GUARDIANS - Der Verlust. Caledonia Fan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу GUARDIANS - Der Verlust - Caledonia Fan страница 15

Автор:
Серия:
Издательство:
GUARDIANS - Der Verlust - Caledonia Fan

Скачать книгу

sie in der Handtasche, die sie auf den Knien hielt, nach einem Taschentuch, während sie mit bebenden Lippen wieder und wieder 'Dios mio' stammelte.

      All das hatte Romaru ohne Stocken berichtet. An diese Dinge erinnerte er sich problemlos, aber die Zeit vor dem 'Auftauchen' auf dem belebten Platz in Flores war vollkommen ausgelöscht.

      Seine Mutter bestätigte, dass er den Passanten an der zentralen Bushaltestelle angesprochen hatte, von der aus der Schulbus nach Carmelita losfuhr. Es war wie bei Clarice gewesen: Der Ort, an dem sich die Verschwundenen zuletzt aufgehalten hatten, war auch der Ort, an dem sie wieder auftauchten.

      Tamira sah den Jungen vor sich mitfühlend an. In seinem Alter weinte man nicht mehr ohne Weiteres, doch es war ein bisschen viel, was der schmächtige Zwölfjährige zu ertragen hatte. Von jetzt auf dann war er in ein anderes Leben geworfen worden und er musste damit klarkommen.

      Was war der Grund für die verlorene Erinnerung? Oder war sie gar nicht verloren? Spielte er ihnen etwas vor? Verbarg er irgendwas?

      Er erweckte nicht den Eindruck, als sei er eingeschüchtert. Auf ihre direkte Frage, ob jemand ihm verboten habe, über das zu reden, was ihm passiert war, antwortete er offen und ohne zu zögern mit einem klaren Nein.

      Eine Sache war noch nicht angesprochen worden. Und die interessierte sie brennend. Romaru hatte vor diesem einschneidenden Ereignis die Fähigkeit besessen, Tiere zu verstehen. Sicher, es gab Menschen, die anhand von Mimik oder Verhalten eines Tieres etwas zu erkennen glaubten. Aber Gewissheit konnte man so nie erhalten. Romaru jedoch hatte gewusst, was ein Tier sagte, wenn man dabei überhaupt von Sprechen reden konnte. Sie vermutete, dass es wie Telepathie funktionierte, aber mit Tieren. Und einseitig. Er hatte sich ihnen nicht verständlich machen können. Doch die Geschöpfe waren offensichtlich in der Lage gewesen, eine besondere Verbindung zwischen sich und dem Jungen zu spüren. Sie hatten sich ihm gegenüber anders verhalten, waren regelrecht zutraulich gewesen. Affen hatten sich streicheln lassen und Papageien auf Romarus Schulter gesessen. Sogar der Ozelot war gern in seine Nähe gekommen. Señora Vermosa hatte ihr erzählt, dass sie einmal schreckensbleich mit ansehen musste, wie ihr Sohn am Wasser saß und eine Korallenschlange sich auf die schmalen Knabenschultern legte. Als dieser die Hand behutsam über den glatten Schlangenleib gleiten ließ, war der Mutter beinahe das Herz stehengeblieben.

      Tamira hatte den Stolz in der Stimme von Nanita Vermosa hören können, der erneut Tränen über die Wangen rollten, als sie das erzählte. Da seine Fähigkeit viel Aufmerksamkeit erregt hatte, war Romaru sogar schon mehrfach nach Cobán, der großen Stadt im Süden, geholt worden. Man brauchte ihn im Zoo, um bei einem erkrankten Tier herauszufinden, was ihm fehlte. Der Junge hatte deswegen selbstverständlich Tierarzt werden wollen.

      Sie merkte, dass er sich wie ein Fremdkörper in der eigenen Familie fühlte. Die beiden jüngeren Brüder nahmen seine Veränderung scheinbar unbekümmert hin, doch die Mutter meinte, der Vater könne mit der Situation nicht umgehen. Er sei verbittert, denn obwohl er anfangs dagegen gewesen war, dass Romaru den Tierpflegern im Cobáner Zoo half, hatte die großzügige Bezahlung doch ab und zu den einen oder anderen kleinen Luxus für die Familie ermöglicht. Das war nun Geschichte.

      Die Mutter hatte damals nicht nachgelassen, bis ihr Mann ihr erlaubte, Romaru als Zehnjährigen in die internationale Begabten-Datenbank eintragen zu lassen, wie es ihnen vom Zoodirektor geraten worden war. Voller Stolz hatte sie den Schein mit der Registrierungsnummer entgegengenommen und während der ganzen Busfahrt in der Hand gehalten. Im Amt hatte man ihr von Schulen für besonders Begabte erzählt und Penelopes Internat empfohlen.

      Romaru war sofort begeistert gewesen von der Idee, in England zu lernen. Und auch dafür hatte die kleine unscheinbare Frau von ihrem Mann die Erlaubnis erkämpft. Sie zählte auf, was für großartige Möglichkeiten Romaru damit offenständen und wie er mit einer guten Ausbildung die Familie finanziell unterstützen könnte.

      Tamira verstand. Es war ein weiterer geplatzter Traum für den Vater gewesen. Falls er gehofft hatte, eines Tages nicht mehr bei den großen Firmen mit ihren illegalen Rodungen schuften zu müssen, dann war diese Hoffnung nach dem Wiederauftauchen seines ältesten Sohnes gestorben.

      Dass er seine Gabe nicht mehr besaß, hatte niemand bemerkt, bis die Mutter ihn am Tag darauf am Fluss beobachtete. Die Tiere waren nicht zu ihm gekommen. Sie hatte es für einen Zufall gehalten, doch auch die Hunde des Dorfes und die Mulis des alten Gummizapfers Jorge schenkten ihm keine Beachtung mehr. Da hatte sie ihren Jungen gefragt, warum die Tiere ihn mieden. Und seine Antwort war nur ein verständnisloser Blick gewesen.

      All das hatte Nanita hastig hervorgesprudelt, von Schluchzern unterbrochen und ab und zu mitfühlend ihren Sohn betrachtend.

      Nachdem der Junge erleichtert das Häuschen verlassen hatte, blieb Tamira noch einen Augenblick am Küchentisch sitzen, um zu überlegen, wie sie weiter vorgehen sollten. Letztendlich hatte das Gespräch nicht viel gebracht. Die Polizeistation in Flores aufzusuchen erschien ihr unsinnig. Dort würde man ihnen nicht weiterhelfen können.

      Gerade wollte sie aufstehen, um nachzuschauen, ob La'ith und Tiana zurück waren, da wurde sie am Arm festgehalten.

      "Warten Sie, bitte. Ich möchte Ihnen noch etwas zeigen", flüsterte Romarus Mutter und schaute nervös zur Tür, als müsse sie sich vergewissern, dass sie tatsächlich allein waren.

      Wieder fiel Tamira auf, dass sie viel jünger sein musste, als sie wirkte. Dreißig vielleicht, wenn überhaupt. Sie sank auf den Stuhl zurück und wartete.

      Die Frau schob die Hand in die Tasche ihres bunten, landestypischen Rockes und holte einen vielfach gekniffenen Zettel heraus. "Das hing an unserer Tür, als ich mit Romaru an dem Tag nach Hause kam. Mein Mann darf nicht erfahren, dass ich Ihnen das zum Lesen gebe. Er glaubt, dass ich den Brief weggeworfen habe. Wir haben Angst, große Angst." Mit diesen Worten hatte sie das Blatt entfaltet und legte es nun mit bebenden Fingern vor Tamira auf den Tisch.

      Der 'Brief' bestand lediglich aus zwei Zeilen. Doch der Inhalt beantwortete viele Fragen.

      'Zu niemandem ein Wort davon, was mit Ihrem Sohn geschehen ist. Zu niemandem! Wir wissen, wo ihre Familie lebt und dass der Junge zwei kleine Brüder hat.'

      Tamira nickte verstehend. Sie faltete den Bogen wieder zusammen und wollte ihn zurückgeben, doch die Frau schüttelte hastig den Kopf. "Behalten Sie ihn!", stieß sie hervor. "Ich lebe in ständiger Angst, dass mein Mann herausbekommt, dass ich Sie angerufen habe. Wenn er erfahren sollte, dass ich den Zettel heimlich aufgehoben habe, um ihn Ihnen zu zeigen, weiß ich nicht, was er tut. Aber ich wollte, dass Sie wissen, warum wir nichts unternommen haben."

      Wieder nickte Tamira. "Das verstehe ich. Wir werden weg sein, wenn Ihr Mann nach Hause kommt." Sie ergriff die Hände von Romarus Mutter und drückte sie sanft. "Sie haben sehr viel Mut bewiesen, Señora Vermosa. Es tut mir so leid, was Ihrer Familie passiert ist."

      "Nanita", schniefte die Frau und lächelte unter Tränen. "Mein Name ist Nanita."

      "Ich bin Tamira. Und jetzt werde ich nachschauen, wo meine Freunde sind, damit wir zurückfahren können. Vielen Dank. Sie haben uns sehr geholfen."

      13. Juni 2024, Donnerstag, 15:30 Uhr

       Carmelita, Guatemala

      Sie hatten das große Plateau im Osten des Dorfes erreicht, auf dem das Mahagoniholz aus dem Regenwald zwischen­gelagert wurde. La'ith war bis zum Rand des Areals gegangen und dort stehengeblieben. Vor ihm lag ein Steilhang, der nach Süden abfiel. Zu seinen Füßen dehnte sich dichter Dschungel.

      Der Angriff

Скачать книгу