie zum Büro eines Offiziers brachte, der sie anhörte. Dessen offene und freundliche Art bewirkte, dass es sich Waltraud getraute, die Wahrheit zu sagen.

      Als der Mann hörte, dass Waltraud ein Kind von dem Oberleutnant erwartete, änderte sich dessen Gesichtsausdruck.

      „Fräulein Wendorf, so leid es mir für sie tut, darf ich keine dienstlichen Angaben über den Mann weitergeben, den sie für den Vater ihres Ungeborenen halten. Ich werde ihre Personalien aufnehmen, man wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“

      Natürlich wusste der Offizier mehr, war darüber informiert, dass Wladimir Neubauer, wegen dieser Affäre, wie man es nannte, in den Norden der sowjetischen Besatzungszone versetzt worden war, mit der strikten Anweisung, jegliche Verbindung zu Waltraud Wendorf abzubrechen. Es herrschten hier strenge Anordnungen, was die Beziehungen zwischen Soldaten der Roten Armee und deutschen Frauen betraf. Auch deshalb, weil es manchmal falsche Anschuldigungen zum Beispiel den Vorwurf der Vergewaltigung gab.

      All das konnte Waltraud nicht wissen. Sie sah sich von Wladimir verraten, unterstellte ihm Feigheit und Flucht. All das, was man ihnen in der Hitler Zeit über die Russen eingehämmert hatte, tauchte wieder auf, führte dazu, dass Waltraud zu hassen begann.

      Da saß sie nun in ihrer Laube, deren Dach undicht, der Ofen ein Wrack und die Gartenpumpe im Winter eingefroren war. Wie sollte sie unter diesen Umständen ein Baby versorgen? Jetzt war es August, und noch immer hoffte sie auf ein Lebenszeichen von Wladimir. Was sie nicht wissen konnte war, dass der Oberleutnant nichts unversucht gelassen hatte, Kontakt mit Waltraud aufzunehmen. Das allerdings auf dem so genannten Dienstweg, und der war auch bei der Roten Armee oft sehr lang.

      Waltrauds Gedanken kreisten fast ausschließlich um den ständig näherrückenden Geburtstermin. Natürlich bemühte sie sich beim Wohnungsamt im sowjetischen Sektor Berlins um eine geeignete Unterkunft. Doch das konnte unter den Umständen die in den vierziger Jahren herrschten, kaum gelingen. So folgte sie schließlich dem Rat einer Freundin, der es nach der einseitigen Währungsreform in Westberlin materiell nicht so schlecht ging und meldete sich bei der entsprechenden Stelle dort als Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone. Als Grund für ihre Flucht gab sie an: „Ich bin von einem russischen Soldaten vergewaltigt worden und nun schwanger.“

      Das verschaffte ihr Öffentlichkeit und Zuwendungen. Damit war ihr Fall ein gefundenes Fressen für die Presse im Westen der Stadt.

       Zur Sache

      Viele alliierte Soldaten vergewaltigten und missbrauchten deutsche Frauen nach Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zu den Gräueltaten kam es nicht nur im Osten.

      Nach den Niederlagen der Wehrmacht im Osten und im Westen stieg die Angst der Deutschen vor allem in den Ostgebieten vor der Vergeltung durch sowjetische Truppen. Einen großen Teil dazu trug die Propaganda der NS-Führung bei, die nicht müde wurde, vor den „animalischen“ Soldaten aus der Sowjetunion zu warnen. Bekannt war das Bild, das die Faschisten von dem Sowjetsoldaten zeichneten, einem Plakat, auf dem ein Menschenaffe in der Uniform der Roten Armee mit gezogenem Dolch abgebildet war.

      „Lass uns ein bisschen Spaß haben“, befahl der Offizier der japanischen Armee

      dem Mädchen, „du siehst hübsch aus.“ Dann zeigte er ihm sein Geschlecht.

      ‚Ich fürchtete mich so. Er nötigte mich, mich auf den Boden zu legen, und verletzte

      mich mit seinem Bajonett. Er zog mir die Hose aus und vergewaltigte mich, bis ich blutete.‘ Die Szene, die die Koreanerin Kim Young Suk im Dezember 2000 vor einem inoffiziellen Kriegsverbrechertribunal in Tokio schilderte, könnte sich so oder so ähnlich auch in Weißrussland abgespielt haben. Oder in Frankreich. Oder in Deutschland. Niemals seit dem Dreißigjährigen Krieg wurden in einem Kampf so viele Frauen und Mädchen vergewaltigt wie im Zweiten Weltkrieg. Millionen mussten ‚bekennen‘, wie deutsche Frauen damals verschämt sagten. Zehntausende starben an den Folgen, wurden umgebracht oder begingen Selbstmord. (…) Oft waren die Opfer noch Kinder wie Kim Young Suk. Bis zu 40 Freier hatte die damals Zwölfjährige täglich zu ertragen. Einer brach ihr dabei den Arm. Während über die Gräueltaten der Russen und der Japaner erste Untersuchungen vorliegen, gibt es zu den Übergriffen der westlichen Alliierten bisher wenig wissenschaftliches Material. Nur 487 Vergewaltigungsprozesse zwischen März und April 1945 sind bei den 1,6 Millionen US-Soldaten in Deutschland aktenkundig. Über Belästigungen von Frauen durch die Briten liegen keine Berichte vor. Den schlechtesten Ruf unter den Westalliierten erwarben sich die Franzosen. Bei der Einnahme von Stuttgart und Pforzheim etwa kam es zu Massenvergewaltigungen. Im württembergischen Freudenstadt missbrauchten französische Besatzungssoldaten Bewohnerinnen des Ortes tagelang. Und die Landser der Wehrmacht? Wie hielten sie es mit der von ihnen geforderten „Manneszucht“? Dass Angehörige der SS Frauen nicht verschonten, ist bekannt. Die Wehrmacht dagegen galt lange Zeit als ‚sauber‘. Eine neue Studie der Historikerin Birgit Beck weist jetzt nach, dass Soldaten der Wehrmacht an Verbrechen gegen Frauen beteiligt waren. Zwar berücksichtigte die Wehrmachtsführung die sexuellen Bedürfnisse ihrer Soldaten, etwa indem sie ihnen – anders als die Rote Armee – regelmäßig Fronturlaub gab. Auch ließ die deutsche Armee in allen besetzten Gebieten Bordelle einrichten. Doch bis heute ist nicht erforscht, wie viele der Frauen, die in den rund 500 Wehrmachtsbordellen arbeiteten, dazu von den Deutschen gezwungen wurden. Augenzeugen berichteten in dem Dokumentarfilm „Frauen als Beute“, dass Russinnen und Jüdinnen, etwa aus Konzentrationslagern, aber auch von der Straße weg in die Soldatenpuffs im Osten verschleppt wurden. Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz ist Zwangsprostitution nachweisbar. So wurden Französinnen aus Internierungslagern in Wehrmachtsbordelle gebracht und zur Prostitution gezwungen. Für Beck ist dies ein Beleg dafür, dass sexuelle Gewalt bei der deutschen Armee institutionalisiert

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