GUARDIANS - Der Verlust. Caledonia Fan
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"Nicht alles", gab La'ith zu und lehnte den Kopf zurück an die Wand, um unbemerkt den Wald gegenüber beobachten zu können. "Der Regen ist zu laut."
Sie schwiegen wieder und warteten.
Tiana war innerlich keineswegs so gelassen, wie sie zu sein vorgab. In La'iths Nähe beschlich sie neuerdings immer öfter ein seltsames Gefühl. In den letzten Jahren hatte sich stets das Bild seines Bruders Ahmad davorgeschoben, wenn sie ihn ansah. Und jedes Mal tat es weh, denn an ihn zu denken fiel ihr noch immer schwer. Rhea hatte nach seiner Beerdigung gemeint, dass der Schmerz mit der Zeit nachließe. Und es stimmte, es war besser geworden mit den Jahren. Ahmad würde zwar immer in ihrem Herzen sein, aber es tat nicht mehr so weh, sich an ihn zu erinnern.
Irgendwann hatte sie jedoch begonnen, La'ith wahrzunehmen. Sie erinnerte sich nicht, wann es angefangen hatte, aber inzwischen war ihr eines klar geworden: Sie beobachtete ihn. Es gab vieles, was ihr gefiel, sie faszinierte, und was ihn interessant machte, ohne dass er Ahmad in ihrer Erinnerung verdrängte. Das konnte er gar nicht. Trotz der äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Zwillingsbruder war La'ith im Wesen ganz anders.
Wenn jemand sie fragen würde, was denn die Unterschiede zwischen den Brüdern waren, hätte sie nichts mit Bestimmtheit nennen können. Doch es gab sie. Und je länger sie La'ith beobachtete, desto deutlicher traten sie hervor. Und desto verwirrter wurde sie. Jede Minute, in der sie an ihn dachte, glaubte sie dem Andenken an Ahmad zu stehlen. Du bist ihm untreu, klagte eine Stimme in ihrem Inneren sie an. Und sie fand keine Entgegnung, um den Vorwurf verstummen zu lassen.
Was sie verunsicherte, war das Fehlen jeglicher Signale von La'iths Seite. Was er wohl über sie dachte? Hielt er sie für eine überspannte, alte Jungfer? Sie war vierundzwanzig, andere Frauen in dem Alter hatten längst geheiratet und an Kandidaten mangelte es nun wirklich nicht.
Aber La'ith gewährte niemandem einen Blick in sein Innerstes. Er war ein Meister im Verbergen von Gefühlen und wenn ihm das nicht gelang, suchte er lieber das Weite. Lächelnd erinnerte sie sich an den Frühlingsnachmittag im Garten, damals, nach der Zerstörung des Labors. Das war so ein Moment gewesen, an dem er die Flucht ergriffen hatte, bevor jemand merkte, was in ihm vorging.
"Wir hätten Yonas doch mitnehmen sollen", meinte sie seufzend.
"Du weißt, dass er wegen seiner Bachelorprüfungen keine Zeit hat."
"Ja, aber es hätte diese Aktion wesentlich vereinfacht. Er könnte Romarus Erinnerungen ganz leicht nacherleben."
"Wenn es welche gäbe", brummte er und legte den Kopf wieder zurück. "Yonas würde nichts sehen, wenn die Erinnerungen des Jungen wirklich komplett gelöscht wurden."
"Geht denn sowas?"
"Es gibt viele Gaben, die wir noch nicht kennen. Vielleicht sollte der Junge froh sein, dass kein geistloser Zombie aus ihm geworden ist."
"Hör auf." Tiana zog die Schultern hoch. "Das ist gruselig."
"Du bist kein kleines Mädchen mehr."
Das hatte gesessen. Die Scham ließ ihre Wangen brennend rot werden. Deutlicher ging es kaum. Jetzt brauchte sie nicht länger zu rätseln, was er von ihr hielt.
La'ith registrierte nicht, was seine Bemerkung angerichtet hatte. Er stand auf, öffnete den Flügel des Küchenfensters mit der Hand ein wenig weiter. "Ich schau mich mal im Dorf um", rief er auf Spanisch hinein. "Ihr bleibt im Haus", fügte er leiser hinzu, "wir haben Besuch."
Tiana hatte sich ebenfalls erhoben.
"Was hast du vor?", raunte sie.
"Mich mal mit dem Spanner zu unterhalten. Tamira wird hier sicher sein."
"Kann ich mitkommen?"
Einen Augenblick sah er sie prüfend an. "Ja, falls er nicht allein ist. Wir werden den Kerl erstmal vom Haus weglocken."
Sie nickte und stieg die drei Verandastufen hinunter. Unten blieb sie stehen und sah sich nach ihm um. "Also, wohin willst du gehen?", fragte sie, gut hörbar für den verborgenen Lauscher.
Er schlug den Weg ein, der zu dem großen Holzplatz führte, den er bei der Ankunft im Dorf bemerkt hatte. Wenn der Beobachter ihnen folgte, würden sie ihn dort stellen.
Als er sich auf diesem Platz mitten in einer Stadt wiederfand, war ihm alles fremd. Kein bekanntes Gebäude, kein vertrautes Gesicht. Die Menschen, die vorbeigingen, schenkten ihm keine Beachtung. Er hatte nichts bei sich außer dem, was er auf dem Leib trug. Doch die Kleidungsstücke kannte er nicht.
Nach ein paar Minuten, in denen er sich zwang, tapfer zu sein, siegte die Panik. Er schämte sich dafür, aber er sprach einen Passanten an und bat ihn um Hilfe.
Dessen Frage nach seinem Namen konnte er nicht beantworten, genauso wenig die nach dem Wohnort. Der ratlose Mann brachte ihn daraufhin zu einem Polizeirevier. Der Polizist dort suchte Fotos heraus, nickte zufrieden, nachdem er ihm prüfend ins Gesicht geschaut hatte, und verkündete ihm, dass er der gesuchte Romaru war. Bei dem Namen stellte sich keine Vertrautheit ein. Es hätte ebenso jeder andere sein können, er verband keinerlei Erinnerung damit.
Der Polizist ließ ihn in einem Nebenraum warten, schaltete ihm den Fernseher ein, gab ihm ein belegtes Brot aus seiner Aktentasche und eine Dose Cola.
Nach ein paar Minuten wurde er erneut geholt und musste Fragen beantworten. Doch auf alle hatte er nur ein hilfloses Kopfschütteln als Antwort.
Schließlich gab der Polizist auf. Er schob den unbeschriebenen Notizblock von sich und sah ihm einen Augenblick forschend ins Gesicht, bevor er zu erzählen begann.
Staunend erfuhr er von dem Beamten, dass er vor drei Tagen von der Schule nicht nach Hause gekommen war und seitdem als vermisst galt. Der Schulbus war ohne ihn in seinem Heimatort angekommen und keiner hatte sagen können, wo er steckte.
Kurz nach dieser Befragung tauchte ein Arzt im Polizeirevier auf. Der gutmütige Grauhaarige im weißen Kittel untersuchte ihn gründlich und stellte fest, dass ihm außer seiner Erinnerung nichts fehlte. Der Mediziner machte ein zufriedenes Gesicht, als er das dem Polizisten versicherte, und meinte zuversichtlich, dass das verlorene Gedächtnis zurückkäme. Dann blickte der nette Mann ihn noch einmal bedauernd an und klopfte ihm dabei väterlich auf die Schulter. Zwei Sekunden später war er verschwunden.
Er selbst wurde daraufhin von dem Polizisten wieder in den Nebenraum gebracht. Dort musste er auf seine Mutter warten, zu der man inzwischen einen Streifenwagen geschickt hatte. Sie sollte in zwei, vielleicht auch drei Stunden eintreffen.
Er gehorchte widerspruchslos und legte sich auf die durchgesessene und ächzende Couch. Und obwohl er nicht müde war, musste er geschlafen haben, denn er wurde vom Schluchzen einer Frau geweckt. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür. Der Polizist kam herein.
"Deine Mutter ist gekommen", meinte der Mann und legte ihm die Hand auf die Schulter, als rechnete er damit, dass er weglaufen würde.
Er betrachtete die kleine rundliche Frau vor sich und wartete verzweifelt darauf, dass sich sein Gehirn an sie erinnerte, dass er irgendetwas Vertrautes an ihr fand. Doch das geschah nicht. Sie war ihm genauso fremd wie alles andere um ihn herum.
Als sie merkte, dass er sie nicht erkannte, flossen die mühsam