So geht's mir gut nach der Geburt. Maria Borelius
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Während der Schwangerschaft hat der Körper allmählich immer mehr Endorphine gebildet. Endorphine sind körpereigene Morphine. Sie werden im Gehirn erzeugt, um Schmerzen bei körperlicher Anstrengung und eben während der Schwangerschaft zu lindern. Sie haben eine starke Wirkung: Sie unterstützen den Körper, Unerwartetes leisten zu können, sie betäuben den Schmerz, verhelfen zu äußerster Wachheit und schärfen die Sinne. (Vielleicht haben Sie die Wirkung von Endorphinen schon einmal beim Sport verspürt. Wenn man zum Beispiel joggt, merkt man nach einer Weile, daß das Laufen leichterfällt, die Natur einem schöner vorkommt, man besser denken kann und wacher ist. Da schlagen auch die Endorphine zu.)
Die Endorphinproduktion erreicht während der Geburt ihren Höhepunkt. Das Gehirn versucht, dem Schmerz der Wehenarbeit entgegenzuwirken und produziert große Mengen Endorphin. Und wahrscheinlich haben Sie instinktiv auch noch nachgeholfen, indem Sie sich in der Eröffnungsphase bewegt und so die Endorphinproduktion zusätzlich gesteigert haben.
In den Arm gekniffen
Wissenschaftler sind der Sache nachgegangen und haben Frauen in den Arm gekniffen, vor, während und nach der Geburt. (Geduldige Versuchspersonen, nicht wahr!) Es hat sich herausgestellt, daß die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen, während der Entbindung äußerst stark ansteigt. Aber nur bei Frauen, die irgendeine Form von Geburtsvorbereitung hinter sich haben. Man vermutet, daß die Weitung des Muttermundes den Endorphinausstoß auslöst. Auch bei sonstiger Stimulation des Muttermundes erhöht sich die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen. Durch die Endorphine sind Sie zu größeren Leistungen fähig, als Sie für möglich gehalten hätten. Nach der Geburt ist der Endorphinspiegel höher als je zuvor in Ihrem Leben, es sei denn, Sie hätten einen dramatischen Unfall hinter sich. Daher rührt das merkwürdige Paradox: völlig am Ende und trotzdem fit.
In früheren Zeiten ging es dabei sicher ums reine Überleben.
In der grauen Vorzeit des Menschen waren eine Frau und ihr Neugeborenes eine lockende Beute für Raubtiere. Wo sie geboren hatte, roch es nach Blut und Wehrlosigkeit. Ein deutliches Signal für Raubtiere und Aasfresser, daß es hier leichte Beute gab. Deshalb war es wichtig, daß die Mutter schnell Kräfte sammeln und mit ihrem Kind den Geburtsplatz verlassen konnte. Der Endorphinkick gab diese zusätzliche Energie, um sich und ihr Kind in Sicherheit zu bringen. Und außerdem brauchte sie ausreichend Energie, um das Kind sofort zu pflegen und zu stillen, obwohl eine Geburt dem Körper die letzten Kraftreserven nimmt.
Mit allen Sinnen
Das Endorphin erhöht auch die Sensibilität aller Sinne, denn es kommt jetzt darauf an, so schnell wie möglich einen neuen kleinen Menschen anzunehmen. Dieses Geschöpf ist ja zum Teil ein fremdes Wesen für Sie. Und Sie sind auf vielerlei Weise eine Fremde für das Kind. Und dennoch ist ein Kind entsetzlich abhängig. Ohne die Fürsorge und, ganz allmählich, die Liebe der Mutter kann es nicht überleben. Aus diesem Grund hat die Natur das äußerst sinnreiche Zusammenspiel zwischen den beiden erfunden. Die ganze Biologie arbeitet darauf hin, daß Mutter und Kind einander finden.
Eine Mutter muß ihr Kind kennenlernen, allmählich seine Signale deuten können und es schützen und umsorgen wollen. Das Baby muß das Gesicht, die Stimme und den Geruch der Mutter kennenlernen. Ihr Wesen wird sich auf ewig in ihm einprägen, es weiß, daß es jemanden hat, zu dem es gehört.
Die Sinne öffnen sich.
Der Geruch. Das Fett, das am Neugeborenen haftet (Käseschmiere), riecht stark und eigentümlich. Die meisten Mütter mögen den Geruch und vergessen ihn ihr Leben lang nicht.
Der Tastsinn. Die Haut des Kindes ist zart, es ist ein Genuß, sie anzufassen.
Das Gehör. Sie sind hellwach für alle Laute vom Kind. Atmet es? Hat es Hunger? Sie horchen und versuchen, die Laute zu deuten. Sie lernen sehr schnell, sein Schreien von dem anderer Kinder zu unterscheiden. Und wenn eine Mutter nicht zu ihrem Kind kann, wenn es schreit, bekommt sie Angst und Schweißausbrüche – Chemie fürs Überleben.
Der Gesichtssinn. Sie studieren das Gesicht Ihres Kindes genau. Und natürlich finden Sie, daß Ihr Baby schöner ist als alle anderen Kinder. Was drückt es aus? Zufriedenheit, oder fehlt dem Kind etwas? Was könnte es sein? Und wem ähnelt das Kind? (Hebammen behaupten oft scherzhaft, daß neugeborene Kinder sehr ihren Vätern ähneln. Wenn das stimmt, will die Natur damit vermutlich dem Mann beweisen, daß das Kind von ihm ist, damit er sich mit Lust und Kraft an seinem Schutz beteiligt.)
Interessant ist auch, daß der Körper des Kindes so proportioniert ist, daß er Hilflosigkeit ausstrahlt und Erwachsene darauf reagieren. Das Kind hat ja, verglichen mit einem Erwachsenen, einen viel zu großen Kopf, große Augen, ein kleines, rundes Gesicht mit kleiner Nase und kurze Gliedmaßen. Das löst in unserem Gehirn Mütterlichkeit und Beschützerinstinkte aus. (Ähnlich reagieren wir bei den Nachkommen von Tieren. Große Kühe, Tiger oder Hühner wecken keine starken Sympathien, aber alle Menschen finden Kälber, Tigerbabys und Küken süß. Die Programmierung im Gehirn ist also so stark, daß sie immer ausgelöst wird, egal, wie und wo wir diesen äußerlichen Merkmalen begegnen.)
»Ich wollte alles über diesen kleinen Menschen wissen. Wie er roch, sich anfühlte, sich anhörte. Wir rochen aneinander, diese zarte Haut und der süße Duft hatten etwas wahnsinnig Sinnliches.«
Sara, 32, zwei Kinder
Eine Mutter arbeitet unbewußt ständig daran, sich so schnell wie möglich dem Kind einzuprägen. Sie hält es vor sich, genau in dem Abstand, in dem ein Neugeborenes am besten sieht. Sie spricht mit ihm, damit das Kind die Stimme, die es bereits in der Gebärmutter vernommen hat, wiedererkennt. Und sie riecht stark. Der Blutgeruch der Geburt hält sich. Eine Mutter schwitzt in den Tagen nach der Geburt wie kaum sonst. Die Brüste riechen nach Milch. Schon fünf Tage alte Babys ziehen ein Tuch, das von ihrer Mutter getragen wurde, einem von anderen Frauen getragenen Tuch vor.
Eine Mutter, die allzu lange von ihrem Kind getrennt ist, bekommt Angst. Das ganze Nervensystem scheint sie wie mit einem Magneten zu dem Kleinen hinzuziehen. Sie streichelt und berührt das Baby ständig, damit es vor allem mit ihr Genuß verspürt. Innerhalb von wenigen Tagen wird die Mutter das Zentrum der Welt für das Kind.
Der Wunsch zu schützen wird frühzeitig geweckt, aber die Liebe zum Kind kann auf sich warten lassen.
»Ich schaute ihn an und fragte mich, wer er war. Ich habe in den ersten Tagen wirklich keine Liebe empfunden. Mehr Erstaunen.«
Kristina, 47, drei Kinder
Die Liebe kann Tage und Wochen auf sich warten lassen. Aber wenn sie dann kommt, spürt man es. Es ist eine Verliebtheit, die deutliche chemische Spuren im Gehirn hinterläßt. Sie wird ein Leben lang währen, und viele Frauen finden, daß diese Bindung viel stärker ist als die, die man zu einem Mann empfinden kann.
Der erste Glücksrausch
Während der Geburt werden auch große Mengen Oxytozin gebildet, es befördert die Wehenarbeit in der Gebärmutter. Dieses Hormon hat viele psychologische Effekte.
Die Wissenschaft hat nachgewiesen, daß es daran beteiligt ist, die Erinnerung an die Geburtsschmerzen auszulöschen. Es bewirkt auch, daß man sich nach innen wendet, daß man sich entspannt und fast tierische Mutterinstinkte entwickelt. Oxytozin schirmt gegenüber der Umwelt ab, macht aber