Herbstverwesung. Stefanie Randak
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Herbstverwesung - Stefanie Randak страница 7
„Angeblich wurde ein Juwelenring gestohlen“, protestiere Eleonora. So leicht ließ sie sich nicht abwimmeln.
„Es gibt keine Beweise, dass Misses Greenwood überhaupt jemals in Besitz eines solchen Rings gewesen war. Sie ist eine alte Dame. Und sie ist verrückt. Es ist nicht auszuschließen, dass sie ein wenig senil ist und sich diese Geschichte nur einbildet“, er schob sich das letzte Stück Fleisch in den Mund und kaute darauf herum. „Halten Sie sich am besten von dem Fall fern. Und von der Greenwood“, meinte er und schluckte den letzten Happen hinunter. „Ich verstehe…“, nickte Eleonora. „Verzeihen Sie bitte, dass ich sie gestört habe“, nuschelte sie als Antwort. Der Detective nickte verabschiedend und platzierte seine Gabel parallel neben dem anderen Besteck.
Betreten schlich Eleonora zurück zu Lorenzos Tisch. Eine Überwachungskamera? Sie hatte sich so in diesen Fall hineingehängt, sich tagelang Gedanken gemacht und war sich so sicher, dass Sie mit Ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Und jetzt kam auf, dass es eine Überwachungskamera gab, die bewies, dass es keinen Einbruch gab und Misses Greenwood den gestohlenen Saphir Ring erfunden hatte? Eleonora gab sich nicht damit zufrieden.
Unwissend, dass im Speisesaal des Hotels zur selben Zeit, als Eleonora und Lorenzo sich ihr Abendessen schmecken ließen, nur ein paar Tische weiter, jemand saß, der Eleonora intensiv beobachtet hatte, und auch nicht vorhatte, sie aus dem Visier zu nehmen.
Vollmond. Manche Leute erzählten, dass sie bei Vollmond schlecht schlafen würden und vermehrt Albträume hätten.
Glaubt man zahlreichen Märchen, dann verwandeln sich manche Menschen bei Vollmond zu Werwölfen und verlieren ihren Verstand. Hört man auf das, was uns zahlreiche Sagen und Mythen lehren, können viele Menschen ihre Gefühle und Triebe bei Vollmond nicht bändigen und werden in den Wahnsinn getrieben. Ja, über die Nächte, in denen am Himmel der silberne Vollmond steht und über uns Menschen wacht, hat man schon viele grauenvolle und unerklärliche Geschehnisse gehört. Und so ging es auch Eleonora, die in der Nacht wach lag und sich von einer Seite auf die andere drehte. Sie hatte düstere Gedanken im Kopf über den Einbruch bei Misses Greenwood und ihre Puppen, die laut ihrer Besitzerin gerade im Wohnsalon umhertanzten. Vielleicht gab es doch noch einen der sieben Söhne auf Red Side? Sie zerbrach sich den Kopf über das, was der Kellner Lucas im Cafe zu ihr über Elisabeth Greenwoods Söhne gesagt hatte: „Es gibt Gerüchte, dass seine sechs Geschwister im Keller von Red Side in einem Kerker gefangen gehalten werden.“ Und da schoss es Eleonora in den Kopf:
Vielleicht hat es wirklich keinen Einbruch auf Red Side gegeben. Aber vielleicht einen Ausbruch. Eleonora sah keinen anderen Weg: Sie musste zurück in das Schloss. Gleich am nächsten Morgen.
„Du brauchst einen Vorwand, um zum Schloss zu gehen“, meinte Lorenzo, gar nicht begeistert von Eleonoras Plan. Es war ein Freitagmorgen und das junge Paar saß gemeinsam am Küchentisch und trank den morgendlichen Kaffee. Eleonora hatte ihm gleich nach dem Klingeln des Weckers von ihrem Vorhaben erzählt.
„Was denn für einen Vorwand? Ich laufe mittags hin, zu der Zeit, wenn Misses Greenwood im Cafe Fresh ist. Dann laufe ich durch die Türe hinein und suche den Keller. Außerdem muss ich mir diese Puppen noch einmal genauer ansehen“, Eleonora schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so euphorisch war sie. Der Kaffee schwappte über.
„Du solltest dir auf jeden Fall einen Vorwand überlegen“, wiederholte Lorenzo und nahm einen Lappen, um den Tisch sauber zu wischen. „Für den Fall, dass die Alte früher nach Hause kommt.“ Seine Stimme klang besorgt. Er machte sich Sorgen um seine principessa. Sie war nicht glücklich in London, fühlte sich ungebraucht, langweilte sich, fand keinen neuen Job und steckte ihre kleine Nase deshalb in Angelegenheiten, die sie gar nichts angingen und seiner Meinung nach nicht ganz ungefährlich waren.
„Na gut. Ich sage einfach, ich möchte die siebte Puppe kennen lernen“, Eleonora zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte Lorenzo Recht.
„Bist du sicher, dass du das nicht doch lieber der Polizei überlassen willst?“, Lorenzo nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee.
„Das geht nicht. Dieser Frank Harris hat den Fall aufgegeben und die Greenwood als verrückt abgestempelt. Wenn ich ihm erzähle, dass meiner Meinung nach vielleicht ihre Söhne in Gefangenschaft auf Red Side leben und einer womöglich ausgebrochen ist und auch den Ring gestohlen hat, dann lacht der mich nur aus. Ich mache das selbst.“ Sie stand auf und schob zwei Scheiben Toast in den Toaster.
„Na gut. Aber sei vorsichtig. Und vergiss die Überwachungskamera nicht“, Lorenzo gab seiner Prinzessin einen Abschiedskuss. „Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich liebe dich“, verabschiedete er sich und verschwand aus der Küche. Nachdenklich holte sie die heißen Toasts aus dem Toaster. Sie mochte sie heiß und dunkel angebrannt. In Gedanken versunken schmierte sie Butter auf ihr Frühstück und beobachtete, wie die weiße Creme auf dem heißen Toast langsam zerfloss. Nach dem Frühstück erledigte sie ihre Pflichten als Hausfrau und machte sich schließlich gespannt auf den Weg zum Schloss. Doch bevor sie die Wohnungstüre hinter sich schloss, lief sie noch einmal zurück in die Küche. Sie öffnete die oberste Schublade und holte ein scharfes Küchenmesser heraus. Sie schluckte. War das wirklich notwendig? Misses Greenwood war bestimmt eine friedliche Frau. Dennoch fand Eleonora ihren letzten Aufenthalt auf Red Side nicht nur verstörend, sondern auch sehr unheimlich. Sie atmete tief durch und verstaute es vorsichtig in ihrer Manteltasche. So sehr es sie auch nach Abenteuern, nach der Wahrheit und den Geheimnissen von Misses Greenwood und des Schlosses dürstete, ein klein wenig war sie auch unsicher. Unsicher und auch ein bisschen ängstlich. Denn hinter den finsteren Mauern von Red Side gab es noch so einiges, womit selbst Eleonora niemals gerechnet hätte.
4
Eleonora schlich langsam und behutsam die rutschigen, unebenen Treppen zum Schloss hinauf. Mit zittrigen Händen öffnete sie wie beim ersten Mal das schwere Eingangstor zum Innenhof. Sie war wie beim letzten Mal nicht verschlossen und ließ sich mit geringem Kraftaufwand nach innen aufdrücken. Eleonora sah sich aufgeregt um. Keine Misses Greenwood. Sie betrachtete die hohen Mauern. Irgendwo hier musste doch diese Kamera sein. Sie hing an der Dachrinne, über der Stalltür. Das bedeutete, sie filmte nur einen bestimmten Bereich auf dem großen Innenhof. Die Tür zum Wohnbereich von Misses Greenwood wurde nicht gefilmt. Eleonora atmete auf. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Wohnbereich. Der lange, finstere Gang schockte sie erneut. Der muffige, säuerliche Geruch stieg auf. Eleonora holte ihr Handy heraus und schaltete die Taschenlampe an. Das bläuliche Licht erhellte lange nicht den gesamten Gang, doch immerhin spendete es genügend Licht, um ein paar Schritte voraus sehen zu können. Hier die Garderobe. Eleonora überprüfte erneut die Schuhe. Diesmal waren keine Männerschuhe dabei. Das bedeutete, es war sicher niemand außer ihr auf Red Side.
Endlich erreichte sie den Wohnsalon. Hier gab es einen Lichtschalter, Eleonora drückte ihn und der Salon erhellte in dämmrigem Licht. Mein Gott, die Puppen. Da saßen sie. Zu fünft. Drei saßen auf dem Sofa und zwei standen auf dem Tisch. Isabell fehlte. Sie war wohl gerade im Cafe Fresh mit ihrer Großmutter. Und Mirabell fehlte auch. Wo sie aufbewahrt wurde, war wohl Elisabeth Greenwoods Geheimnis. Die Puppen saßen starr auf dem Sofa, es war, als würden ihre Glasaugen jede einzelne von Eleonoras Bewegungen verfolgen. Ihre Häute waren schneeweiß und makellos. Die beiden anderen standen auf dem kleinen Wohnzimmertisch. Direkt nebeneinander, das Gesicht nach vorne zu Eleonora gedreht.
Vorsichtig trat Eleonora an sie heran und setzte sich vor sie auf den Boden. Es war still hier im Wohnbereich, es herrschte auf ganz Red Side eine unheimliche, kühle Stille. Das einzige, was man hören konnte, war Eleonoras Atem, der laut war, aufgeregt und stockend. Ihr Blick wanderte erneut zu den Puppen. Sie waren so makellos, zu perfekt. Eleonora streckte die Hand aus, um ihr die schwarzen Haare aus dem Gesicht zu streichen und