Die Seelenlicht Chroniken. Katrin Gindele
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Читать онлайн книгу Die Seelenlicht Chroniken - Katrin Gindele страница 6
Aufgegeben. Das war das Wort, das mir auf der Zunge lag, aber nicht ausgesprochen werden wollte.
Mom hatte aufgegeben. Schon vor langer Zeit.
»Manchmal habe ich das Gefühl, dass unsere ganze Familie bei dem Unfall gestorben ist, nicht nur Dad und Tony.«
Mickal musterte mich fragend.
Ich blieb stehen und tat so, als müsste ich den Hausschlüssel in meiner Handtasche suchen. »Tony war mein großer Bruder. Er hatte das gleiche Motorrad wie du, als wir in Deutschland gelebt haben, deshalb wusste ich auch, welchen Reifen du brauchst.« Ich kramte den Schlüssel aus meiner Handtasche und ging die letzten Schritte bis zum Haus im gemächlichen Tempo weiter. »Mom ist so egoistisch«, beschwerte ich mich kleinlaut. »Sie tut so, als wäre nichts mehr wichtig. Aber ich bin nicht tot. Ich lebe noch und reiße mir jeden verdammten Tag den Arsch auf, damit wir über die Runden kommen.«
Erschrocken presste ich die Lippen zusammen. Warum nur hatte ich ihm das überhaupt erzählt? Wir kannten uns doch gar nicht. Außerdem war das nichts, was er wissen musste, das ging nur mich und meine Mutter etwas an. Dennoch tat es gut, mit jemandem darüber zu reden, selbst wenn mein Gegenüber nur stillschweigend zuhörte, ohne etwas zu erwidern.
Tränen der Verzweiflung brannten in meinen Augen. Die Sorge um meine Mutter, um unsere gemeinsame Zukunft, ließ mich kaum noch schlafen.
Ich blinzelte die Tränen weg, straffte die Schultern und steckte den Schlüssel ins Schloss, kaum dass wir die Haustür erreicht hatten.
»Mom, ich bin zu Hause«, rief ich nach oben. Dabei schlüpfte ich aus meinen Pumps und legte meine Handtasche auf die kleine Anrichte. Dann drehte ich mich zu meinem Gast um. »Das Haus ist nicht besonders groß. Zwei Schlafzimmer, eine Wohnküche und ein kleines Badezimmer, aber für uns reicht es allemal.« Mit einem Nicken deutete ich den Flur entlang. Die Wände waren kalkweiß gestrichen, der Boden war mit matten Steinfliesen gefliest. »Da vorne rechts ist die Küche, von dort aus gelangst du auch ins Wohnzimmer und in den Garten. Das Bad befindet sich hinter der linken Tür. Oben sind beide Schlafzimmer und eine kleine Abstellkammer. Du kannst dich gerne in Ruhe umsehen, während ich nach Mom schaue.«
Mickal nickte. Mit eingezogenem Kopf ging er den Flur entlang in Richtung der Küche, weil er mit seinen fast zwei Metern beinahe die niedrige Decke streifte.
Gedankenverloren schaute ich ihm hinterher und überlegte, wo zum Teufel dieser Riese überhaupt schlafen sollte. Unser Sofa war jedenfalls viel zu klein dafür, das war mir in dem Moment bewusst geworden, als ich mitbekommen hatte, wie er den Kopf einziehen musste, um durch die Tür ins Haus zu gelangen.
Na super, dachte ich, als ich die Treppe nach oben lief. Das konnte ja lustig werden.
Mom lag auf dem Rücken, die Arme unter der Bettdecke, und döste. Trotz der heißen Temperaturen, die für August hier in Italien völlig normal waren, brauchte sie immer eine Decke, weil ihr ständig kalt wurde.
»Mom?« Leise trat ich ans Bett und betrachtete ihr blasses Gesicht.
Die Haut spannte sich über den Wangenknochen, dunkle Schatten lagen unter ihren langen, dichten Wimpern. Ihre Lippen waren bereits spröde vom Wassermangel.
Mit einem Blick auf den unberührten Teller, der neben dem Bett auf dem kleinen Schränkchen stand, sagte ich: »Mom, du hast schon wieder nichts gegessen. Ich hatte dir extra Toast gemacht, weil du den so gerne magst.«
Langsam öffnete sie die Augen und schaute zu mir auf. »Wie war dein Tag?«
Vorsichtig setzte ich mich auf die Bettkante und strich ein paar lose Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. »Wir haben einen Gast«, erklärte ich und lächelte, als sie die Augen aufriss.
»Einen Gast?«
Ich nickte. »Ein Tourist auf der Durchreise. Er braucht für ein paar Tage eine Unterkunft, und er zahlt wirklich gut, Mom.« Als ich bemerkte, wie sie zum Protest ansetzte, fügte ich hastig hinzu: »Er ist ganz harmlos, keine Sorge.«
Das Wort harmlos traf es nicht einmal annähernd. Der Kerl war alles andere, aber ganz sicher nicht harmlos. Doch warum auch immer, bei ihm hatte ich zu keiner Zeit das Gefühl gehabt, ich könne ihm nicht trauen. Er machte auf mich zwar einen gefährlichen Eindruck, das ließ sich allein schon aufgrund seiner beeindruckenden Statur nicht abstreiten, allerdings wirkte er auf mich nicht so, als würde er hilflose Frauen angreifen. Zumindest hoffte ich das.
Mom versuchte sich aufzurichten. Ich half ihr und schüttelte das Kissen auf, damit sie bequem sitzen konnte.
»Es tut mir so leid«, murmelte sie sichtlich ergriffen. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen.«
»Du könntest damit anfangen, indem du etwas isst«, versuchte ich sie ein wenig aufzumuntern.
Sie lächelte kaum wahrnehmbar. »Was gibt es denn?«
Ich erwiderte ihr Lächeln. »Wie wäre es mit Spaghetti Bolognese?«
»Klingt gut«, meinte sie und faltete die Hände im Schoß. Dann wanderten ihre Augen über meine Arme. »Du hast schon wieder vergessen, dich einzucremen«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton.
Ich folgte ihrem Blick und betrachtete die roten Stellen auf meinem rechten Unterarm. Ganz egal, mit wie viel Sunblocker ich mich einschmierte, früher oder später wurde ich dennoch wieder knallrot, meine Haut war einfach viel zu empfindlich.
»Wir hätten lieber nach England gehen sollen«, versuchte Mom zu scherzen. »Italien ist nicht gut für dich.«
Dafür war es leider zu spät, wie ich fand, denn in Anbetracht ihrer gesundheitlichen Verfassung würden wir in absehbarer Zeit nirgendwohin gehen, so viel stand fest.
»Ruh dich ein bisschen aus, bis das Essen fertig ist.« Ich erhob mich, und Mom schloss die Augen.
»Richte unserem Gast liebe Grüße aus«, murmelte sie schlaftrunken.
Ich nickte betreten. Mom war so schwach, sie wirkte so zerbrechlich, selbst diese wenigen Worte schienen sie unheimlich anzustrengen.
In Gedanken versunken durchquerte ich den oberen kleinen Flur, der direkt in mein Zimmer führte und von mir in einem kräftigen Sonnengelb gestrichen worden war. Möbel standen in diesem Flur keine, dafür war er viel zu schmal. Doch Bilder gab es dafür reichlich an den Wänden, tolle Landschaften, die Mom gemalt hatte. Früher einmal hatte sie es geliebt, zu malen. Neben dem Restaurieren alter Möbel war das eine ihrer absoluten Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Doch dafür fehlte ihr inzwischen die Kraft.
Direkt neben meiner Zimmertür hing ein besonders schönes Bild, welches mir von allen am besten gefiel: eine weitläufige, üppig begrünte Landschaft mit einem Wasserfall, umrahmt von unzähligen Bäumen, deren massige Stämme mit Moos bewachsen waren. Eine herrliche Landschaft voll unberührter Natur. Im Vorbeigehen warf ich einen flüchtigen Blick auf das Bild und fragte mich, so wie immer, wenn mein Blick das Gemälde traf, wann Mom wohl diese Landschaft mit eigenen Augen gesehen haben mochte. Lange vor meiner Geburt, das wusste ich aus ihren Erzählungen. Vielleicht würde ich eines Tages dorthin reisen und diese atemberaubend schöne Landschaft selbst sehen.
Ich stieß die Tür auf und betrat mein Zimmer. Der alte weiße Holzboden hatte auch schon bessere Tage erlebt. Er knarrte unter meinen Schritten, als ich zum Schrank ging, um mir frische Sachen