Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst. Aristoteles

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Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst - Aristoteles

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immer der Reue zugänglich. Daher verhält es sich nicht wirklich so, wie wir oben bei der Erwägung der Schwierigkeiten angedeutet haben; sondern der eine kann sich bessern, der andere nicht. Die Verderbtheit des Willens macht den Eindruck einer Krankheit wie Wassersucht oder Schwindsucht, der Mangel an Selbstbeherrschung den von Krämpfen. Jene ist ein chronisches, dieser ein akutes Übel. Mangel an Selbstbeherrschung und böser Wille sind zwei völlig verschiedene Gattungen. Von seiner Bosheit hat man kein Bewußtsein, aber wohl von seinem Mangel an Selbstbeherrschung. Von diesen letzteren, den Leuten ohne Selbstbeherrschung, stehen diejenigen die ganz außer sich geraten höher als diejenigen die erst überlegen und doch nicht ihrer Überlegung gemäß handeln; denn die Erregung der sie unterliegen ist von geringerer Stärke, und sie erliegen nicht wie die anderen ohne zur Überlegung gekommen zu sein. Der Mensch ohne Selbstbeherrschung ist ganz ähnlich solchen die schnell trunken werden, schon von einem geringen Maß Wein und von einem geringeren als die meisten anderen. Augenscheinlich also, daß Mangel an Selbstbeherrschung nicht böser Wille ist; aber allerdings, irgendwie ist er doch mit ihm verwandt. Der eine handelt wider sein grundsätzliches Vornehmen, der andere seinem Grundsatz gemäß; und doch, im wirklichen Handeln kommt beides auf das gleiche hinaus. Man wird an den Ausspruch des Demodokos über die Bewohner von Milet erinnert: »Die Einwohner von Milet sind nicht unverständig; aber was sie tun sieht gerade so aus, wie das, was die Unverständigen tun.« Menschen, die sich nicht zu beherrschen wissen, sind nicht von Gesinnung ungerecht, aber ihre Handlungen sind ungerecht. Der eine ist von der Art, daß er den übermäßigen, den der rechten Vernunft widersprechenden sinnlichen Lüsten nicht aus Grundsatz nachjagt; der andere tut es aus Grundsatz, weil es in seiner Art liegt diesen Lüsten nachzujagen. Jenen kann man eines Besseren belehren, diesen nicht. Denn sittliche Gesinnung hält das Prinzip aufrecht, unsittliche Gesinnung stürzt es um; im Handeln aber bildet der Zweck das Prinzip, wie in der Mathematik die Voraussetzungen. Daher gibt es so wenig dort wie hier eine theoretische Begründung für die Prinzipien; sondern innere Tüchtigkeit, entstamme sie nun dem natürlichen Temperament oder der Gewöhnung, hat zur Folge, daß man über die Prinzipien richtig denkt. Wer von Charakter so beschaffen ist, der ist über niedere Begierden erhaben; den Gegensatz zu ihm bildet der grundsätzlich seinen Lüsten Nachlebende. Es kommt vor, daß einer infolge leidenschaftlicher Erregung von der richtigen Einsicht abzufallen geneigt ist; ihn überwältigt die leidenschaftliche Erregung so weit, daß sein Handeln der rechten Einsicht widerspricht, aber doch nicht so weit, daß es bei ihm zur Charaktereigenschaft würde und er sich zum Grundsatz machte, solchen Lüsten rücksichtslos nachzujagen. Diesem geschieht es wohl, daß er sich vergißt; aber er steht immerhin höher als der grundsätzlich Zügellose, und er ist nicht ohne weiteres ein Mensch von schlechtem Charakter. Denn bei alledem bleibt das Wertvollste, das Prinzip, gewahrt. Im Gegensatze zu ihm steht der andere, der an dem Prinzip festhält und sich auch durch die leidenschaftliche Erregung nicht darin erschüttern läßt. Man ersieht daraus, daß die letztere Gesinnung die sittliche, die andere demgegenüber die niedere ist.

      e) Wahre und falsche Willensstärke

       Inhaltsverzeichnis

      Wie nun? Bedeutet Selbstbeherschung, daß man an jeder beliebigen Ansicht und jedem beliebigen Grundsatz, oder daß man an dem richtigen festhält? Und bedeutet Mangel an Selbstbeherrschung, daß man von irgendeinem beliebigen Grundsatz und einer beliebigen Ansicht abfällt, oder von einer Ansicht, die nicht falsch, und von einem Vorsatz, der vernünftig ist? eine Frage, die wir schon oben aufgeworfen haben. Oder sollte es sich vielmehr so verhalten, daß der eine nur gelegentlich auf einer beliebigen, im wesentlichen aber auf der wahren Ansicht und dem richtigen Grundsatz verharrt, und der andere nicht? Die Sache liegt so: wenn jemand dieses Bestimmte um dieses bestimmten Zweckes willen sich vorsetzt oder erstrebt, so erstrebt er und setzt er sich eigentlich dieses letztere vor, und jenes nur abgeleiteterweise. »Eigentlich«, damit meinen wir als solches und an und für sich. So kann es geschehen, daß der eine einer beliebigen Meinung treu bleibt, der andere einer beliebigen abtrünnig wird, während es sich in der Tat um Treue oder Untreue gegen die richtige Meinung handelt.

      Dagegen gibt es Menschen, die stets bei ihrer Meinung bleiben; man nennt sie starrköpfig. Sie sind schwer zu belehren und lassen sich nicht umstimmen; sie haben eine gewisse Verwandtschaft mit dem Willensstarken, etwa wie ein Verschwender sie hat mit dem in Geldsachen vornehm Denkenden und der Verwegene mit dem Kühnen; im Grunde sind sie doch in vielen Stücken ganz verschieden geartet. Denn jener, der Willensstarke, wechselt seine Haltung zwar nicht infolge leidenschaftlicher Erregung und Begierde, aber er läßt sich unter Umständen wohl umstimmen; dem anderen, dem von seiner Begierde Beherrschten, haben Gründe nichts an: die Mehrzahl ist den Begierden zugänglich und wird von ihren Lüsten getrieben. Starrköpfig sind die Eigenwilligen, die Unbelehrbaren und Ungebildeten, und zwar die Eigenwilligen unter der Macht von Lust und Unlust. Sie freuen sich ihres Sieges, wenn man sie nicht umzustimmen vermag, und empfinden es schmerzlich, wenn es ihrer Ansicht ergeht wie einem Volksbeschluß, der sich als null und nichtig erweist. Und so haben sie größere Ähnlichkeit mit dem, der sich nicht zu beherrschen vermag, als mit dem der seiner Herr bleibt. Dagegen kommt es auch vor, daß jemand an seinen Ansichten nicht festhält und doch nicht aus Mangel an Selbstbeherrschung. Das ist der Fall des Neoptolemos in Sophokles' »Philoktet«. Gewiß war das Motiv weshalb er nicht beharrte, seine Neigung, aber es war eine Neigung zum Edlen. Denn ihm galt es als etwas Edles, bei der Wahrheit zu bleiben, und Odysseus hatte ihn überredet die Unwahrheit zu sagen. Nicht immer also ist wer unter dem Antrieb der Neigung handelt, deshalb zügellos oder niedrig gesinnt oder willensschwach, sondern nur dann wenn die Neigung, durch die er sich bestimmen läßt, eine verwerfliche ist.

      Nun gibt es andererseits auch Charaktere, die an den das leibliche Leben betreffenden Dingen geringeres Interesse nehmen als geboten wäre, und die sich Infolgedessen den Anforderungen der Vernunft nicht fügen. Zwischen diesen und denen, die sich nicht in ihrer Gewalt haben, bezeichnet der, der sich zu beherrschen weiß, die rechte Mitte. Wenn der Unenthaltsame sich nicht an die vernünftige Vorschrift hält, so geschieht es infolge eines zu starken, bei jenen geschieht es infolge eines zu schwachen Triebes; der Enthaltsame dagegen hält an ihr fest und läßt sich durch keines von beiden davon abbringen. Bedeutet nun Enthaltsamkeit eine sittliche Eigenschaft, so folgt notwendig, daß die ihr entgegengesetzten Gesinnungen beide zu verwerfen sind, und in der Tat, so stellen sie sich dar. Aber weil die eine von beiden bei wenigen Menschen und in wenigen Fällen zur Erscheinung kommt, so macht es den Eindruck, als bilde, wie allein die Erhabenheit über die Lüste der zügellosen Hingebung an die Lüste gegenübersteht, ebenso auch die Enthaltsamkeit allein den Gegensatz zur Unenthaltsamkeit.

      Wie es nun auch sonst bei vielen Ausdrücken der Fall ist, daß sie verwandt werden, um einen bloß ähnlichen Begriff zu bezeichnen, so hat sich hier der Sprachgebrauch herausgebildet, daß man im Sinne solcher Ähnlichkeit von Selbstbeherrschung auch bei dem spricht, der über die Lüste erhaben ist. Der Enthaltsame nämlich hat gerade so wie der über die Lüste Erhabene die Eigenschaft, nichts unter dem Antrieb sinnlicher Lüste wider das Vernunftgebot zu tun; aber der eine ist niederen Begierden noch zugänglich, den anderen fechten sie gar nicht mehr an; der eine ist so geartet, daß er zu einem Genüsse der wider das Vernunftgebot wäre gar keinen Trieb mehr verspürt, der andere so, daß er für solchen Trieb wohl empfänglich ist, sich aber nicht von ihm bestimmen läßt. So besteht eine Ähnlichkeit ja gewiß auch zwischen dem, dem es an Selbstbeherrschung fehlt, und dem Wüstling; aber sie sind doch von Wesen verschieden. Beide sind den sinnlichen Lüsten ergeben; aber der eine, weil er es grundsätzlich für das Rechte hält, der andere ohne solche grundsätzliche Gesinnung.

      Die Möglichkeit ferner, daß bei einem und demselben Menschen Einsicht mit Mangel an Selbstbeherrschung verbunden sei, ist ausgeschlossen; denn wie wir oben dargelegt haben, der Mann von Einsicht ist auch der Mann von sittlichem Charakter. Einsichtig ist man außerdem nicht bloß durch das Wissen, das man besitzt, sondern durch die Fähigkeit, das Wissen auch im Handeln zu betätigen; wem es aber an Selbstbeherrschung fehlt, der ist zu solcher Betätigung im Handeln nicht geschickt. Dagegen steht nichts im Wege, daß

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