Zersplittert. Teri Terry

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Zersplittert - Teri Terry Dystopie-Trilogie

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hatte ich nicht schon so bald wieder mit ihm gerechnet. Ich muss die Hände einen Augenblick lang im Schoß zusammenpressen, damit sie weniger zittern.

      Dann schlage ich meine Mathehausaufgabe auf, weil ich dabei ohne große Mühe so tun kann, als ob ich beschäftigt wäre. Den Blick aufs Heft gerichtet, halte ich den Stift in der rechten Hand. Nico hat einen Rotstift und ein Blatt Papier vor sich auf dem Tisch liegen. Trotzdem sehe ich, dass auch er nur so tut, als würde er arbeiten, dabei aber die ganze Zeit in meine Richtung schaut.

      Das weiß ich natürlich nur, weil ich ihn beobachte. Seufzend mache ich mich an eine Gleichung mit einer Unbekannten.

      Die Zahlen verschwimmen jedoch vor meinen Augen. Gedankenversunken kritzle ich am Rand der Seite herum, zeichne Weinranken und Blätter um das Datum, das ich wie immer oben auf die Seite geschrieben habe. Plötzlich springt mir das Datum direkt ins Auge. 3.11. Heute ist der 3. November.

      Mit einem beinah hörbaren Klick geht mir ein Licht auf.

      Heute ist mein Geburtstag. Ich wurde heute vor 17 Jahren geboren, aber außer mir weiß das niemand.

      Eine Gänsehaut breitet sich über meinen Armen aus. Ich kenne mein richtiges Geburtsdatum und nicht nur das, das mir im Krankenhaus zugewiesen wurde, als meine Identität geändert und ich meiner Vergangenheit beraubt wurde.

      Mein Geburtstag? Ich versuche, mir etwas darunter vorzustellen, aber mir fällt nichts weiter dazu ein. Kein Kuchen, keine Feste, keine Geschenke. Ich entsinne mich nur noch an das Datum, Erlebnisse kommen keine in mir hoch. Aber ich spüre, dass mehr dahintersteckt, ich noch mehr herausfinden und erfahren kann.

      Einige meiner wiedererlangten Erinnerungen sind nüchterne Tatsachen. Als würde ich eine Akte über mich selbst lesen und mich an Auszüge erinnern. Gefühle sind keine damit verbunden.

      Von der Vermissten-Webseite weiß ich, dass ich Lucy hieß und mit zehn Jahren verschwunden bin, aber ich habe keine Erinnerung an dieses Leben. Irgendwann später tauche ich dann mit Nico wieder auf. Und erst von da an schleichen sich Bruchstücke meiner Vergangenheit ein.

      Nico ist derjenige, der womöglich die Antworten hat. Ich müsste ihm lediglich sagen, dass ich mich erinnern kann, wer er ist. Aber will ich sie wirklich hören?

      Als es läutet, trödle ich noch herum, obwohl ich mir vorgenommen hatte, schnell zu verschwinden und die Entscheidung, ob ich mit ihm sprechen soll oder nicht, erst einmal zu verschieben. Ein Schauder – von was? Aufregung? Angst? – rieselt meinen Rücken hinab. Ich gehe langsam nach vorn, wo Nico an der Tür steht. Die anderen Schüler sind weg. Wir sind allein.

      Geh einfach, sage ich zu mir selbst und will an ihm vorbeilaufen.

      »Herzlichen Glückwunsch, Rain«, sagt er leise.

      Ich drehe mich um. Unsere Blicke treffen sich.

      »Rain?«, flüstere ich. Ich drehe und wende den Namen in meinem Mund. Rain – Regen. Eine andere Zeit und ein anderer Ort kommen zurück, klar und deutlich. Ich habe mir diesen Namen an meinem 14. Geburtstag selbst ausgesucht – ich erinnere mich! Es ist mein Name. Nicht Lucy, wie mich meine Eltern bei meiner Geburt genannt haben. Nicht Kyla, den Jahre später eine gleichgültige Krankenschwester in ein Formular eingetragen hat. Rain ist mein Name. Und es fühlt sich an, als ob der Klang dieses Namens endlich den letzten Widerstand in meinem Kopf weggepustet hätte.

      Seine Augen werden groß und leuchten auf. Er kennt mich und weiß, dass ich ihn kenne.

      Gefahr.

      Adrenalin strömt durch meinen Körper und setzt ungeahnte Energien in mir frei. Kampf oder Flucht?

      Im nächsten Augenblick sieht mich Nico an, als wäre nichts geschehen, und macht den Weg für mich frei. »Vergiss deine BioHausaufgaben für morgen nicht, Kyla«, sagt er mit einem Blick über meine Schulter.

      Ich drehe mich um und sehe Mrs Ali. Hass durchströmt mich und dann Angst – aber das ist Kylas Angst. Ich habe keine Angst vor ihr. Rain fürchtet sich vor überhaupt nichts!

      »Vergiss es nicht«, wiederholt Nico und lässt diesmal die bedeutungslose Hausaufgaben-Anspielung für Mrs Alis Ohren weg und verschwindet im Flur.

      Vergiss es nicht …

      »Wir müssen uns mal kurz unterhalten«, sagt Mrs Ali und lächelt; dann ist sie am gefährlichsten.

      Aber das kann ich auch. Ich lächle zurück. »Natürlich«, antworte ich und versuche, den Jubel in meinem Inneren zu unterdrücken. Mein Name! Ich bin Rain.

      »Ich werde dich nicht mehr zwischen den Schulstunden begleiten. Du kennst ja jetzt deine Wege in der Schule.«

      »Dann vielen Dank für Ihre Hilfe«, erwidere ich, so süß ich kann.

      Ihre Augen werden schmal. »Ich habe gehört, dass du während des Unterrichts herumhängst, traurig aussiehst und überhaupt nicht aufpasst. Aber heute scheinst du ganz glücklich zu sein.«

      »Tut mir leid, dass es Beschwerden gab. Heute geht es mir viel besser.«

      »Nun, Kyla, du weißt, wenn du etwas auf dem Herzen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen.« Sie lächelt wieder und mir läuft ein Schauer über den Rücken.

      Vorsicht. Ihr offizieller Titel mag »Betreuungslehrerin« sein, aber sie ist viel mehr als das. Sie hat mich die ganze Zeit über beobachtet und jede klitzekleine Veränderung an mir wahrgenommen. Jedes auffällige Verhalten, das von dem abweicht, was von einem Slater erwartet wird. Jeder Hinweis darauf, dass ich wieder auf die schiefe Bahn gerate, kann dazu führen, dass ich von den Lordern abgeholt und zurückgegeben werde. Liquidiert.

      »Alles ist gut, ehrlich.«

      »Nun, dann sieh zu, dass es so bleibt. Du musst in der Schule dein Bestes geben, zu Hause und in der Gemeinschaft, um …«

      »Meinen Vertrag zu erfüllen. Meine zweite Chance zu nutzen. Ja, ich weiß! Aber danke, dass Sie mich daran erinnert haben. Ich gebe mein Bestes.« Ich grinse, ich bin so glücklich, dass ich sogar einem Lorder-Spion mein Lächeln schenke. Dass Mrs Ali nicht mehr mein Schatten in der Schule sein wird, ist ein unerwartetes Geschenk.

      Ihre Gesichtszüge schwanken zwischen Verwirrung und Wut. War meine Antwort übertrieben?

      »Dann tu das«, sagt sie mit eiskalter Stimme. Offenbar gefällt es ihr besser, wenn ich in ihrer Gegenwart zittere.

      Zu dumm, dass Rain nicht zittert.

      Rot, Gold, Orange – die Eiche in unserem Vorgarten hat das Gras mit bunten Blättern überzogen und ich hole mir einen Rechen aus dem Schuppen.

      Ich habe einen Namen.

      Mit dem Rechen gehe ich auf die Blätter los, schiebe sie erst zu einem Haufen zusammen, um dagegenzutreten und wieder von vorn anzufangen.

      Ich habe einen Namen! Einen, den ich selbst ausgewählt habe; das wollte ich sein. Die Lorder haben versucht, ihn mir zu nehmen, aber das ist ihnen nicht gelungen.

      Ein Auto, das ich noch nie gesehen habe, hält auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Junge, etwa in meinem Alter oder ein wenig älter, steigt aus. Er trägt eine weite Jeans und ein zerknittertes T-Shirt, als wäre er stundenlang gefahren oder als hätte er darin geschlafen

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