Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann

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Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71 - Jochen Oppermann

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Thronverzicht der katholischen Hohenzollern gar nicht geben können. Doch genau dies wollte Paris, ansonsten würden sie ihre Kriegsvorbereitungen nicht einstellen. Um die erregte Volksstimmung in Frankreich zu besänftigen, verlangten Gramont und Ollivier über die preußische Gesandtschaft in Paris am Abend, dass sich Wilhelm I. in einem persönlichen Brief an Napoleon III. entschuldige (ebd.). Dies war selbst für den ansonsten beherrschten Wilhelm zu viel: »Hat man je eine solche Insolenz [= Unverschämtheit, Anm. d. Autors] gesehen? Ich soll also als reuiger Sünder vor der Welt auftreten in einer Sache, die ich gar nicht angeregt, geführt und geleitet habe, sondern Prim, und den läßt man ganz aus dem Spiel?« (Brief an Königin Augusta, zitiert nach: Deuerlein, S. 38).

      Doch da war ein Telegramm über das morgendliche Treffen auf der Emser Kurpromenade bereits in Berlin eingetroffen. Über das Gespräch mit Benedetti hatte Wilhelm eine Abschrift anfertigen lassen und sie zu Bismarck geschickt. Er könne diese veröffentlichen, falls er es für notwendig erachte. Heinrich Abeken (1809–1872) war von Wilhelm beauftragt worden, Bismarck über die Vorgänge in Ems genauestens zu informieren. Die Erlaubnis zur Veröffentlichung befindet sich am Ende des dreiteiligen Berichtes und war der Zündstoff, den Bismarck benötigte (Deuerlein, S. 37). Um 18:09 Uhr traf das Telegramm in Berlin ein, wurde zwei Stunden lang entziffert und beim Abendessen gereicht. Hier saßen Bismarck, Moltke und Roon zusammen. »Nachdem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigiert und unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor, deren Niedergeschlagenheit so tief wurde, daß sie Speise und Trank verschmähten.« (Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 364). Doch Bismarck las aufmerksam. Am Ende stand, dass er ermächtigt sei, »ganz oder teilweise« zu veröffentlichen. Den anwesenden Moltke fragte er nach dem Stand der Rüstung des preußischen Militärs und nachdem dieser angab, dass ein rascher Kriegsausbruch gar von Vorteil sei, holte Bismarck seinen Stift heraus. Er verfälschte nicht – er kürzte. Ganz so, wie es das königliche »teilweise« erlaubte. Heraus kam die sogenannte »Emser Depesche«. Und diese schlug ein wie eine Bombe.

      Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung druckte diese bereits am 13. in der Abendausgabe um 22 Uhr. In der französischen Zeitung Soir wurde Bismarcks Version zum ersten Mal in Frankreich am 14. Juli abends um 18:30 Uhr gedruckt.

      »Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königl. Spanischen amtlich mitgetheilt worden sind, hat der Französische Botschafter in Ems an S. Maj. den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, daß er nach Paris telegraphire, daß S. Maj. der König sich verpflichte, niemals wieder Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz. Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.« (zitiert nach: Arand, S. 105 f.)

      Dass diese Nachricht in Frankreich ausgerechnet am 14. Juli veröffentlicht wurde, ist einer jener unerklärlichen zeitlichen Zufälle, die dann und wann in der Geschichte vorkommen. Mittags traf sich der erregte Ministerrat in den Tuilerien, während sich auf den Straßen die aufgebrachte Menge sammelte. »Zum Rhein!«, war überall zu hören (Howard, S. 55). Der Kaiser war krank und hatte seine liebe Mühe, seinen Wunsch nach Vermeidung eines Krieges durchzusetzen. Er schlug eine internationale Konferenz vor, die den Streit schlichten sollte. Überraschenderweise wurde dieser Vorschlag angenommen. Napoleon III. ging sich ausruhen, seine Blasenkoliken machten ihm zu schaffen. Am Abend wurde der Ministerrat abermals zusammengerufen, und nun hatte der Kaiser, der in der Zwischenzeit von Eugénie beeinflusst worden war, eine andere Meinung. Die Konferenz sollte nicht stattfinden, sondern die Reserve sollte mobilisiert werden (Bremm, 2019, S. 44). Man kann den kaiserlichen Wankelmut durchaus auf dessen körperliche Verfassung zurückführen. Die schweren Koliken mussten mit Schmerzmitteln erträglich gemacht werden, die im 19. Jahrhundert aus Wirkstoffen bestanden, die heutzutage unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Neben Kokain und Opium wirkten weitere psychoaktive Substanzen – Bismarck ließ sich beispielsweise manchmal zum Einschlafen Morphium spritzen (vgl. Tagebuch der Baronin Spitzemberg, S. 110). Völlige geistige Klarheit war also von Napoleon III. im Sommer 1870 nicht zu erwarten, und seine Blasenschwäche, deren Folgen mit in die Hose gestopften Servietten bekämpft werden sollten, gab auch kein Bild bei seinen Ministern ab, das vor Autorität strotzte (Arand, S. 109). Vielleicht war er so in der Verfassung, besonders ehrliche Worte zu finden, als er zu Ollivier sagte: »Sehen Sie, in welcher Lage sich eine Regierung manchmal befinden kann: wir haben keinen richtigen Kriegsgrund, trotzdem werden wir uns für den Krieg entscheiden müssen, um dem Willen des Landes zu gehorchen« (zitiert nach: Kolb, Kriegsausbruch, S. 142 f.).

      Am 15. Juli traf sich nochmals der Ministerrat in Paris, der im Grunde die Entscheidung zur Mobilmachung vom Vortag bestätigte (Howard, S. 56). Hinzu kam die Formulierung der Kriegserklärung an Preußen, jedoch war bereits am Vortag klar, dass es nun zum Krieg kam. Deswegen reiste Wilhelm am 15. früh morgens aus Ems ab, nicht ohne sich nochmals förmlich von Benedetti zu verabschieden. Gegen neun Uhr abends kam der König in Potsdam an, wo ihn eine jubelnde Menge empfing. Von hier aus fuhr er mit der Kutsche nach Berlin, durchs Brandenburger Tor zum Stadtschloss – ganz Berlin schien an der Straße »Unter den Linden« zu stehen und ihrem König zuzujubeln. Ihm selbst war dies eher unangenehm (vgl. Deuerlein, S. 40 ff.). In der Nacht wurde noch der Mobilmachungsbefehl an alle preußischen Standorte ausgegeben. Für den 19. war eine Sitzung des Norddeutschen Reichstages anberaumt. Es sollten Kriegskredite bewilligt und Entschlossenheit demonstriert werden. Beides gelang, da die norddeutschen Staaten längst schon fest auf preußischem Kurs waren. Aber es gab ja noch das »Dritte Deutschland«. Wie war dort die Stimmung im Juli?

      Für die bayerische Regierung lag eindeutig der Bündnisfall vor, sodass sie am 16. Juli ihre Streitkräfte mobilisierte. Dies sah das Parlament jedoch zunächst anders. Auch wenn am 17. Juli rund 30 000 Menschen in München nationale Lieder sangen und den Krieg freudig begrüßten, empfahl der bayerische Haushaltsausschuss, die Kriegskredite nur für eine bewaffnete Neutralität zu gewähren (Winkler, S. 204). Tumultuarische Zustände brachen im Parlament aus. Erst nach den Reden des Ministerpräsidenten und des Kriegsministers beruhigte sich die Lage und der bayerische König Ludwig II (1845–1886) konnte am 20. Juli an Wilhelm schreiben: »Mit Begeisterung werden Meine Truppen an der Seite Ihrer ruhmgekrönten Waffengenossen für deutsches Recht und deutsche Ehre den Kampf aufnehmen.« (zitiert nach: Arand, S. 116). Dennoch hielt sich die bayerische »Begeisterung« besonders beim König in Grenzen. Man war sich durchaus bewusst, welche Rolle Bismarck bei der ganzen Sache spielte und was sein Ziel war.

      Ebenfalls nüchtern waren die Reaktionen in Württemberg und Baden. Beide Länder lagen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Frankreich und würden somit von einer einmarschierenden französischen Armee zuerst betroffen sein. Vor allem Württemberg besaß eine große antipreußische Bewegung. Dennoch gelang es, die Kriegskredite einfacher als im bayerischen Parlament zu bewilligen und den Bündnisfall zu akzeptieren, auch wenn ein zu großer preußischer Einfluss befürchtet wurde. In Baden erging am 15. Juli der Befehl zur Mobilmachung, da man hier eng zu Preußen stand, das man als einzigen großen Bündnispartner gegen Frankreich betrachtete (vgl. ebd., S. 117 f.). In beiden Ländern sah man letztlich in Napoleon – den feinen Unterschied zwischen Gramont und dem Kaiser ließ man beiseite – einen Aggressor, der sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischte. Im Großherzogtum Hessen war man indes alles andere als preußenfreundlich. Im Gegenteil zürnte man immer noch ob der Abtretung Nassaus, Frankfurts und Kurhessens an Preußen im Jahr 1866. Der Ministerpräsident Freiherr Dalwigk zu Lichtenfels (1802–1880) versuchte in den Jahren vor dem Krieg alles, um das Großherzogtum vollständig wiederherzustellen und die »Schutz- und Trutzbündnisse« auszuhebeln – jedoch vergebens (ebd., S. 119). Letztlich musste auch er sich fügen, und die hessischen Truppen wurden in die 2. preußische Armee eingegliedert.

      Es standen also recht zügig alle deutschen Staaten Frankreich gegenüber, natürlich mit Ausnahme Österreichs. Jetzt galt es nur noch auf die offizielle Kriegserklärung zu warten. Diese traf am 19. Juli in Berlin ein. In ihr »hat die

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