Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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»Deine Befürchtungen und Gedanken über Roguin habe ich deinem Onkel erzählt, er hat darüber gelacht«, sagte er zu Konstanze.
»Du sollst doch niemals weiter sagen, was wir unter uns besprechen«, rief Konstanze aus. »Der arme Roguin ist vielleicht der ehrenhafteste Mann der Welt, er ist achtundfünfzig Jahre alt und denkt sicher nicht mehr an …«
Sie brach schnell ab, als sie bemerkte, daß Cäsarine aufpaßte, und gab Cäsar einen Wink.
»Dann habe ich also recht getan, abzuschließen«, sagte Birotteau.
»Du bist doch der Herr«, antwortete sie.
Cäsar nahm die Hände seiner Frau und küßte sie auf die Stirn. Ihre Antwort war die, mit der sie immer ihr stillschweigendes Einverständnis zu den Projekten ihres Mannes gab.
»Vorwärts,« rief der Parfümhändler, als er in den Laden herunterkam zu seinen Kommis, »um zehn Uhr wird der Laden geschlossen. Hand angelegt, meine Herren! Es handelt sich darum, während der Nacht sämtliche Möbel aus dem ersten Stock in den zweiten zu schaffen! Wir werden, wie man zu sagen pflegt, die kleinen Töpfe in die großen stellen müssen, damit mein Architekt morgen freie Hand hat.«
»Ist Popinot, ohne mich zu fragen, fortgegangen?« sagte Cäsar, als er ihn nicht sah. »Ach so, er schläft ja nicht mehr hier, ich hatte es vergessen.« Er wird weggegangen sein, dachte er, um die Ausführungen Vauquelins niederzuschreiben oder um den Laden zu mieten.
»Wir kennen den Grund für diesen Umzug«, sagte Cölestin, indem er im Namen der beiden andern Kommis und Roguets, die hinter ihm standen, das Wort ergriff. »Ist es uns gestattet, Sie zu einer Auszeichnung zu beglückwünschen, die auf das ganze Geschäft zurückfällt? … Popinot hat uns erzählt, daß Sie, Herr Birotteau …«
»Ja, Kinder, was wollt ihr, man hat mir den Orden verliehen. Deshalb haben wir, ebensosehr um die Befreiung des Landes, als um meine Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion zu feiern, einige Freunde eingeladen. Ich habe mich vielleicht dieser Auszeichnung und allerhöchsten Gnade würdig erwiesen als Mitglied des Handelsgerichts und als Kämpfer für die königliche Sache, die ich verteidigt habe … als ich so alt war wie ihr, auf den Stufen von Saint-Roch am 13. Vendémiaire; und wahrhaftig, Napoleon, der Kaiser genannt, hat mich verwundet! Ich bin am Bein verwundet worden, und Frau Ragon hat mich verbunden. Zeigt Mut, so werdet ihr dafür belohnt werden! Und so, Kinder, hat auch das Unglück sein Gutes!«
»Aber man schlägt sich doch nicht mehr auf der Straße«, sagte Cölestin.
»Das wollen wir hoffen«, sagte Cäsar und begann seinen Kommis eine Moralpredigt zu halten, die damit schloß, daß er sie einlud.
Die Aussicht auf einen Ball feuerte die drei Kommis, Raguet und Virginie derart an, daß sie die Geschicklichkeit von Akrobaten entwickelten. Alle stiegen beladen die Treppen hinauf und herunter, ohne etwas zu beschädigen oder hinzuwerfen. Um zwei Uhr morgens war die Umräumung beendet. Popinots Zimmer erhielt Cölestin und der zweite Kommis. Im dritten Stock wurden Möbel provisorisch untergestellt.
Elektrisiert von der nervösen Erregung, die das Zwerchfell ehrgeiziger oder verliebter Leute erhitzt, die große Pläne vorhaben, hatte sich der sonst so sanfte und ruhige Popinot im Laden nach dem Essen wie ein Rassepferd vor dem Rennen benommen.
»Was hast du denn?« sagte Cölestin zu ihm.
»Ach, was für ein Tag, mein Lieber! Ich etabliere mich«, sagte er leise zu ihm, »und Herr Cäsar ist dekoriert worden.«
»Du bist ein glücklicher Mensch, der Chef springt dir bei«, rief Cölestin aus.
Popinot antwortete nicht, er verschwand, wie weggeblasen von einem heftigen Winde, dem Winde, der das Glück in seinen Fittichen trägt.
»Ach, glücklich!?« sagte ein Kommis, der Handschuhe nach Dutzenden ordnete, zu seinem Nachbar, der Etiketten aufklebte; »der Chef hat gemerkt, daß Popinot Fräulein Cäsarine verliebte Blicke zuwirft, und da er ein Schlaukopf ist, der Chef, so hat er Anselm abgeschoben; ablehnen hätte er einen Antrag in Anbetracht der Verwandtschaft nicht gut können. Cölestin hält diese Schlauheit für Edelmut.«
Anselm Popinot rannte die Rue Saint-Honoré hinab nach der Rue des Deux-Ecus, um eines jungen Menschen habhaft zu werden, den er nach seinem kaufmännischen Ahnungsvermögen für das Hauptwerkzeug seines Erfolges ansah. Der Richter Popinot hat dem gewandtesten Pariser Reisenden, dem seine sieghafte Überredungskunst und seine Beweglichkeit später das Beiwort »der berühmte« eingetragen haben, einmal einen Dienst erwiesen. Hauptsächlich für das Hutgeschäft und für die »Pariser Artikel« tätig, nannte sich dieser König der Reisenden kurz und bündig Gaudissart. Schon mit zweiundzwanzig Jahren machte er sich durch sein kaufmännisches Anziehungsvermögen bemerkbar. Beweglich, mit lustigen Augen, ausdrucksvollem Gesicht, unfehlbarem Gedächtnis und dem sicheren Blick für den Geschmack eines jeden, hatte er ein Recht auf das, was er später wirklich wurde, der König der Reisenden, der typische »Franzose«. Vor einigen Tagen hatte Popinot Gaudissart getroffen, der ihm erzählt hatte, daß er auf dem Sprunge stehe, abzureisen; die Hoffnung, ihn doch noch in Paris anzutreffen, hatte den Verliebten veranlaßt, in die Rue des Deux-Ecus zu stürzen, wo er erfuhr, daß der Reisende schon seinen Platz auf der Post bestellt hatte. Um von seinem geliebten Paris Abschied zu nehmen, war er ausgegangen und wollte sich ein neues Stück im Vaudevilletheater ansehen; Popinot beschloß, auf ihn zu warten. Wenn man den Vertrieb des Nußöls diesem Manne übertragen konnte, der es wunderbar verstand, kaufmännische Erfindungen in Umlauf zu bringen, und der schon von den reichsten Handelshäusern umworben wurde, hieß das nicht, einen Wechsel auf das Glück ziehen? Popinot hatte Gaudissart in der Hand. Dieser Reisende, der so vortrefflich die Kunst verstand, die am meisten Widerspenstigen, die kleinen Provinzkaufleute, um den Finger zu wickeln, hatte sich in die erste Verschwörung, die nach den Hundert Tagen gegen die Bourbonen angezettelt worden war, verwickeln