Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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„Mein Herr, nicht so schnell!“ Bestimmt baute der Krieger sich vor dem Fürsten auf. Man erkannte bereits den Zornesfunken in Behlenos’ Augen, der bedrohlich genug war, um jeden zurückweichen zu lassen. Doch Aehrel fügte seinen Worten nur hinzu: „Rowilan geht es sehr schlecht. Er hat gestern die Grenze zwischen den Welten berührt und ist bis jetzt nicht vollständig in seinen Körper zurückgekehrt. Ich weiß nicht, welcher Fehler ihm unterlaufen ist, ich war nicht die ganze Zeit über bei ihm. Aber er ist derzeit kaum in der Lage, Euch Rede und Antwort zu stehen!“
„Ach wirklich?“ Damit stieß Behlenos den Krieger kurzerhand beiseite. Aigonn beobachtete, wie Aehrel die Hand erhob, um seinen Fürsten zurückzureißen. Doch dieser hatte die Bettstatt des Schamanen längst erreicht. Mit finsteren Augen sah er zu Rowilan herab. Furcht und Zurückhaltung waren gleichermaßen in seinem Blick enthalten, als er auf die Gestalt blickte: Der sonst so unantastbare Rowilan lag mit offenen Augen und entrücktem Blick auf seinen Fellen im Stroh. Die Lippen zuckten immer wieder, als ob er stumme Beschwörungen sprechen würde, doch seine Worte erreichten keinen Sterblichen. Angreifbar wie ein Kind war er geworden. Aigonn konnte sehen, dass dieser Umstand Behlenos fast Angst bereitete.
„Rowilan!“ Seine Worte erreichten den Schamanen nicht. „Rowilan, hörst du mich?“ Wieder keine Antwort. Frustriert wandte sich Behlenos von Rowilan ab und sagte stattdessen zu Aehrel: „Wir haben einen toten Eichenmann in unserer Siedlung! Bral und … und Aigonn haben ihn heute Morgen unweit des Waldrandes gefunden.“
„Was sagt Ihr?“ Aehrel hielt inne und vergaß, was er seinem Fürsten an den Kopf hatte werfen wollen.
„Er scheint ein Selbstmörder zu sein. Die Götter allein wissen, welches Grauen ihn getrieben hat. Doch der Ort seines Todes liegt nicht allzu weit von dem Hain entfernt, wo Rowilan gestern Nacht seine Rituale abhalten wollte. Wart ihr dort?“
„Ja.“
„Ihr habt nichts bemerkt?“
„Nein, wirklich nicht. Ich habe Rowilan nur bei seinen Vorbereitungen geholfen und mich dann zurückgezogen. Ihr wisst ja, da ich kein Eingeweihter, kein ausgebildeter Schamane bin, darf ich nicht …“
„Ja, ja!“, unterbrach Behlenos Aehrel. „Ihr habt wirklich nichts gesehen?“
„Nein, so glaubt mir doch!“
„Schon gut.“ Aigonn spürte, dass sein Fürst sich geschlagen gab. Behlenos ließ Aehrel stehen und lief durch die Gasse, welche die umstehenden Schaulustigen ihm freimachten. Er schien gar nicht mehr hinzuhören, als Aehrel die vielen Leute aus dem Haus des Schamanen warf, sondern tauschte stattdessen stumme Blicke mit einem seiner Berater. Dieser fragte schließlich: „Was sollen wir mit dem Toten machen?“
„Verbrennen. So schnell wie möglich. Sollte irgendein Händler hier auftauchen – ganz egal, wie unwahrscheinlich das ist – dann erzählt ihm, dass einer der Flüchtlinge aus dem Osten an seinen Verletzungen gestorben ist. Ich will diesen Fluch nicht länger als nötig hier bei uns behalten!“
„Behlenos, aber … sollten wir dem Toten nicht vielleicht ein richtiges Begräbnis ausrichten? Auch wenn er nicht unserem Stamm angehört. Ich glaube kaum, dass in der nächsten Zeit ein Reisender oder Händler hier vorbeikommt, der uns bei den Eichenleuten verraten könnte. Und in diesen Zeiten ist es kaum klug, eine verlorene, umherziehende Seele zu haben, die in unserem Dorf gefangen ist und uns nicht schlafen lässt. Ihr wisst, was ich meine!“
„WIE LANGE SOLL ICH DENN DIESEN KERL HIER AUFGEBAHRT LASSEN? Er ist ein Fremder! Wir sind nicht verantwortlich für ihn!“
„Behlenos!“ Der Berater wurde nachdrücklicher. „Behlenos vertraut mir, es ist besser, wenn wir ihn angemessen beerdigen!“
Der Fürst antwortete nichts mehr. Sein scharfer Blick, der sich in die Augen seines Beraters bohrte, verriet allen Umstehenden, dass er sich geschlagen gab – auch wenn er dies nicht öffentlich zugestand. Ohne noch ein Wort zu sagen, schritt er durch die Menschen hindurch und suchte Zuflucht in seinem eigenen Haus – ohne Berater und ohne Diener. Die warf er hinaus.
Die junge Frau hatte sich Zeit gelassen, mit der Menge nach draußen zu strömen. Sie konnte schwerlich beschreiben, welche Gedanken in ihrem Kopf vorgingen. Immer wieder blickte sie zu dem entrückten Schamanen zurück, als ob sein Anblick ihr irgendein Geheimnis verraten würde. Doch würde es Erinnerungen geben, sie kehrten nicht zu ihr zurück.
Unwirsch schüttelte sie den Kopf, als ein junger Krieger sie beim Hinausgehen an der Schulter anrempelte. Sie war so weit zurückgefallen, dass sie fast als Letzte das Haus verlassen würde.
„Jetzt beeilt euch schon! Das ist hier nicht der Marktplatz!“
Plötzlich berührte sie eine Hand an der Schulter. Die junge Frau zuckte zusammen, als hätte sie ein glühendes Metallstück getroffen. Die Stelle der winzigen Berührung brannte – nicht schmerzhaft, sondern mit einer Flut von Emotionen behaftet, dass ihr kurzzeitig schwindelig vor Augen wurde. Sie wirbelte herum. Es fühlte sich so vertraut an, viel vertrauter als eine bloße Bekanntschaft, eine Liebschaft, sie konnte das Gefühl nicht beschreiben, es war so viel stärker. Fast so, als wäre diese Person ein Teil von ihr.
Aehrel starrte die junge Frau aus großen Augen an. Überrascht von ihrer Reaktion zog er eine Augenbraue in die Höhe und fragte: „Alles in Ordnung, Lhenia?“
Die junge Frau nickte – nicht, weil sie ihm zustimmte, doch weil sie in diesem Moment nichts anderes antworten durfte. Für einen Atemzug sah sie Aehrel an. Die Erinnerung pochte in ihrem Kopf wie ein Schmerz, doch der Moment verflog. Die Erkenntnis, nach der sie gesucht hatte, stellte sich nicht ein. Und sie spürte, dass sie in diesem Augenblick nicht mehr tun konnte.
Noch einmal schüttelte die junge Frau wortlos den Kopf, bevor sie sich umwandte und der Menge nach draußen folgte. Sie fühlte Aehrels Blick in ihrem Rücken; in seinen Augen hatte zuletzt ein Ausdruck gelegen, den sie nicht recht hatte deuten können. Aber sie beschloss, die unzähligen Fragen, die diesem Moment anhafteten, beiseite zu schieben und sich zuerst darauf zu konzentrieren, was viel wichtiger war.
Vom Sterben
Gemischte Gefühle stiegen in Aigonn auf, als er Behlenos davoneilen sah. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, von dem Toten. Während sich seine Gedanken mit ganz elementaren Fragen beschäftigten, stieg immer wieder ein namenloses Gefühl in ihm auf – eine Angst, Bedrückung, was auch immer es war. Er wünschte sich, dass er sich davon befreien könnte, doch es war zwecklos.
Auf einmal fasste eine Hand nach seinem Arm. Die Menge der Schaulustigen hatte sich gelichtet, sodass niemand bemerkte, wie die junge Frau zu ihm sagte: „Komm mit mir!“ Dann zog sie ihn, ohne auf eine Entgegnung zu warten, hinter sich her in den Schatten zweier Ställe.
Aigonn wusste nicht, ob er erstaunt oder erschrocken sein sollte, als er den Augen der jungen Frau begegnete. Ganz gleich, ob es Lhenias Körper gewesen war, er hatte dem toten Mädchen gegenüber noch nie so fremd gewirkt wie in diesem Moment. Erkennen, erschrockene Klarheit hatte sich in die Zügen der jungen Frau eingebrannt, und er hörte es an ihrer Stimme, als sie sagte: „Das ist es!“
„Was?“
„Dieser