Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71. Jochen Oppermann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Deutsch-Französische Krieg: 1870/71 - Jochen Oppermann страница 9
Am 6. Juli kam es zu einer Ministerratssitzung in Paris, die von völlig falschen Annahmen ausging. Es wurde angenommen, dass die französische Armee kriegsbereit und der preußischen überlegen sei. Ferner wertete man den Briefwechsel mit Italien und Österreich des Jahres 1869, den die Monarchen über ein eventuelles Bündnis geführt hatten, bereits als Abschluss eines solchen (Bremm, 2019, S. 40). Schließlich kam noch die angenommene Neutralität Süddeutschlands in einem Krieg hinzu, sodass Gramont am folgenden Tag vor der Gesetzgebenden Körperschaft in Paris eine aggressive Erklärung zur spanischen Thronkandidatur Leopolds abgab (Howard, S. 51). Obwohl die Rede dem heimischen Publikum galt, horchte dennoch die europäische Politik aufgrund der unverhohlenen Kriegsdrohung auf. Es war bis dahin unüblich, einem anderen souveränen Staat öffentlich zu drohen, sodass dies bei den anderen Mächten einen negativen Eindruck hinterließ (Ohnezeit, S. 60).
Mit Gramonts Rede vor dem Corps législatif hatte sich Frankreich unnötig unter Druck gesetzt. Bisher gab weder Spanien noch Preußen, das sich offiziell aus allem heraushielt, Anlass für eine solch martialische Rede. Napoleon III. musste nun, wollte er seinen neuerlichen Kredit beim eigenen Volk nicht verspielen, den Worten Taten folgen lassen. Die Beschränkung der Handlungsfähigkeit war ein großer politischer Fehler, den die Verantwortlichen so noch nicht einsahen, denn nun konnte nur noch eine öffentliche Verzichtserklärung Preußens auf den spanischen Thron – das damit ja faktisch gar nichts zu tun hatte – das Ansehen Frankreichs bewahren; dies jedoch auf Kosten Preußens, das damit gedemütigt würde (Dittrich, Bismarck, S. 94). Falls nicht, gab es nur eine Option, wie Gramont in einem Brief an den französischen Botschafter in St. Petersburg mitteilte: »Wenn Preußen fest bleibt, so bedeutet das den Krieg!« (zitiert nach: Ohnezeit, S. 60).
In Preußen selbst war man dann doch ob der Aggressivität und Unbeherrschtheit einigermaßen überrascht. Dass eine konservativ-monarchisch geprägte Zeitung wie die Neue Preußische Zeitung die Rede Gramonts auseinandernahm, dürfte klar sein, aber auch die liberale National-Zeitung zeigte ihr Entsetzen: »Dieses Volk, welches sich so gern der aufgeklärtesten, modernsten Anschauung rühmt, welches täglich die Volkssouveränität im Mund führt, verirrt sich hier bei der spanischen Thronfrage in den Anschauungen und den Aberglauben der zopfigsten Diplomatie. Da wird von Karl V. gefaselt, von der Wiederherstellung seines Weltreiches, von der Störung des europäischen Gleichgewichts, von der Umschnürung und Erdrückung Frankreichs […]« (National-Zeitung Nr. 311 vom 08.07.1870, o. S.).
Seltsamerweise richtete sich der französische Groll nur gegen Preußen. Immerhin hätte man in Paris auch gegen Spanien einen aggressiven Ton anschlagen können, doch man wollte die guten Verbindungen nicht gefährden. Gramont wies sogar den Botschafter in Madrid an, sich zurückzuhalten (Hawig, S. 325 f.). Oberstes Ziel war ein diplomatischer Triumph über Preußen nach den Rückschlägen der letzten Jahre. Zeitgleich trieb der Außenminister die Kriegsvorbereitungen voran, indem er am 9. Juli die französischen Truppen aus Nordafrika nach Europa einschiffen ließ. Am Tag zuvor schickte Napoleon III. an Österreich und Italien ein Telegramm mit der Bitte um Waffenhilfe, so wie er annahm, dass es vereinbart sei (Ohnezeit, S. 61). Italien und Österreich erklärten sich jedoch für neutral, ebenso England und Russland, denen die ehrgeizigen Pläne Napoleons III. sowieso zu weit gingen. Dänemark, das man noch kurz vor Kriegsbeginn an die alte Feindschaft zu Preußen erinnernd in militärische Überlegungen miteinbeziehen wollte, lehnte ebenfalls ab. Frankreich war im Juli 1870 isoliert.
Botschafter Benedetti hatte am 7. Juli die Order Gramonts erhalten, König Wilhelm aufzufordern, sich öffentlich hinsichtlich eines Thronverzichtes zu äußern. Wilhelm war darüber äußerst verärgert, weil er ja nicht derjenige war, der Leopold zum Thron riet. Auch ließe er sich als souveräner Monarch nicht so einfach von einem fremdländischen Außenminister bedrängen (Bremm, 2019, S. 44). Vielleicht hatte er auch die Heuchelei im Kopf, mit der Frankreich auf der Souveränität der spanischen Thronkandidatur pochte – hatte Napoleon III. doch wenige Jahre zuvor einen mexikanischen Kaiser gegen jedes Selbstbestimmungsrecht installiert. Wahrscheinlich aber dachte Wilhelm gar nicht in diesen Dimensionen, sondern es war schlichtweg gegen seine Würde, die Forderungen Gramonts zu erfüllen. Dennoch war er – mal wieder – vor allem zornig auf Bismarck, und wollte einen Krieg unter allen Umständen vermeiden (Howard, S. 52). Der preußische Botschafter in Paris, Karl Freiherr von Werther (1809–1894), verstand sich überraschend gut mit dem »Preußenfresser« Gramont und warnte diesen, es mit der Provokation Wilhelms nicht zu übertreiben (Arand, S. 100). Der König war nämlich, sehr zum Verdruss Bismarcks, bereit, alles für den Erhalt des Friedens zu tun, nur musste seine monarchische Würde gewahrt bleiben. Auch in Madrid war mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass man sich mit der Thronkandidatur Leopolds einen europäischen Krieg heranzüchtete, und man gab nun auch zu verstehen, dass der Hohenzollern von sich aus verzichten solle. Im fernen Paris atmete Minister Ollivier erleichtert auf, da er, trotz martialischer Rhetorik, kein wirkliches Interesse an einem Krieg hatte (Dittrich, Ursachen, S. 84). Nur sein Außenminister sah dies anders.
Am 10. Juli bat König Wilhelm I. den Vater Leopolds, diesen zum Verzicht zu bewegen. Die Kriegsdrohungen Gramonts zeigten beim König Wirkung. »Es grenzt an Wahnsinn« (Arand, S. 100), schrieb er an Karl Anton und zeigte damit sein Unverständnis hinsichtlich der eskalierenden Entwicklung. Zwei Tage später war es dann tatsächlich geschafft! Der Frieden war gerettet. Denn am 12. Juli 1870 erklärte Karl Anton von Hohenzollern den Verzicht auf den spanischen Thron im Namen seines Sohnes Leopold, der gerade in den Alpen wanderte und von all dem nichts mitbekam.
Währenddessen wurden die Anweisungen Gramonts, die er Benedetti zukommen ließ, immer drängender. Wie die am 10. Juli: »Sie müssen alle Ihre Kräfte einsetzen, um eine entschiedene Antwort zu erhalten; denn wir können nicht warten angesichts der Gefahr, daß Preußen unseren Vorbereitungen zuvorkommt. Der Tag darf nicht zu Ende gehen, ohne daß wir beginnen« (zitiert nach: ebd., S. 101). Im Prinzip hatte Gramont am 12. Juli schon seinen und damit Napoleons außenpolitischen Erfolg über Preußen erhalten. Der Kaiser war zufrieden. Auch Ollivier, der liberale Ministerpräsident, sah nun ebenfalls die spanische Angelegenheit als erledigt an. Napoleon III. schrieb am 12. Juli an Ollivier. »Das Land wird enttäuscht sein, aber was soll man machen?« (zitiert nach: Ohnezeit, S. 65). Damit wäre alles gut gewesen. Die Stimmung war allerdings in weiten Kreisen Frankreichs derart aufgeheizt, dass der Preis eines Thronverzichtes als zu gering angesehen wurde. Phalanx dieser überreizten Bewegung war weiterhin Gramont, der den Krieg oder zumindest Preußen weiter demütigen wollte (Howard, S. 52). Diesem ebenfalls nicht abgeneigt war Bismarck, der am 12. Juli von seinem Gut Varzin nach Berlin reiste, um sich mit Moltke und Kriegsminister Albrecht von Roon (1803–1879) zu beratschlagen. Er war alles andere als glücklich über die, seiner Meinung nach, zu lasche Haltung seines Königs, und er bekam Schützenhilfe aus Paris. Gramont gab Benedetti den Auftrag, vom König das Zugeständnis zu erhalten, dass nie wieder ein Hohenzollern Ansprüche auf den spanischen Thron erheben würde. Eine solche Erklärung sollte dann in der Kammer in Paris verlesen werden. Auch Kaiser Napoleon III. bestand nun plötzlich auf einer solchen Erklärung. Der Verzicht aus Sigmaringen war kein offizielles Schriftstück und beinhaltete zudem einen Seitenhieb auf Frankreichs Einmischung in innerspanische Angelegenheiten, sodass man in Paris auf eine offizielle, aus Berlin stammende Verzichtserklärung bestand (Benedetti, S. 372).
Am 13. Juli traf Graf Benedetti morgens den König auf der Promenade von Ems. Wilhelm spazierte in Zivil und wurde vom Franzosen fern jeglicher Etikette bedrängt, die von Gramont erwünschte Erklärung abzugeben. Obwohl Wilhelm, der stets großen Wert auf standesgemäßes Verhalten legte, empört war, sprach er dennoch mit dem Botschafter. Im Prinzip teilte der König ihm mit, dass er mit der ganzen Sache wenig zu tun habe und der falsche Ansprechpartner sei. Die geforderte Verzichtserklärung, die Benedetti kannte, wurde Wilhelm erst gegen 13 Uhr vorgelegt. Auf Rat des preußischen Innenministers, den er kontaktierte, sollte er auf ein weiteres Treffen mit Benedetti verzichten. Er ließ ihm die Verzichtserklärung zukommen und schlug die Bitte für ein weiteres Gespräch aus. Die Angelegenheit war für den König damit