Die Engel der Madame Chantal. Kurt Pachl

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Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl

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manchmal hart verdienen muss.« Sie lachte dunkel auf, verschränkte ihre Hände hinter dem Kopf und lehnte sich genüsslich zurück.

      »Zugegeben. Ab und zu gehe ich danach in eine Disco. Dort reiße ich mir einen Burschen auf, der danach aussieht, als hätte er viel Hunger im Gepäck. Dann lasse ich mich so richtig durchvögeln, und habe das Gefühl, wieder neunzehn zu sein.«

      »Zum Schluss auf dem Rücksitz von einem alten Karren«, kicherte Chantal.

      Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich wenig feinfühlig verhalten hatte.

      »Klar. Das kommt schon mal vor. Zur Not lege ich mich auf die Motorhaube. Auf alle Fälle lasse ich die Kerle arbeiten. Sie bekommen ihren Spaß schließlich kostenlos. Danach lasse ich mich zuhause von einer Flasche Gin inspirieren und schaue mir eine alte Schnulze an. Und am anderen Tag kaufe ich mir ein tolles Kleid.«

      »Wozu brauchst du ein neues Kleid? Ich habe dich in letzter Zeit nur in Jeans und gewagten Blusen gesehen?«

      Ich sammle eben neue Kleider. Irgendein Hobby muss schließlich jeder haben.«

      »Ach du lieber Himmel.« Chantal presste kurz ihre beiden Hände vor den Mund.

      »Was hast du eigentlich mit den Männern angestellt, die ich zu dir weitergeleitet habe? Ich hoffe, dass du sie nicht so empfangen hast.« Sie musterte Iris auffällig von oben bis unten.

      Diese hob blitzschnell abwehrend beide Hände.

      »Siehst du. Um die zu vernaschen, habe ich mich selbstverständlich in mein neuestes Kleid gezwängt. Oder in ein Kleid, das ich aus deiner Sedcard kenne. Keine Angst. Die sind alle hochzufrieden und müde von dannen gezogen.« Sie zuckte mit den Schultern.

      »Glaube ich zumindest«.

      Als sie sah, dass Chantal ihren Kopf nachdenklich hin und her bewegte, fügte sie keck hinzu:

      »Sei doch einmal ehrlich. Es war doch mehr als auffällig, dass du mir nur Interessenten zugeschustert hast, die eindeutig nur auf deinen Körper scharf gewesen sind. Also habe ich diesen Männern viel Körper gegeben. So gesehen kannst du ganz beruhigt sein.«

      »Dann kann ich dir auch weiterhin …?«

      »Mir schon«, lächelte Iris und spielte süffisant mit ihren Lippen. Dabei schielte sie fragend in Richtung der Freundin, die bislang das Schauspiel sichtlich genossen hatte.

      Manuela zuckte mit treuherziger Mimik ihre Schultern.

      »Ich hab‘ mir eine schwarze und langhaarige Perücke zugelegt. Außerdem bin ich bei dir quasi in die Lehre gegangen. Damit ich nicht so viel Konversation führen muss, habe ich meine anderen Werte ins Spiel gebracht. Nur einen von deinen Kunden musste ich an die frische Luft setzen. Sei heilfroh. Der Kerl hätte wunderbar in das Kabinett von Iris gepasst.«

      »Oh mein Gott«, prustete Chantal entsetzt. »Warum sagst du mir das erst jetzt?!«

      Manuela spitzte ihre Lippen.

      »Vielleicht weil ich deine Seele nicht belasten wollte. Vergiss es einfach.«

      Die drei Freundinnen blickten sich einige Sekunden schweigend an. Es schien, als würden in diesem Moment die gleichen Gedanken durch ihre Köpfe rauschen.

      Früher wussten sie mehr voneinander. In den ersten Jahren hatten sie sich wie Geschwister gefühlt. Wobei: Chantal war nicht nur vier Jahre älter. Sie war immer reifer, intelligenter, weitaus kreativer und einfühlsamer gewesen. Ihr konnte man alles anvertrauen. Diese große Schwester tadelte ab und zu. Manchmal tobte sie sogar. Zumindest in den ersten Jahren. Es waren wahnsinnig arbeitsreiche Jahre. Aber es waren herrliche Jahre.

      Chantal war für Iris und Manuela immer ein Vorbild gewesen. Ihr versuchten sie nachzueifern. Doch irgendwann mussten sie sich eingestehen, dass es sinnvoller war, ihren eigenen Stil zu entwickeln, und ihre eigenen Wege zu gehen.

      Chantals Augen tasteten Manuela ab. Sie hatte sich in den letzten zwei Jahren optisch verändert. Früher trug sie lange und wunderschöne blonde Haare. Erstaunlicherweise passte ihre moderne Kurzhaarfrisur zu ihrem völlig neuen Auftritt. Während sie früher in ausgesucht modischen Kleidern und abenteuerlichen High Heels auftrat, war sie sukzessive, wie Iris auch, in enge Jeans geschlüpft, und trug dünne Blusen. Unter ihnen zeichneten sich dezente Muskelpakete ab. Sie joggte unermüdlich, spielte Squash und war oft in Fitness-Studios zu sehen. Während Iris‘ Busen zunehmend bedrohlichere Formen annahm, schienen Manuelas Brüste kleiner geworden zu sein. Chantal hatte zufällig gelesen, dass dies indirekt möglich war. Durch bestimmte Formen des Krafttrainings wird das Fettgewebe in

      den Brüsten in Muskeln umgewandelt. Die Brüste erscheinen kleiner und vor allem fester.

      Verdammt. Ihr Instinkt hatte sie verlassen. Vor wenigen Wochen führte sie ihr Weg wieder einmal in Svens Foto-Studio. Genau genommen war es auch ihr Studio. Vor Jahren hatte sie fast zweihunderttausend Euro in dieses Studio gesteckt. Sven hatte deshalb darauf bestanden, dass sie als Mitinhaberin auftrat. Das war gut für das Image. Auf alle Fälle fielen ihr damals wahnsinnig schöne Aufnahmen von Frauen auf. Sie entdeckte auch Aufnahmen von Manuela; in engen Jeans, im Kostüm, im Streifenanzug, wie diese von taffen Managerinnen getragen wurden – und Manuela mit einer modischen Brille.

      »So etwas trägt man heute«, hatte Sven gesagt – und dabei vielsagend gegrinst. Selbstverständlich wusste er, dass Manuela ihre Freundin war. Höchstwahrscheinlich ging er davon aus, dass sie sich austauschten. Sven war diskret und keine Plaudertasche.

      Manuela kannte ihre ältere Freundin. Inzwischen gelang es ihr, in deren unendlich vielen Mimiken lesen zu können. Zumindest glaubte sie das. Deshalb stand sie auf, um Chantal einen Kuss auf den Mund zu geben. Danach setzte sie sich wieder. Ihre beiden Freundinnen erkannten sofort, dass jetzt ein längerer Monolog auf sie wartete.

      »Schon als Kind habe ich gerne mit Barbie-Puppen gespielt. Gut. Das war bei Mädchen nicht ungewöhnlich. Es war zunächst auch nicht ungewöhnlich, dass ich mit Tatjana schmuste. Aber als Fünfzehnjährige war das dann nicht mehr ganz so alltäglich. Irgendwann bekam Tatjana Hausverbot – und ich Prügel. Natürlich wusste ich damals noch nicht genau warum. Meine Eltern waren katholisch; sehr katholisch sogar. Als Valentin, ein Nachbarjunge, alles daransetzte, mit mir Hausaufgaben zu machen, oben in meiner Bude, war die Welt für sie wieder in Ordnung. Ich sah gut aus. Die Kerls schlugen sich wegen mir die Nase blutig. Das hat mir natürlich imponiert. Allerdings hielt ich mich dann doch an die etwas älteren Burschen. Von denen konnte ich noch etwas lernen. Ich lernte schnell und viel.

      Als mich meine Eltern einsperren wollten, riss ich einfach aus. Ich hatte die Nase voll. Nach Frankfurt war es nicht weit. Und irgendwann haben wir uns dann kennengelernt.

      Soweit so gut. Vor ungefähr einem Jahr war da dieses Urvieh. Er roch nach Geld und stank nach Schweiß. Ich will es kurz machen. Der Kerl hat mich mächtig verdroschen. Einige Wochen zuvor habe ich mir einen Notknopf installieren lassen. Das war meine Rettung.

      An diesem Abend bin ich dann durch die Bars gezogen. Erst nach vielen Minuten habe ich festgestellt, wo ich da hineingeraten bin. Dort saßen Frauen; nur Frauen. Okay. An diesem Abend war ich froh gewesen, keinen Mann mehr zu sehen. Irgendwann hat sich dann eine Frau mit einschmeichelnder und sonorer Stimme, in etwa so wie deine, an meinen Tisch gesetzt. Wir haben uns unterhalten. Ich habe getrunken und geheult. Und irgendwann, dazwischen fehlt mir ein Stück Film, lag ich dann in einem Bett – zusammen mit dieser Frau. Sie hat mich gestreichelt und liebkost. Keine Ahnung, was sie an diesem Abend noch mit mir

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