Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac Gesammelte Werke bei Null Papier

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Ängst­lich­keit. »Mein Gott, wie wer­den wir die be­zah­len kön­nen? Denn die Ter­rains um die Ma­de­lei­ne kann ich ja nicht in Rech­nung stel­len, wo ei­nes Ta­ges das schöns­te Vier­tel von Pa­ris ste­hen wird.«

      »Ei­nes Ta­ges, Cäsar.«

      »Ach,« sag­te er, in sei­nem scher­zen­den Tone fort­fah­rend, »mei­ne drei Ach­tel da­von wer­den ja erst in sechs Jah­ren eine Mil­li­on wert sein. Wie soll ich also die zwei­hun­dert­tau­send Fran­ken be­zah­len?« fuhr Cäsar mit Zei­chen des Schre­ckens fort. »Nun, wir wer­den sie hier­mit be­zah­len«, sag­te er und zog eine Ha­sel­nuß aus der Ta­sche, die er bei Frau Ma­dou ein­ge­steckt und sorg­fäl­tig auf­ge­ho­ben hat­te.

      Er zeig­te die Nuß zwi­schen zwei Fin­gern Cäsa­ri­ne und Kon­stan­ze. Sei­ne Frau sag­te nichts, aber Cäsa­ri­ne, die ihm den Kaf­fee brach­te, frag­te ih­ren Va­ter neu­gie­rig: »Wor­über lachst du denn, Papa?«

      Der Par­füm­händ­ler hat­te, eben­so wie sei­ne Kom­mis, wäh­rend des Es­sens die Bli­cke, die Po­pi­not Cäsa­ri­ne zu­ge­wor­fen hat­te, wahr­ge­nom­men; er woll­te nun über sei­nen Ver­dacht Ge­wiß­heit ha­ben. »Nun, mein Töch­ter­chen, die­se Nuß wird eine große Um­wäl­zung in un­serm Haus­halt her­vor­ru­fen.«

      Cäsa­ri­ne sah ih­ren Va­ter mit ei­nem Ge­sicht an, auf dem ge­schrie­ben stand: »Was geht mich das an.«

      »Po­pi­not ver­läßt uns.«

      Ob­gleich Cäsar ein schlech­ter Beo­b­ach­ter war und mit sei­nen letz­ten Wor­ten zu­nächst sei­ner Toch­ter eine Fal­le stel­len, dann aber auch auf die Grün­dung des Hau­ses »A. Po­pi­not und Kom­pa­nie« kom­men woll­te, ließ ihn doch sei­ne zärt­li­che vä­ter­li­che Lie­be die Ver­wir­rung ih­rer Her­zens­emp­fin­dun­gen wahr­neh­men, die Ro­sen auf ihre Wan­gen und ihre Stirn mal­ten und ihre Au­gen auf­leuch­ten lie­ßen, be­vor sie sie nie­der­schlug. Cäsar nahm da­her an, daß zwi­schen Cäsa­ri­ne und Po­pi­not schon eine Auss­pra­che statt­ge­fun­den hät­te. Das war nicht der Fall: die bei­den Kin­der ver­stan­den sich, wie alle zag­haf­ten Lie­ben­den, ohne ein Wort ge­wech­selt zu ha­ben.

      Ei­ni­ge Psy­cho­lo­gen sind der An­sicht, daß die Lie­be die un­ge­woll­tes­te, un­ei­gen­nüt­zigs­te, un­be­rech­nends­te al­ler Lei­den­schaf­ten, ab­ge­se­hen von der Mut­ter­lie­be, ist. Die­se An­sicht ist ein gro­ber Irr­tum. Wenn auch der Mehr­zahl der Men­schen der Be­weg­grund für ihre Lie­be nicht klar wird, so be­ruht doch jede kör­per­li­che und see­li­sche Sym­pa­thie auf Über­le­gun­gen, die der Ver­stand, das Ge­fühl oder das bru­ta­le Ver­lan­gen an­stel­len. Die Lie­be ist eine in ih­rem Grund­we­sen egois­ti­sche Lei­den­schaft. Wer Ego­is­mus sagt, meint da­mit: gründ­li­che Be­rech­nung. Da­her müß­te es je­dem, der nur auf das Er­geb­nis sieht, auf den ers­ten Blick un­wahr­schein­lich oder merk­wür­dig vor­kom­men, daß ein schö­nes Mäd­chen, wie Cäsa­ri­ne, sich in einen ar­men, hin­ken­den, rot­haa­ri­gen Jun­gen ver­liebt ha­ben könn­te. Trotz­dem steht ein sol­ches Phä­no­men durch­aus in Über­ein­stim­mung mit der Arith­me­tik der Emp­fin­dun­gen der Bour­geois­krei­se. Wenn man sich das er­klä­ren will, so braucht man nur an jene im­mer vor­kom­men­den und im­mer er­staun­li­chen Lieb­schaf­ten zwi­schen großen, schö­nen Frau­en und klei­nen Män­nern, zwi­schen klei­nen, häß­li­chen Wei­bern und schö­nen, jun­gen Män­nern zu den­ken. Alle Män­ner, die un­ter ir­gend­ei­nem kör­per­li­chen Ge­bre­chen lei­den, an Klump­fü­ßen, Hin­ken, an Buck­lig­keit, un­ge­wöhn­li­cher Häß­lich­keit, an ei­nem Brand­mal oder Mut­ter­mal im Ge­sicht, an Ro­gu­ins Übel oder an­dern der­ar­ti­gen Ab­nor­mi­tä­ten, an de­nen die Er­zeu­ger un­schul­dig sind, ha­ben nur die Wahl, zwei Wege ein­zu­schla­gen: sich ent­we­der ge­fürch­tet zu ma­chen oder eine ganz be­son­de­re Her­zens­gü­te zu be­wei­sen; sich in­ner­halb der üb­li­chen mitt­le­ren Gren­zen zu be­we­gen, wie es die meis­ten Män­ner zu tun pfle­gen, ist ih­nen nicht ge­stat­tet. Im ers­ten Fal­le ge­hört dazu Ta­lent, Ge­nie oder Kraft; ein Mann kann Schre­cken nur ein­flö­ßen durch die Macht des Bö­sen, Re­spekt nur durch Ge­nie, Furcht nur durch viel Geist. Im an­dern Fal­le be­wirkt er, daß man ihn liebt, er paßt sich der weib­li­chen Ty­ran­nei wun­der­bar an und ver­steht bes­ser zu lie­ben als die Leu­te von un­ta­de­li­ger Kör­per­be­schaf­fen­heit. Von tu­gend­haf­ten Leu­ten er­zo­gen, von den Ra­g­ons, Mus­ter­bil­dern der eh­ren­haf­tes­ten Bour­geoi­sie, und von sei­nem Oheim, dem Rich­ter Po­pi­not, war An­selm durch sein rei­nes Herz und sein re­li­gi­öses Emp­fin­den da­hin ge­führt wor­den, daß die Voll­kom­men­heit sei­nes Cha­rak­ters für sein leich­tes kör­per­li­ches Ge­bre­chen reich­lich ent­schä­dig­te. Er­freut über ein sol­ches Stre­ben hat­ten Kon­stan­ze und Cäsar Po­pi­not oft vor Cäsa­ri­ne ge­rühmt. So klein­lich sie sonst wa­ren, hat­ten die bei­den Ehe­leu­te doch eine edle See­le und Ver­ständ­nis für die Ge­füh­le des Her­zens. Die­ses Lob er­weck­te ein Echo bei ei­nem jun­gen Mäd­chen, das, bei al­ler Un­schuld, in Po­pi­nots Au­gen das glü­hen­de Emp­fin­den las, das im­mer schmei­chel­haft wirkt, wel­ches Al­ter, wel­che Stel­lung und wel­ches Äu­ße­re der Lie­ben­de auch ha­ben mag. Der klei­ne Po­pi­not muß­te viel mehr als ein schö­ner Mann Be­weg­grün­de ha­ben, eine Frau zu lie­ben. War die Frau schön, so wür­de er sie bis zu sei­nem letz­ten Le­bens­ta­ge an­be­ten, er wür­de sich auf­rei­ben, um sei­ne Frau glück­lich zu ma­chen, er wür­de sie Her­rin im Hau­se sein las­sen und sich ihr gern un­ter­ord­nen. So emp­fand Cäsa­ri­ne un­be­wußt, wenn auch viel­leicht nicht so deut­lich; wie im Flu­ge zog an ihr das Bild er­füll­ter Lie­be vor­über und der Ver­gleich muß­te ihr recht ge­ben: sie hat­te das Glück ih­rer Mut­ter vor Au­gen, sie wünsch­te sich kein an­de­res Le­ben, ihr In­stinkt ließ sie in An­selm einen zwei­ten, durch Er­zie­hung ver­voll­komm­ne­ten Cäsar se­hen, wie sie selbst voll­kom­me­ner durch ihre Bil­dung war. Sie er­träum­te sich Po­pi­not als Bür­ger­meis­ter ei­nes Be­zirks und ge­fiel sich dar­in, sich aus­zu­ma­len, wie sie, gleich ih­rer Mut­ter in Saint-Roch, ei­nes Ta­ges bei der Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­ti­on ih­res Kirch­spiels tä­tig sein wür­de. Sie be­merk­te schließ­lich gar nicht mehr, daß zwi­schen dem lin­ken und dem rech­ten Bei­ne Po­pi­nots ein Un­ter­schied be­stand, und sie wäre im­stan­de ge­we­sen, zu fra­gen: »Hinkt er denn?« Sie lieb­te sein kla­res Auge und lieb­te es, den Ein­druck wahr­zu­neh­men, den ihr Blick auf die­se Au­gen mach­te, die so­gleich in keu­schem Feu­er auf­leuch­te­ten, um dann me­lan­cho­lisch nie­der­ge­schla­gen zu wer­den. Ro­gu­ins ers­ter Schrei­ber, Alex­an­der Crot­tat, der jene früh­zei­ti­ge Er­fah­rung be­saß, die der stän­di­ge ge­schäft­li­che Ver­kehr ver­leiht, hat­te ein halb zy­ni­sches, halb gut­mü­ti­ges We­sen, das Cäsa­ri­ne wi­der­wär­tig war, die schon die Ge­mein­plät­ze sei­ner Un­ter­hal­tung nicht aus­ste­hen konn­te. Po­pi­nots Schweig­sam­keit ließ auf ein zar­tes Emp­fin­den schlie­ßen, sie lieb­te sein halb me­lan­cho­li­sches Lä­cheln, das ihm klei­ne Uner­heb­lich­kei­ten ab­nö­tig­ten; Tor­hei­ten, die ihn la­chen mach­ten, lös­ten das glei­che Ge­fühl bei ihr aus, und so lä­chel­ten sie und be­trüb­ten sich zu­sam­men. Die­ser Ein­druck, den er mach­te, hin­der­te An­selm aber nicht, sich in die Ar­beit zu stür­zen, und sein un­er­müd­li­cher Ei­fer ge­fiel Cäsa­ri­ne, denn sie fühl­te,

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