Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler. Giorgio Vasari

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Das Leben des Antonio Filarete, Benozzo Gozzoli, Vittore Carpaccio und weiterer Künstler - Giorgio Vasari

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Quellen aufgetaucht sind, die die Existenz eines Mino del Reame verifizieren könnten, herrscht mittlerweile nahezu Konsens darüber, daß es sich bei jenem obskuren Künstler um eine fiktive Gestalt handelt, die Vasaris Phantasie zuzuschreiben ist.

      Auch wenn der angeblich aus Fiesole stammende Meister Mino weitaus positiver als sein fiktiver Namensvetter präsentiert wird, bleibt Vasaris Verhältnis zu seinem Protagonisten doch merkwürdig ambivalent. Einerseits lobt er ihn für die Anmut, für die grazia seiner Werke, was den Künstler auf eine Ebene mit den Vertretern der maniera moderna hebt, die Vasari im dritten Teil seiner Vite behandelt und die gleichsam die höchste Entwicklungsstufe der drei Künste Malerei, Bildhauerei und Architektur repräsentieren. Andererseits bemängelt er dessen kritiklosen Umgang mit künstlerischen Vorbildern. Angeblich sei Mino ein Schüler Desiderio da Settignanos gewesen, was angesichts des nahezu gleichen Alters beider kaum den Tatsachen entsprochen haben kann. Gleichwohl: Vasari macht Mino zu einem servilen Nachahmer von Desiderio. Mino – so der Künstlerbiograph – sei von der »bella grazia« der Figuren, die Desiderio schuf, derart affiziert gewesen, daß er sich in seinem künstlerischen Schaffen ausschließlich am Stil seines angeblichen Meisters orientierte. Schon Castiglione hatte in seinem Il libro del cortegiano hervorgehoben, daß jeder, der den Wunsch habe, ein guter Schüler zu sein, alle Sorgfalt darauf verwenden sollte, sich dem Lehrer anzugleichen, wenn möglich sogar, sich in diesen zu verwandeln.6 Zumindest in der 1550er Version des Textes klingen diese Worte unverhüllt an, wenn ein angebliches Epitaph zu Ehren Minos zitiert wird, das in assoziativer Weise mit dem Namen Desiderio (Verlangen, Begehren, Wunsch) spielt und verkündet, Mino sei von dem Wunsch beseelt gewesen, Desiderio in der schönen Kunst gleichzukommen (»DESIDERANDO AL PARI DI DESIDERIO ANDAR NELLA BELLA ARTE«). Desiderios Stil nachzuahmen ist in Vasaris Augen per se nicht verdammenswert, gehörte die imitatio von Vorbildern als Methode zur Ausformung eines eigenen Motivschatzes und zur Förderung der eigenen Inventionskraft doch traditionell zur praktischen Ausbildung und Schulung von Künstlern.7 Was Vasari jedoch in höchstem Maße kritisiert, ist die sklavische Nachahmung eines einzigen zum Ideal erhobenen Vorbildes. Diese Beschränkung – so Vasaris Ansicht – hätte unausweichlich zur Folge, daß ein eigener Stil nicht ausgebildet werden könne. Der Prototyp des klugen Nachahmers in den Vite wird zweifellos durch Raffael verkörpert, denn ihm sei es dank seiner »imitazione d’altrui« gelungen, aus vielen Stilen einen einzigen zu bilden, der dann als sein eigener galt. Dem Vorbild Michelangelo sei er nur so weit gefolgt, wie es seinem Talent entsprach. Daß Mino sich auf den Stil seines Lehrers versteift haben soll, wirkt dagegen wie ein Akt der Irrationalität. Ungeachtet einer Begabung, die ihm erlaubt hätte, alle seine Vorhaben künstlerisch umzusetzen, hätte er aufgrund einer gewissen Faszination, die Desiderios Werke auf ihn ausübten, und als Folge eines mangelhaften Urteilsvermögens beharrlich an dessem Stil festgehalten. Vor allem hätte er es abgelehnt, sich dem Studium der Natur zu widmen, was in Vasaris Augen eine wichtige Voraussetzung darstellt, um künstlerische Perfektion zu erlangen. Die Frage nach dem Verhältnis und dem Rang von Naturnachahmung und der Nachahmung von Kunstwerken hatte schon Benedetto Varchi 1547 in seiner Lezzione nella quale si disputa della maggioranza delli arti diskutiert: »Man fragt sich, wem ein guter Künstler mehr verpflichtet sei: der Natur oder der Kunst. Es scheint, daß Horaz diese Frage in seiner Poetik kurz und knapp gelöst hat, und zwar in dem Sinne, daß die eine ohne die andere nicht hervorragend sein kann und der ausgezeichnete Künstler deshalb auch beider bedarf.«8 Die Rolle der Natur als Lehrmeisterin und Vorbild ist bei Vasari untrennbar mit seinem Konzept des disegno und dem Prinzip der electio verbunden. Indem der Künstler aus der Natur die schönsten Dinge auswählt, übertrifft er die Natur und kreiert vollkommene Schönheit. Gerade die Vertreter der terza età in Vasaris Vite zeichnen sich im Gegensatz zu jenen der vorangegangenen Epochen durch eine superatio der Natur aus.

      Ein Künstler hingegen, der permanent den Stil eines anderen nachahmt, ihm sozusagen auf den Fußstapfen folgt, ist gezwungenermaßen dazu verdammt, stets hinter seinem auserwählten Vorbild zurückzubleiben. Dieser sequi-vestigia-Topos gehörte seit der römischen Antike zum gebräuchlichen Sprachbildschatz und wurde schon von Quintilian als Metapher für das wetteiferlose Nachahmen eines zum Ideal erhobenen Vorbildes verwendet. In seiner Ausbildung des Redners hatte Quintilian in dem der imitatio gewidmeten Kapitel (Buch X, Kap. 2) bemängelt, daß es ohne die Hinzufügung von etwas Neuem, durch das fruchtlose Imitieren von dem, was bereits vorhanden ist, in allen Künsten und allen Bereichen kein Fortkommen, keine Weiterentwicklung gäbe, weder in der Dichtung, noch in der Geschichtsschreibung, der Schiffahrt oder gar der Malerei, die ohne eine kreative Eigenleistung jedes einzelnen über das bloße Nachzeichnen von Schattenumrissen nicht hinausgekommen wäre.9 Vasari überträgt den sequi-vestigia-Topos auf Mino, um ihn im Rahmen seiner Geschichte der Bildhauerkunst auf ihrem Weg zur Perfektion als einen Meister darstellen, der zwar in der Imitation von Desiderios Stil unübertroffen ist, aber für den Entwicklungsprozeß der Künste selbst keine nutzbringende Früchte hervorgebracht hat.10

      In den 1540er Jahren, in denen die Vita wohl in ihrer ersten Fassung niedergeschrieben wurde, debattierte man im Rahmen der grammatikalischen, rhetorischen und poetologischen Ausbildung sowie der schriftstellerischen Praxis noch lebhaft über das Problem der richtigen Nachahmung. Dabei ging es um die schon in der Antike von Autoren wie Cicero und Quintilian kontrovers diskutierte Frage, ob zur Ausbildung eines eleganten Stils einem einzigen Modell zu folgen sei oder die Stile diverser Schriftsteller in eklektischer Weise imitiert werden sollten. Der seinerzeit bedeutendste Verfechter der imitatio eines zum alleinigen Vorbild erhobenen Literaten – nämlich Cicero – war Kardinal Pietro Bembo. Vincenzo Borghini, der sich schon in jungen Jahren sprachwissenschaftlichen Studien widmete und wie Benedetto Varchi in Florenz zu den Schülern des berühmten Philologen und Humanisten Pier Vettori gehörte, war voller Bewunderung für Bembo, als dieser 1542 während eines Aufenthaltes in Florenz die Badia besuchte und den Benediktinermönchen, zu deren Gemeinschaft auch Borghini gehörte, eine Kostprobe seiner rhetorischen Fähigkeiten gab. Nur ein Jahr zuvor, 1541, war das in drei Büchern gegliederte Werk des Bartolomeo Ricci mit dem Titel De imitatione erschienen, welches die Nachahmung von literarischen Vorbildern im Hinblick auf Ausdruck, Themenwahl und Anordnung des Stoffes systematisierte. Borghini selbst äußerte sich in einer 1542 in Latein verfaßten kurzen Abhandlung zur Frage einer qualitätsvollen Nachahmung.11 In dieser erkannte er Cicero, den ›Vater der Eloquenz‹,12 zwar prinzipiell als mustergültiges Vorbild an, sprach sich aber gleichzeitig für eine fundierte Kenntnis verschiedener Modelle von lateinischer Prosa, auch für das Studium von Stimmen aus, die älteren oder jüngeren Datums als jene Ciceros waren, um so einen eigenen Geschmack entfalten und die Urteilskraft schärfen zu können. Borghini betont sogar an einer Stelle explizit, daß er vorbehaltlos das Urteil Quintilians in dieser Angelegenheit teilen würde.13

      Die Rolle Borghinis als Revisor der Torrentiniana und als einer der frühen Berater Vasaris neben jenen Literaten aus dem Umfeld der Accademia Fiorentina wie Pierfrancesco Giambullari, Cosimo Bartoli oder Benedetto Varchi wurde in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommen, und es ist gut möglich, daß der im Verhältnis zur gesamten Vita des Mino da Fiesole breiten Raum einnehmende Prolog auf Borghini zurückgeht oder sogar aus dessen eigener Feder stammt. Der gelehrte Benediktiner war nicht nur mit der imitatio-Debatte bestens vertraut, er war auch ein ausgezeichneter Kenner des rhetorischen Lehrbuchs von Quintilian. Daß die einleitenden Sätze von Quintilians Kapitel zur imitatio inspiriert, ja sogar das Vokabular an manchen Stellen den antiken Quellen entlehnt zu sein scheint, spricht ebenso für diese These wie die Tatsache, daß Borghini noch vor der Drucklegung der ersten Edition der Vite Vasari in einem Schreiben darüber informierte, daß ein Teil der Vita des Mino da Fiesole zwischen seinen Papieren verblieben sei.14 Überhaupt scheint Borghini an dem Bildhauer ein besonderes Interesse gehabt zu haben. Immerhin hatte Mino im späten Quattrocento in der Badia Fiorentina, deren Ordensgemeinschaft Borghini seit 1552 als Prior vorstand, mehrere Grabmäler geschaffen, darunter auch das monumentale Wandgrabmal für den legendären Gründer des Klosters. Borghinis besondere Wertschätzung des Künstlers tritt in der zweiten Edition der Vita offen zutage. Nicht zufällig wurde in den Text die Bemerkung eingeflochten,

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