Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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irgendwann begann sie zu glauben, daß sie an Johannes etwas gutmachen müsse, indem sie andren Männern hinwerfe, was sie ihm verweigert hat. Nach dem Tod ist ja schon mancher heilig gesprochen worden, und der Wunsch soll nicht selten der Vater eines Gedankens sein.

      Maria: Aber schweigen Sie doch!

      Fräulein Mertens: Sie mißbrauchen die Einbildungen eines überzarten Frauengewissens!

      Anselm: Sie lieben sie doch? Also werden Sie wohl das verstehn: Schon als Kind verkroch sie sich im Garten, während wir andren sprachen, unter irgendeinen Busch und nahm Erde in den Mund oder Steinchen, nahm Würmer in den Mund, bohrte in der Nase, kostete die Ausscheidungen ihrer Augen und Ohren. Und dachte: Einmal wird plötzlich etwas ganz Wunderbares daraus entstehn! Was haben Sie? Ist Ihnen übel? Sie lieben doch Ihre Heilige. Ihre Sankt Potiphar?! Männer, das ist ja nichts andres, das ist doch auch nur – das Geheimnis, das man in den Leib nimmt.

      Fräulein Mertens: Sie verleumden!

      Anselm in nervöser Verzweiflung: Aber quälen Sie mich nicht! Glauben Sie denn, ich möchte ihr nicht helfen?! Wenn ich nur selbst wüßte – wie zu helfen ist!

      Fräulein Mertens: Ich werde mich vor ihre Türe legen, wenn sie mich nicht einläßt! – Und ich konnte glauben, nie ein so zartes Bild erotischer Delikatesse gesehen zu haben! Ab.

      Maria: Wie konnten Sie mit solcher Roheit sprechen!

      Anselm geht erregt hin und her: Die hat genug. Die kommt nicht noch einmal mit; sollte sie noch so Regine geliebt haben. Gibt es etwas Unappetitlicheres als die Tugend?!

      Maria: Aber niemals durften Sie Regine so preisgeben!

      Anselm: Warum macht sie solches Aufsehn! Mit der ganzen Reise hierher!

      Maria: Ist des denn besser, wenn man etwas heimlich tut?!

      Anselm: Ja! Zum hundertsten Male: Ja! Ich werde immer vorziehn, im geheimen Unrecht zu tun, statt ein ungewöhnliches Recht öffentlich zu vertreten; es ist würdiger. Thomas tut alles öffentlich. Verstandesmenschen sind immer offen. Aber ich vermag zu lügen nur aus dem einen Grund, weil mir vor der Befriedigung eines fremden Menschen graut, der mich aufmerksam zu verstehen glaubt. Das klebt ärger als eine brünstige Frau; das ist, als wäre man versehentlich in so ein Gehirn hineingetreten!

      Maria schaudernd vor der Erinnerung: Es ist das Widerlichste auf der Welt, ein Weib, das sich so vergißt.

      Anselm umschlagend: Oh, nicht so einfach; so einfach ist es ja auch nicht. Als Johannes tot war, aß Regine wochenlang fast nichts; ein paar Keks täglich war alles. Sie magerte ab, sie wollte eine überirdische Gemeinsamkeit mit ihm erzwingen. Das war sehr schön, sehr stark. Glühender Zustand der Güte. Sie liebte gar nicht ihn, sondern sie liebte. Leuchtete! Aber dann kam die Wirklichkeit, die – Thomas triumphiert ja darüber! – immer recht behält; alle die tausend Stunden, die irgendwie zugebracht werden müssen und werden. Und jede hinterläßt nur eine ganz kleine Blatternspur von: siehst du, es ist gegangen. Und mit einemmal hat das ganze Gesicht davon den zwinkernden Ausdruck fertiger Mensch. Sie ahnen nicht, wie viele Menschen daran zugrunde gehn, daß sie es fertig bringen zu leben! Aber wir verlieren Zeit, Sie wollten doch die Lade zu öffnen versuchen.

      Maria: Sprechen Sie zu Ende, ich will Ihnen dann antworten.

      Anselm sieht sie einen Augenblick lang mißtrauisch prüfend an: Ja! Ich kann es verstehn! … Ich wußte, daß Sie darauf warten. Ich kann verstehn, daß ihr dann jede Untreue, die sie in diesem Leben beging, wie eine Treue gegen das andre erschienen ist. Jede äußere Erniedrigung wie eine innere Erhöhung. Sie schmückte sich mit Schmutz wie eine andre mit Farben. Ist das nicht auch schön?

      Maria: Nein!! Sie starrt ihn ungläubig prüfend an und wirft dann ihren Schlüsselbund weit fort. Ich tue es nicht mehr!

      Anselm entschlossen: Ja, dann lassen Sie es mich tun. Er öffnet wieder sein Messer.

      Maria: Nein, ich dulde es nicht! Es ist etwas Geheimes in Ihnen, das Sie mir nicht gestehn wollen; das Sie mit Regine verbindet! Sie verbirgt sich im Stuhl am Schreibtisch.

      Anselm geht vor ihr auf und ab und bleibt zeitweilig erregt stehn: Was glauben Sie, soll es sein? Haben Sie es denn gehört, sie hat wieder begonnen? … Ganz allein im Sternenmeer, im Sternengebirge sitzt sie und kann nicht sprechen. Sie kann nur häßliche Gesichter schneiden, kleine böse Regine … Auch eine Fratze ist von innen eine Welt, ohne Nachbarschaft mit ihrer Sphärenmusik allein in die Unendlichkeit gebreitet … Sie konnte mit dem Käfer nicht sprechen und steckte ihn in den Mund; sie vermochte mit sich selbst nicht zu sprechen und aß sich. Sie konnte auch mit den Menschen nie sprechen und fühlte doch – dieses entsetzliche Verlangen, sich mit ihnen allen zu vereinen!

      Maria: Nein, nein, nein, nein!! Das ist die Lüge!

      Anselm: Aber Lügen sind zwischen fremden Gesetzen verfliegendes Heimatsgefühl von traumhaft nahen Ländern, verstehen Sie das nicht?! Sind seelennäher. Vielleicht ehrlicher. Lügen sind nicht wahr, aber sonst sind sie alles!

      Maria: Aber sie ist ja so widerlich verlogen, diese Ausrede mit Johannes!

      Anselm: Sie glaubt ja auch nicht daran. Nein, Maria, sie glaubt nicht daran. Sie glaubt auch nicht, daß es einen Sinn hat, zu schrein. Sie tut es bloß. Und fühlt dabei, daß sie Geheimnis ist, das sich nicht verständlich machen kann. Es ist der letzte, zufällige, falsche Ausdruck dafür, der ihr geblieben ist. Eine ungeheure menschliche Not liegt darin; vielleicht unser aller Not!

      Maria springt auf: Ich kann es nicht mehr anhören! Es bleibt ungewiß, ob Anselms Reden oder die Schreie Reginens, die man wieder zu hören scheint. Entsetzlich diese Sinnlichkeit! Sie wollte zum Fenster, aber Anselm steht ihr im Weg, und sie hält sich mit beiden Händen an ihm fest. Gehn Sie doch mit ihr fort!!

      Anselm: Nein. Ich kann nicht. Mitkommen, eine Weile noch, dürfte sie. Geben Sie mir jetzt die Schlüssel.

      Maria: Ich habe Sie jetzt zum erstenmal berührt und soll mit Ihnen fliehn; es ist ja zu lächerlich!

      Anselm: Vertraun Sie mir die Schlüssel an.

      Maria: Nein … Ich kann Ihnen nicht vertraun!

      Er will die Schlüssel aufheben, Maria verwehrt es und nimmt sie selbst; sie stehn einen Augenblick lang kämpfend aneinandergepreßt.

      Anselm faßt ihre Hand und setzt sich die Nägel an Hals, Lippen und Augen: Berühren Sie mich! Tun Sie mir weh! Hier! Hier! Nehmen Sie ein Messer, schneiden Sie Zeichen in mich wie in einen Baum! Wenn Sie mir nicht glauben! Quälen Sie mich, bis ich bewußtlos werde und Sie mit mir beginnen können, was Sie wollen.

      Maria reißt sich los: Sie sind wie ein böser kleiner Junge und ich soll Sie verführen, das verlangen Sie.

      Anselm wirft sich in ihren Stuhl: Ich verlange nichts für mich … Als die Erlaubnis, Ihre Schuhe vor die Türe tragen zu dürfen. Ihre Röcke auszubürsten. Die Luft zu atmen, die in Ihrer Brust war. Das Bett zu sein, das Ihren Abdruck bewahren darf. Mich für Sie hingeben zu dürfen! Alle andre Wirklichkeit wird davor ungewiß.

      Maria abwehrend und begütigend: Solange wir uns kennen, haben wir voneinander nicht mehr gesehn als Gesicht und Hände.

      Anselm: Aber als ich mich

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