Dagebliebene. Reiner Kotulla

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für Industrieforschung war, welche vom Monopol IG-Farben finanziert wurde. Dieses Unternehmen ist dafür bekannt, das Gas Zyklon-B produziert zu haben. Kurt Georg Kiesinger, der dritte Bundeskanzler der BRD und lange Zeit CDU-Chef, war seit 1933 Mitglied der NSDAP und ab 1940 im Außenministerium des Deutschen Reichs tätig und von 1943-45 Verbindungsbeamter mit dem Propagandaministerium unter Joseph Goebbels. Altbundespräsident Heinrich Lübcke war mit dem Bau von Konzentrationslagern beauftragt. Hans Speidel, von 1957 bis 1963 Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa bei der NATO, war im Zweiten Weltkrieg Chef des Stabes der Heeresgruppe B. Reinhard Gehlen, Präsident des Bundesnachrichtendienstes BND bis 1968, war Generalmajor der Wehrmacht und dort Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost. Auch in anderen Bereichen der BRD hatten führende Nazikader hohe leitende Funktionen, so z. B. der Psychologe Carl Schneider, der in den Euthanasie-Programmen der Nazis involviert war und in der BRD Präsident der psychiatrischen Klinik der Heidelberger Universität wurde.( De la motte & green (2015): Stasi State or Socialist Paradise? The German Democratic Republic and what became of it. London: Rüssel Press, S. 19-21)

      Insgesamt waren bis in die 1960er Jahre Staat, Justiz und Wirtschaft von hohen Nazi-Kadern geführt: der Bundespräsident, 20 Angehörige des Bundeskabinetts und Staatssekretäre, 189 Generale, Admirale und Offiziere in der Bundeswehr oder in den NATO-Führungsstäben sowie Beamte im Kriegsministerium, 1118 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 244 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate, 300 Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes sowie anderer Bundesministerien. (Autorenkollektiv (1968): Braunbuch, dritte Auflage, S. 10 http://www.kpd-ml.org/doc/partei/braunbuch.pdf)

      In der DDR hingegen wurde umfassend "Entnazifiziert": Mit Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Albert Norden, Herman Axen, Hilde Benjamin und vielen anderen wurde die Regierung der DDR von Leuten gebildet, die entweder von den Nazis inhaftiert waren oder im Exil lebten. (DE LA MOTTE&GREEN(2015), S. 17-18)

      Nun neigen einige Verteidiger der BRD dazu, zu behaupten, dass ja auch in der DDR Nazis Karriere machen konnten. So behauptet der "Berliner Kurier", dass über ein Drittel der ZK-Mitglieder der SED frühere Nazis gewesen seien.

      (Berliner kurier 2.10.2017: http://www.berliner-kurier.de/berlin/kiez— stadt/forschungsprqjekt-wie-alt-nazis-in-der-ddr-karriere-machten-28523826?dmcid=sm_fb_p 182 joseph (2002), S. 102f.)

      Der "Berliner Kurier" nennt zwar keine Namen, doch ist es durchaus so gewesen, dass es ehemalige NSDAP-Mitglieder in der DDR gab, die Staatsfunktionen ausübten. Doch im Vergleich zur BRD gab es wesentliche Unterschiede. Während in der BRD führende Nazikader und Nazi-Kriegsverbrecher ohne jegliche juristische Überprüfung in hohe Ämter befördert wurden, wurden in der DDR ehemalige NSDAP-Mitglieder genauestens auf ihre Schuld geprüft bzw. mussten sich antifaschistisch engagieren. Führende Posten zum Beispiel in der SED, NVA, FDGB und MfS wurden von Antifaschisten geleitet. In einem Beschluss vom 20. Juni 1946 erklärte der Parteivorstand der SED, dass: "(...) auch die nominellen Mitglieder der NSDAP auf Grund ihrer Mitgliedschaft zur Nazipartei einen Teil Schuld und Mitverantwortung für die verbrecherische Hitlerbande auf sich geladen [haben]. In den verflossenen Jahren haben aber zahlreiche ehemalige einfache Mitglieder der Hitlerpartei (...) loyal beim demokratischen Wiederaufbau mitgearbeitet. Sie haben damit bekundet, dass ihre frühere Einstellung falsch war, andere sind auf dem Wege anzuerkennen, dass sie nur durch die Eingliederung in die demokratische Ordnung und durch eine praktische Mitarbeit wiedergutmachen können, was sie an der Vergangenheit an Schuld auf sich geladen haben. (...) Alle früheren einfachen Mitglieder der Nazipartei, die nicht besonders belastet sind und sich als aktive Mithelfer an der neuen demokratischen Ordnung betätigen, sollen als Staatsbürger anerkannt und behandelt werden."

      (Joseph (2002), S. 102f)

      "Alliierte Kontrolldirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 (...) In Artikel IV wurde definiert, wer minderbelastet sei: 'Wer nach dem 1. Januar 1919 geboren ist, nicht zur Gruppe der Hauptschuldigen gehört, jedoch als Belasteter erscheint, ohne aber ein verwerfliches oder brutales Verhalten gezeigt zu haben und nach seiner Persönlichkeit eine Bewährung erwarten lässt.' (...) Die Sowjetische Militäradministration erließ am 16. August 1947 den Befehl Nr. 201. Nach der Feststellung, dass in der SBZ Umfassendes zur Säuberung der öffentlichen Behörden, staatlichen und wichtigen Privatunternehmen von ehemaligen aktiven Faschisten, Militaristen und Kriegsverbrechern geleistet wurde, sei es nun an der Zeit, entsprechend den Bestimmungen der 4. Sitzung der (alliierten) Außenminister in Moskau einen Unterschied zu machen zwischen ehemaligen Nazi- und Kriegsverbrechern einerseits und andererseits den 'nominellen, nicht aktiven Faschisten, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen und zusammen mit den demokratischen Schichten des deutschen Volkes den allgemeinen Bemühungen zur Wiederherstellung eines friedlichen demokratischen Deutschlands teilzunehmen'. Dieser Befehl stellte die nominellen Nazis mit den übrigen Bürgern rechtlich gleich, indem er die 'Beschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte' aufhob und insbesondere das passive und aktive Wahlrecht gewährte. (...)

      Das Fragwürdige begann dort, wo Nazi- und Kriegsverbrecher nicht zur Verantwortung gezogen wurden und trotz (oder wegen?) ihrer nazistischen Belastung in die politische Führung integriert wurden. In der SBZ/DDR passierte das nicht. Zwischen 1945 und 1948 wurden in der Sowjetischen Besatzungszone insgesamt 520.000 Nazis aus der öffentlichen Verwaltung und der Industrie entfernt. (...) Von 39.348 Lehrerinnen und Lehrern gehörten 28.179 der NSDAP an, das waren 71,1 Prozent. 28.835 Lehrerinnen und Lehrer wurden als belastet entlassen. (...) Bis zum Frühjahr 1946 waren alle belasteten Richter und Staatsanwälte aus den Ämtern entlassen." (Joseph (2002), S. 137-138)

      Horst Schneider schreibt: "Während in der BRD von 38 Gründungsgenerälen 31 ihre Meriten in der Hitlerwehrmacht erworben hatten (keiner war Antifaschist), wirkten beim Aufbau der NVA vier Offiziere aus den Reihen der Wehrmacht mit, die drei 1943 bei Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geratenen Generalmajore Otto Korfes, Arno von Lenski und Hans Wulz sowie Generalleutnant Vincenz Müller, der 1944 in Belorussland die Sinnlosigkeit weiteren Kampfes einsah und mit Gruppen des von ihm geführten Armeekorps kapitulierte. Diese vier hatten sich schon während des Krieges der Bewegung 'Freies Deutschland' angeschlossen. Hinzu kamen in der NVA-Gründergeneralität sechs weitere Wehrmachtsoffiziere (...). Sie waren allesamt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft mit anderen als den von den Nazis indoktrinierten Anschauungen heimgekehrt, zum Teil mit Erfahrungen im Fronteinsatz für das Nationalkomitee 'Freies Deutschland'." (Schneider (2007), S. 137-138)

      "In der Zeit von Mai 1945 bis Ende 1967 wurden in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR insgesamt 16583 Personen wegen Beteiligung an Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Davon wurden 12818 verurteilt, 1578 freigesprochen. Die Verfahren gegen 2187 Angeklagte wurden in Abwesenheit, Tod oder auf Grund des von der Sowjetischen Militär Administration erlassenen Amnestiebefehls Nr. 43/48 vom 18. März 1948 eingestellt, da keine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr zu erwarten war. Von den 12807 gerichtlich zur Verantwortung gezogenen Personen wurden 119 zum Tode, 239 zu lebenslangem Zuchthaus und 5090 zu einer höheren Freiheitsstrafe als 3 Jahre verurteilt. (...) Obwohl nach 1945 der weitaus größte Teil der Kriegs- und Naziverbrecher in die westlichen Besatzungszonen flüchtete, wurden in der westdeutschen Bundesrepublik, deren Bevölkerungszahl dreimal so groß ist wie die der DDR, bis zum 1. Januar 1964 nur 12457 Personen angeklagt. Bis März 1965 wurden von den Gerichten der Bundesrepublik nur 5234 Personen rechtskräftig verurteilt, in über 7000 Fällen erging Freispruch, wurde das Verfahren eingestellt oder die Hauptverhandlung gar nicht erst eröffnet. In den Fällen aber, in denen eine Verurteilung erfolgte, standen die Urteile in der Regel in keinem Verhältnis zur Straftat. Von 5234 verurteilten Naziverbrechern und Massenmördern wurden nur 80 zur Höchststrafe (9 zum Tode, 71 zu lebenslangem Zuchthaus) verurteilt! (...) Wenn in den letzten Jahren - nach langer Pause - in der Bundesrepublik wieder einige Verfahren gegen Nazi-Massenmörder stattfinden, so muss dazu festgestellt werden: Erstens erfolgen sie unter dem Druck der Enthüllungen durch die DDR und nur in solchen Fällen, in denen die internationale Empörung der westdeutschen Justiz keine andere Möglichkeit

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