Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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Oran hatte Wort gehalten und das gesamte Dorf zu sich eingeladen – die übrigen Flüchtlinge inbegriffen. Zwei andere befreundete Bauern hatten sich bereiterklärt, Schemel und Feuerholz zu spenden, sodass sich eine riesige Menschentraube eng um ein einziges kleines Häuschen drängte. Die wenigstens saßen im Inneren. Mehrere Feuer waren entzündet und es floss genügend Bier und Wasser, um die Menschen vorerst bei Laune zu halten.
Aigonn näherte sich verhalten. Es drängte ihn noch immer nicht, zu dieser Feier zu kommen, nicht einmal, um jemand anderem damit einen Gefallen zu tun. Die reservierten Blicke, die ihn trafen, bestätigten sein Gefühl. Zwar wurden nicht alle Gespräche leiser, als er an den Menschen vorbeilief, doch seine Gedanken malten genügend Bilder aus, um ihm die Stimmung gänzlich zu verderben.
Efoh erwartete ihn bereits im Inneren des Hauses. Die Wand aus Schweißgerüchen, tierischen Ausdünstungen von den nahen Ställen, Bier und bratendem Fleisch ließ Übelkeit in ihm aufsteigen, doch Aigonn erinnerte sich daran, dass es im Winter manchmal in seinem eigenen Elternhaus nicht anders gerochen hatte. Das Haus des Oran war bis in die letzten Winkel mit Menschen gefüllt. Der fast euphorisch wirkende Gastgeber suchte sich halb springend seinen Weg durch die Reihen, um neues Bier zu bringen – und seine Geschwindigkeit ließ erahnen, wie schnell das für ihn fast kostbare Getränk aufgebraucht sein würde.
Efoh hatte sich irgendwo in die Menge gedrängt und einen Platz am heimischen Herdfeuer ergattert. Dorthin winkte er Aigonn, einen Becher Bier in der Hand und halb in ein Gespräch mit zwei anderen jungen Männern des Dorfes vertieft.
Aigonn grüßte flüchtig. Die argwöhnischen Blicke, die ihm selbst von den Freunden seines Bruders begegneten, kümmerten ihn fast nicht mehr. Er hatte sich die größte Zeit seiner Kindheit damit abgefunden, dass er anders war als die anderen und nur wenige wirklich seine Gesellschaft gesucht hatten. Tarages vielleicht. Ein paar wenige andere. Menschen, die nicht mehr lebten. Die meisten davon. Die anderen hatten sich verändert, waren erwachsen geworden und hatten die Geschichten und Warnungen ihrer Familien ernster genommen. Nach den jüngsten Ereignissen, in die Aigonn sich aus für ihn unbekannten Gründen verwickelt hatte, erst recht.
Efoh für seinen Teil ließ sich seine Stimmung nicht trüben, rief Oran herbei, dessen Gesicht vom vielen Hin-und-Her-Laufen bereits rot angelaufen war, und bat um einen Trunk für seinen Bruder. Dieser kam, auch wenn Aigonn seinem Bruder weniger enthusiastisch entgegenprostete, als dieser es vormachte. Als Aigonn keine Anstalten machte, sich größer in das Gespräch über Schafe, Lämmer und Tragzeiten einzuklinken, verlor man auch bald das Interesse an ihm, sodass er sich näher an das Herdfeuer setzte und endlich Gelegenheit hatte, die Hütte sorgsam nach der jungen Frau abzusuchen.
Ein Teil der Frauen hatte sich von den Männern abgeschottet und saß zusammen mit kleineren Kindern auf der Bettstatt des Bauern und seiner Tochter. Es dauerte einen Moment, bis Aigonn die junge Frau zwischen ihnen entdeckte. Auf eine gewisse Weise verschuf es ihm Genugtuung, dass er nicht die einzige Person in diesem Raum war, die sich in dem Trubel unwohl fühlte.
So argwöhnisch wie man Aigonn betrachtete, so vorsichtig sprach man mit der vermeintlichen Lhenia. Scheinbar war es ihr recht so, denn die anderen Frauen schienen sich im Geheimen zu fragen, wie sehr Tod und Wiedergeburt Orans Tochter verändert haben mussten. Aigonn schmunzelte über ihre Unwissenheit und erkannte eine Mischung aus Neugierde und Furcht in den Blicken der Mütter, wenn diese die Münder zum Sprechen öffneten.
Es dauerte einen Augenblick, bis die junge Frau sich endlich aus dem Gespräch ausklinkte, den Blick über die Menge schweifen ließ und für einen kurzen Moment des Erkennens bei Aigonn innehielt. Dann wandte sie sich wieder ab. Es vergingen jedoch keine hundert Herzschläge mehr, bis sie mit der Ausrede, sie wolle nach ihrem Vater sehen, die Runde verließ und sich draußen unter die anderen Gäste mischte.
Aigonn wartete eine Zeit, dann tat er es ihr nach. Er wollte nicht den Anschein erwecken, mit ihr besser bekannt zu sein. Daher machte er zunächst einen großen Bogen um sie, stellte sich an ein anderes Feuer und blickte nur flüchtig zu ihr. Die junge Frau zeigte kaum eine Reaktion. Sie wartete sehr lange, sprach immer wieder mit den Leuten, bis sie auf einmal – mit einer Ausrede, die Aigonn nicht verstehen konnte – die Gesellschaft verließ, hinter dem Haus verschwand und in einem geeigneten Moment ganz in die Dunkelheit eintauchte.
Auf einmal hörte Aigonn sein Herz in den Ohren schlagen. Er wusste, wenn Rowilan ihn nun allein in der Dunkelheit mit der vermeintlichen Lhenia entdeckte, würde er nicht eher Ruhe geben, bis er wissen würde, welches Geheimnis sie beide teilten. Dabei gab es nichts Verwerfliches an dieser Wahrheit. Auch nichts Gefährliches – so hoffte er es zumindest.
So unauffällig wie möglich folgte Aigonn dem Weg, den die junge Frau genommen hatte. Erst als er vollends in die Schatten eingetaucht war, beruhigte sich sein Herzschlag. Seine Reaktion schien ihm albern, er tat nichts, wofür eine Strafe angebracht wäre. Und doch konnte er nicht sagen, warum ihn das ungute Gefühl, das ihn schon den Abend über begleitet hatte, noch immer nicht loslassen wollte.
Als eine schmale Hand seine Schulter fasste, zuckte er ungewollt zusammen. Im Zwielicht des Abends erkannte er die junge Frau fast nur noch als Silhouette, doch die Helligkeit genügte, um das feine Schmunzeln auf ihren Lippen zu sehen.
„Wen erwartest du hier zu finden? Einen bösen Geist?“
Aigonn antwortete nicht. Er versuchte pikiert zu wirken, doch ihr wissender Blick entwaffnete ihn. Er gab sich geschlagen, jedoch machte die junge Frau keinerlei Anstalten mehr, Späße weiter in die Höhe zu treiben.
Ihr Ausdruck wurde ernst. Sie blickte sich kurz nach beiden Seiten um, bevor sie mit gedämpfter Stimme anmerkte: „Manchmal frage ich mich, ob es an mir liegt, dass ich diese Menschen nicht verstehe! Dieser Bauer, Oran, niemand verlangt doch von ihm, dass er so viele Leute bewirtet, ohne dass er es sich wirklich leisten kann! Oder nicht?“
„Nein, du hast Recht. Oran hat ein gutes Herz, aber meiner Meinung nach überschätzt er zu oft seine Möglichkeiten.“
Die junge Frau nickte nur, als hätte sie diese Vergewisserung gebraucht, um sich selbst und ihre Art zu denken zu bestätigen. Sie überlegte kurz, dann sagte sie: „Gibt es Dinge, die ich wissen sollte, wenn ich weiterhin versuche, Lhenia zu spielen?“
„Sicherlich.“ Aigonn hielt inne. Das Unwohlsein war nicht von ihm gewichen, und allmählich vermutete er, dass es nicht allein in seiner Sorge um den Zorn des Schamanen begründet war. Er begann vorsichtig, als er einwarf: „Ich könnte dir viele Dinge erzählen, aber … vielleicht würdest du mir zuvor meine Fragen beantworten?“
Die junge Frau zog die Augenbrauen in die Höhe.
„Was weißt du darüber, was hier geschieht? Ich glaube dir, dass du nicht bewusst diese Rolle angenommen hast, die du nun verteidigen musst, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du vollkommen ahnungslos durch diese Welt wandelst, bis dich irgendein Lichtblick ereilt!“
„Nun …“ Ihre Mundwinkel zuckten unmerklich. „Erinnerungen kehren wieder, das ist wahr. In diesem Moment würde ich sagen, dass all das, was ich wusste, zumindest wie ein Instinkt in mir mein Handeln bestimmt. Und du hast Recht, ich bin nicht umsonst hier.“ Nun zögerte sie. Ein kurzes Blitzen in ihren Augen verriet, dass sie Aigonn längst nicht so sehr traute, wie sie vorgab. Sie zweifelte an seinem Wissen, seinem Verständnis für die Dinge, die am Laufen waren, um was auch immer es sich handelte – und diese Tatsache machte ihn wütend.
Die