SchattenSchnee. Nané Lénard
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„Unsere Staatsanwältin wird doch hoffentlich nach ihrer Weltreise immer noch gute Laune haben und über solche nichtigen Kleinigkeiten hinwegsehen“, witzelte Detlef.
Wie abgesprochen schüttelten Peter und Wolf gleichzeitig den Kopf. Da waren sie sich einig.
„Die?“
„Nie im Leben!“
„Na, dann will ich mal zum Abendbrot rollen“, beschloss Wolf.
Peter sah auf die Uhr. Gerade mal halb fünf.
„Sag nichts“, bat Wolf.
„Wieso, Buletten oder Hähnchenschenkel kann ich zu jeder Tageszeit essen oder auch ein schönes paniertes Schnitzel.“ Peter kam ins Schwärmen.
„Darf ich euch noch einen guten Rat geben?“, erkundigte sich Wolf vorsichtig. Es sollte sich nicht nach Chef anhören, denn das war er im Moment definitiv nicht.
„Klar“, antwortete Detlef. „Immer gerne!“
„Passt auf, dass nichts an die Presse dringt. Wir haben Advent. Wenn die erst spitzkriegen, dass die Tote wie ein Rauschgoldengel drapiert war, gibt es wilde Spekulationen. Glaub mir, das solltet ihr in eurem eigenen Interesse lieber verhindern. Sonst rennen sie euch hier die Bude ein.“
„Wir wissen aber noch nicht, wer sie ist“, wandte Peter ein.
„Schöpft erst mal alle anderen Quellen aus, bevor ihr die Medien um Hilfe bittet“, schlug Wolf vor. „Das könnt ihr notfalls immer noch machen.“
„Okay“, sagte Peter leichthin und ahnte nicht, dass es anders kommen sollte.
Die Kräuterhexe
Am noch früheren Morgen war nämlich schon Sissy Schulte mit ihrer Katze Miss Marple durch den Herminenpark gegangen. Das nach der bekannten Detektivin benannte Tier war in Richtung Gebüsch gesprungen und hatte dort mit den Locken des Rauschgoldengels gespielt.
Schnell hatte Sissy ihre Katze dort weggenommen und war noch einen Moment stehen geblieben, um das Werk eines unbekannten Performance-Künstlers inbrünstig zu betrachten. Er hatte wohl schon mit seiner Adventsdekoration begonnen. Davon war gar nichts in der Zeitung zu lesen gewesen, wie schade, dachte sie. Vielleicht hatte der Himmel einen Engel geschickt. Die Welt brauchte mehr als einen, fand sie.
Nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass hier eine Tote vor ihr lag. Die gute Sissy hatte einen an der Waffel, wie ihre Nachbarn am Südharrl zu wissen glaubten, und das lag nicht nur daran, dass sie mit ihrer Katze Gassi ging. Nein, sie pflegte in ihrem Garten einen umfangreichen Kräutergarten, dessen Erzeugnisse sie behutsam pflückte und in Gefriertüten an ihre Nachbarn verteilte. Wer genauer hinsah, fand Löwenzahn, Giersch und Gänseblümchen neben Borschtsch oder Petersilie. Wer die unfreiwillige Gabe nicht sofort wegwarf, fischte sich ein paar Stängel Schnittlauch für sein Abendbrot heraus.
Gelegentlich konnte man Sissy auch beim Trampolinspringen beobachten. Sie ruhte dann ganz in sich, als wäre sie in weiten Sphären unterwegs und hörte ätherische Musik über einen Lautsprecher, die den Leuten auf den Wecker ging, aber sie sagten nichts, weil die Frau ihnen leidtat.
Es war nämlich so, dass der Mann von Sissy kürzlich gestorben war. Manche munkelten, dass sie nachgeholfen hatte, doch das war sicher nur ein böses Gerücht. Fakt war, dass sie nicht alle Steine auf der Schleuder hatte. Jeder merkte es sofort, der mit ihr sprach. Alles an ihr war langsam und bedächtig. Beinahe schien es so, als bewege sie sich grundsätzlich nur im Zeitlupentempo, einschließlich ihrer Lippen. Dadurch kam man sich selbst bescheuert vor, denn sie sprach mit einem, wie mit einem minderbemittelten Kind. Wahrscheinlich tat man ihr unrecht, und sie war nur ein armes, einsames, altes Weib. Aber so sind die Menschen nun mal. Alles Andersartige wird misstrauisch beäugt. Und so wurde Sissy Schulte wegen ihres seltsamen Verhaltens und ihrem Hang zu speziellen Pflanzen hinter vorgehaltener Hand nur die „Kräuterhexe“ genannt.
Doch so harmlos sie auch wirkte, eins konnte sie dennoch: Sich umfangreich beschweren! In diesem Fall war es ihr Nachbar Momo, der die Salve abbekam – in langatmigem, leierndem Tempo.
Das könne doch nicht sein, dass da Kunstwerke im Herminenpark ausgestellt würden und die Öffentlichkeit nichts davon mitbekäme, lamentierte sie an seiner Haustür in der Schillerstraße. Momo Dietsch wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah, versprach aber, die Angelegenheit umgehend in Augenschein zu nehmen. Er selbst hatte nicht das Geringste davon gehört.
„Um wie viel Uhr haben Sie das Kunstwerk denn entdeckt?“, fragte er mit einem Blick auf die Uhr und unterdrückte ein Gähnen. Es war eben erst halb neun, und er hatte bis tief in die Nacht an diversen Reportagen geschrieben.
„Muss so halb sechs gewesen sein“, informierte ihn die Kräuterhexe.
„Haben Sie vielleicht ein Foto gemacht?“, hakte Dietsch nach.
Ein irres Lachen folgte. „Glauben Sie vielleicht, ich trage immer einen Apparat bei mir?“
„Nee, ich dachte mehr an ein Smartphone, mit dem man mal just ein Bild machen kann“, erwiderte Dietsch.
„Meinen Sie im Ernst, ich würde mich gefährlicher Handystrahlung aussetzen? So ein Ding habe ich nicht.“
„Können Sie mir den Engel dann vielleicht beschreiben? Vor allem, wo er liegt?“, bat der Journalist.
„Na, wie ein Rauschgoldengel so aussieht. Blond, lockig mit einem weißen Hemdchen …“ Sie stutzte plötzlich. „Ich kann mich nicht erinnern, ob er Flügel hatte. Auf jeden Fall lag er im Bereich unterhalb des Sees.“
„Gut, ich werde mich der Sache annehmen und auch bei der Redaktion nachhaken“, versprach Dietsch. „Dann melde ich mich wieder bei Ihnen.“
„Vielen Dank“, sagte Sissy Schulte. „Bitte erkundigen Sie sich auch, ob zu den nächsten Adventssonntagen weitere Installationen geplant sind. So etwas muss die Bevölkerung doch wissen, wenn sie die Werke bewundern soll.“
„Ja, ja“, sagte Dietsch und dachte sich seinen Teil. Nie im Leben glaubte er an das, was sich die Alte zusammenfantasierte. Die hatte nicht alle Tassen im Schrank. Trotzdem war er in seiner Journalistenseele angefixt, denn die Entdeckung, die die Kräuterhexe gemacht hatte, konnte eigentlich nur eines bedeuten: Sie hatte unwissentlich eine Tote entdeckt.
Um aber ganz sicher zu gehen, dass er es nicht doch mit einem weiteren Spinner zu tun hatte, der sich als Künstler verstand und Frauen im Schnee drapierte, rief er schnell in der Redaktion an. Natürlich erst, nachdem sich das knochige Gestell entfernt hatte. Puh, an der war wirklich nichts dran. Ein Wunder, dass sie überhaupt lebte. Wobei, wenn er’s recht bedachte, ihr Geist auch nicht viel schlimmer aussehen könnte.
Nachforschungen
In der Redaktion spitzte man die Ohren, als Momo dort anrief. Von einer Adventsausstellung in der Natur des Herminenparks wusste man ebenso wenig wie von der Installation eines Performance-Künstlers. Das klang mehr als spannend. Von Behördenseite war allerdings auch keine Information hinsichtlich eines Leichenfundes eingegangen. Entweder wollte man die Presse bewusst im Dunklen lassen oder war noch nicht dazu gekommen, diesen Fall zu melden. Normalerweise war der Draht zwischen Kripo und Landeszeitung