Dagebliebene. Reiner Kotulla

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      Da wären sie aus dem Wald gekommen, zuerst die Kinder, dann die Erwachsenen. Die Kinder seien völlig unbefangen zu den Häusern gerannt, hätten dort auf ihre Eltern gewartet. Die waren vor den Häusern stehen geblieben und hatten zuerst, wie sichernd, in alle Richtungen geblickt.

      „Ich dachte noch, hoffentlich entdecken sie die Kabel und flüchten zurück, woher sie gekommen waren. Doch es schneite und bald waren die Drähte wohl im Schnee versunken. Ich sah allen voran die Kinder in die Häuser verschwinden.

      Da gab der Leutnant den Befehl – und, Susanne, ich habe nicht gewagt zu protestieren.

      In der Nacht fand ich keinen Schlaf. Immer wieder sah ich Igor vor mir, der mir vertraut hatte. Ich begann zu hassen: den verdammten Krieg, die Offiziersclique, deren Befehlen ich bisher widerspruchslos gefolgt war, und den Verbrecher, der diesen Befehl, genannt Verbrannte Erde, erteilt hatte, auf den ich einen heiligen Eid geschworen hatte.

      Jetzt erst erinnerte ich mich an den Wahlkampf, als die Kommunisten die Parole ausgegeben hatten: Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Das hatten wir damals nicht geglaubt. Keiner von uns, auch später nicht, dachte an ein solches Massensterben. Nun war ich selbst zum Kriegsverbrecher geworden. Da fasste ich einen Entschluss.

      Am Morgen brachen wir auf. Noch einmal schaute ich zurück auf die rauchenden Trümmer des Dorfes. Der Artilleriedonner war nähergekommen. Versprengte Truppenteile stießen zu uns, in denen der Leutnant die ersehnte Verstärkung zu sehen glaubte. Er ließ uns antreten, hielt eine Rede vom heroischen Kampf gegen die bolschewistischen Untermenschen, die wie Tiere über uns herfielen, würden sie unser habhaft. Aber nun, da wir gestärkt seien, würden wir eine neue Front aufbauen. ‚Wühlen wir uns in die Erde‘, schrie er, ‚und sollten die Russenpanzer uns überrollen, kleben wir ihnen unsere Haftminen unter ihren verdammten Arsch.‘

      Wir buddelten. In der Nacht steckte ich mein weißes Unterhemd in die Hosentasche. Auch am nächsten Tag gruben wir weiter. Hundemüde schliefen wir dann ein. In einiger Entfernung von mir hatte sich der Leutnant hingelegt und bald hörte ich sein Schnarchen. Die beiden Wachposten dösten am klein gehaltenen Feuer. Gegen drei Uhr, am Morgen, schlich ich mich davon, in die Richtung, aus der tagsüber der Kanonendonner zu hören gewesen war.

      Ich fand einen entsprechend langen Stock, an dem ich mein Unterhemd befestigte. Stunden später erreichte ich, meine Fahne schwenkend, die sowjetischen Linien.

      Ich wurde angerufen und antwortete mit einem Wort, das ich von Igor gelernt hatte, „Druschba.“

      Meine Abscheu über unsere feige Mordtat war derart, dass der sowjetische Offizier, der mich verhörte, mich nicht auffordern musste, mein Wissen über die Lage an der deutschen Front, so gut ich die kannte, kundzutun.

      Und ich sage dir, Susanne, als ein Verräter fühlte ich mich dabei nicht.

      Tags darauf wurde ich in ein Gefangenenlager transportiert. Harte Arbeit, wenig Brot.

      Wir waren über einhundert Kriegsgefangene. Abends saßen wir zusammen. Man schwärmte von den guten alten Zeiten, prahlte mit seinen Heldentaten. Wenn man ihnen so zuhört, dachte ich, glaubt man kaum, dass sie den Krieg verlieren würden. Ich hielt mich aus solchen Gesprächen heraus.

      Einmal sprachen sie auch über die Deserteure, diese Feiglinge, die an den nächsten Baum gehörten. Ich war froh, dass niemand wusste, dass ich ein solcher war.

      Ein sowjetischer Offizier stellte mich dann drei anderen Gefangenen vor, die in derselben Lage waren wie ich. Mit ihnen traf ich mich oft nach der Arbeit. Wir sprachen über die Zeit nach dem Ende des Krieges und wir hofften darauf, dass es bald kommen würde. Manchmal kam auch der sowjetische Offizier dazu und informierte uns über die Lage an ihrer Westfront. Dann das Ende des Krieges, die Befreiung auch des deutschen Volkes vom Faschismus Ich ging dorthin, wo das Wort Stalins galt: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk aber, der deutsche Staat bleiben bestehen.“

      Einen von den Gleichgesinnten von damals traf ich wieder. Das muss 1952 gewesen sein. Der „Rote Leutnant“, so nannten wir ihn, wenn keiner von den anderen in der Nähe war, erzählte, wir saßen im Stadtcafé, dass er nach seiner Rückkehr in die sowjetische Besatzungszone, zuerst Bürgermeister seiner Heimatstadt und nach dem Studium der Germanistik Schriftsteller geworden sei. Über den Krieg habe er geschrieben und auch meine Geschichte erzählt, die er „Druschba“ genannt habe.

       Zur Sache

      Einen sehr guten Beleg dafür, wie mit den Tätern und Mitläufern des deutschen Faschismus nach der Befreiung verfahren wurde, fand ich im jüngsten Buch von Michael Kubi, „Zur Geschichte der Sowjetunion, Bodenfelde 2019“. Den Text habe ich im Original übernommen und die Anmerkungen direkt in ihn eingefügt.

      "Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es — Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Hass aber allein den Kommunismus bekämpfen." (Mann, T. (1986) in: Essays, Hg. von H.Kurzke, Frankfurt, Bd. 2, S. 311 ' Zitiert in Hartmann (2007), S. 13)

      Während des Kalten Krieges wurde die Totalitarismus-Doktrin, also die unwissenschaftliche Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus, zum Paradigma für die Geschichtswissenschaft. Unter einem Paradigma versteht man die grundsätzliche Denkweise, Lehrmeinung oder Ideologie, die vorherrschend ist. Seitdem dient die Totalitarismus-Doktrin als das Paradebeispiel der Geschichtsschreibung über die Sowjetunion, Stalin und den Sozialismus (und damit auch anderer sozialistischer Staaten wie die DDR) allgemein.

      Vorherrschend in der BRD ist das Bild der zwei deutschen Diktaturen - des Dritten Reichs und der DDR. Welches die schlimmere Diktatur sei, darüber streiten sich die Herrschenden. Doch es mehren sich Stimmen, dass die DDR mindestens genauso schlimm, wenn nicht gar schlimmer war als der Faschismus. So sagte der BRD-Kanzler Adenauer 1950: "Ich wollte, die Bewohner der Ostzonen-Republik könnten einmal offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören, dass der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager, durch Verurteilungen ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht." (Mann, T. (1986) in: Essays, Hg. von H. Kurzke, Frankfurt, Bd. 2, S. 311 ' Zitiert in Hartmann (2007), S. 13)

      Jahre später verfasste der ehemalige FDP-Außenminister unter BRD-Kanzler Helmut Kohl, Klaus Kinkel, folgende Worte: "Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland." (Hartmann, R. (2007): Die DDR unterm Lügenberg. Hannover: Ossietzky, S. 14)

      Diese Aussagen Adenauers und Kinkels zur Gleichsetzung des Hitler-Faschismus mit der DDR wirken grotesk, wenn man bedenkt, dass die BRD im Wesentlichen von jenen herrschenden Teilen errichtet und geführt wurde, welche schon unter Hitler bedeutende Posten hatten: So war Adenauers persönlicher Berater, Hans Globke, aktives Mitglied der Nazi-Partei NSDAP und Berater im Innenministerium für jüdische Fragen, welches für die logistische Administration des Holocausts verantwortlich war. Außerdem war Globke Verfasser diverser antijüdischer Gesetze. Wirtschaftsminister unter Adenauer und zweiter Bundeskanzler war Ludwig Erhard, welcher propagandistisch vom BRD-Regime als Vater des Wirtschaftswunders in Deutschland gefeiert

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