Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2. Augustinus von Hippo
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2.
Es kam der Herr; was tat er? Ein großes Geheimnis legte er uns ans Herz. „Er spuckte auf die Erde“, machte mit seinem Speichel eine weiche Masse ― denn „das Wort ist Fleisch geworden“1225 ― und salbte die Augen des Blinden. Er war gesalbt und sah noch nicht. Er schickte ihn zum Teich, der Siloe genannt wird. Es lag aber dem Evangelisten daran, uns den Namen dieses Teiches bekannt zu geben, und er sagt darum: „was verdolmetscht heißt: der Gesandte“. Wer gesandt wurde, wißt ihr schon; denn wenn jener nicht gesandt worden wäre, so wäre keiner von uns von der Sünde befreit worden. Er wusch also die Augen in jenem Teiche, der verdolmetscht wird: „der Gesandte“, er wurde getauft in Christus. Wenn er ihn nun, da er ihn in sich selbst gewissermaßen taufte, damals erleuchtete, so hat er ihn, als er ihn salbte, vielleicht zum Katechumenus gemacht. Man kann zwar die Tiefe des so großen Geheimnisses noch auf manche andere Weise erklären und darlegen, doch dies möge eurer Liebe genügen; ihr habt ein großes Geheimnis vernommen. Frage einen Menschen: Bist du ein Christ?1226 Er antwortet dir: Nein, wenn er ein Heide oder Jude ist. Wenn er aber sagt: Ja, so fragst du ihn noch: Bist du ein Katechumenus oder ein Gläubiger? Wenn er aber antwortet: Ein Katechumenus, so ist er gesalbt, noch nicht gewaschen. Allein warum gesalbt? Frage und er antwortet; frage ihn, an wen er glaubt; gerade weil er Katechumenus ist, sagt er: an Christus. Siehe, ich rede jetzt zu Gläubigen und Katechumenen. Was habe ich vom Speichel und der weichen Masse gesagt? Daß das Wort Fleisch geworden ist. Das hören auch die Katechumenen, aber es genügt ihnen nicht für das, wozu sie gesalbt worden sind; sie mögen zur Taufe eilen, wenn sie das Licht suchen.
3.
Nun also wollen wir wegen einiger in diesem Lesestück enthaltenen Fragen die Worte des Herrn und des ganzen Lesestückes selbst mehr rasch durchgehen als abhandeln. „Beim Hinweggehen sah er einen blinden Menschen“, nicht einen irgendwie blinden, sondern „von Geburt“. „Und es fragten ihn seine Jünger: Rabbi“ ― ihr wißt, „Rabbi“ ist ein Lehrer. Sie nannten ihn Lehrer, weil sie zu lernen verlangten; sie legten nämlich dem Herrn als dem Lehrer eine Frage vor: „Wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so daß er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern“, so daß er blind geboren wurde. Was hat er da gesagt? Wenn kein Mensch ohne Sünde ist, waren dann etwa die Eltern dieses Blinden ohne Sünde? War etwa er selbst entweder ohne Erbsünde oder hatte er im Leben nichts hinzugefügt? Oder waren etwa, weil seine Augen geschlossen waren, die Begierden gar nicht wach? Wieviel Böses begehen die Blinden? Von welcher Art des Bösen enthält sich ein böses Herz, auch wenn die Augen geschlossen sind? Er konnte nicht sehen, aber er war imstande zu denken und vielleicht etwas zu begehren, was ein Blinder nicht vollbringen, was jedoch im Herzen gerichtet werden kann vom Herzenserforscher. Wenn also sowohl seine Eltern eine Sünde hatten, als auch er selbst eine Sünde hatte, warum sprach der Herr: „Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern“ als eben wegen der Sache, worüber er gefragt wurde, „daß er blind geboren wurde“? Es hatten nämlich zwar seine Eltern eine Sünde, aber nicht wegen dieser Sünde geschah es, daß er blind geboren wurde. Wenn es nun nicht wegen der Sünde der Eltern geschah, daß er blind geboren wurde, warum ist er dann blind geboren worden? Höre, wie der Meister lehrt; er sucht einen Glaubenden, um ihm das Verständnis beizubringen. „Weder dieser hat gesündigt“, sagt er, „noch seine Eltern, sondern damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden“.
4.
Was folgt dann weiter? „Ich muß die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat.“ Siehe, er ist der „Gesandte“, in welchem der Blinde sein Gesicht wusch. Und sehet, was er gesagt hat: „Ich muß die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist“. Erinnert euch, wie er alle Ehre dem gibt, von dem er ist, weil jener einen Sohn hat, der von ihm ist, er selbst aber keinen hat, von dem er ist. Aber warum, o Herr, hast Du gesagt: „Solange es Tag ist“? Höre den Grund. „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ Auch Du nicht, o Herr? Wird jene Nacht soviel vermögen, daß auch Du in ihr nicht wirken kannst, dessen Werk die Nacht ist? Denn ich meine, Herr Jesu, ja ich meine nicht, sondern ich glaube und spreche es offen aus, daß Du dabei gewesen, als Gott sagte: „Es werde Licht, und es ward Licht“1227. Denn wenn er es durch das Wort gemacht hat, dann hat er es durch Dich gemacht, und darum heißt es: „Alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe ist nichts geworden“1228. „Gott schied zwischen Licht und Finsternis; das Licht nannte er Tag und die Finsternis nannte er Nacht“1229.
5.
Welches ist jene Nacht, bei deren Erscheinen niemand wird wirken können? Höre, was der Tag ist, und dann wirst du erkennen, was die Nacht ist. Er selbst soll es sagen: „Solange ich in dieser Welt bin, bin ich das Licht der Welt“. Siehe, er selbst ist der Tag. Es wasche der Blinde seine Augen am Tage1230, damit er den Tag sehe. „Solange ich in der Welt bin“, sagt er. „bin ich das Licht der Welt.“ Es wird also irgendwie eine Nacht eintreten, wenn Christus nicht mehr da ist; deshalb wird dann niemand wirken können. Wir müssen noch weiter forschen, meine Brüder; höret mich geduldig an, wenn ich forsche; ich forsche mit euch, mit euch werde ich die Antwort bei dem finden, den ich frage. Es steht fest, es ist ausdrücklich gesagt und bestimmt, als Tag habe der Herr an dieser Stelle sich selbst bezeichnet d. h. als Licht der Welt. „Solange ich in dieser Welt bin“, sagt er, „bin ich das Licht der Welt“. Also er selbst wirkt. Wie lange aber ist er in dieser Welt? War er etwa, Brüder, damals hier, und ist er jetzt nicht hier? Wenn wir das meinen, so ist also nach der Himmelfahrt des Herrn bereits jene furchtbare Nacht eingetreten, wo niemand wirken kann. Wenn nach der Himmelfahrt des Herrn jene Nacht gekommen ist, wie haben dann die Apostel so Großes gewirkt? War etwa diese Nacht, als der Heilige Geist kam und alle an einem Orte Anwesenden erfüllte und ihnen in den Sprachen aller Völker zu reden verlieh1231? War es etwa Nacht, als jener Lahme auf das Wort des Petrus hin gesund gemacht wurde, oder vielmehr auf das Wort des Herrn, der in Petrus wohnte1232? War es etwa Nacht, als beim Erscheinen der Jünger die Kranken mit ihren Betten hingelegt wurden, damit sie wenigstens vom Schatten der Vorübergehenden getroffen würden1233? Der Herr selbst aber hat, als er noch hier weilte, niemand durch seinen Schatten gesund gemacht, er hatte jedoch zu den Jüngern gesagt: „Ihr werdet Größeres tun als das“1234. Der Herr hatte zwar gesagt: „Ihr werdet Größeres tun als das“, allein Fleisch und Blut möge sich nicht erheben, es höre ihn, wie er sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“1235.
6.
Also wie? Was werden wir von dieser Nacht sagen? Wann wird die Zeit kommen, da niemand mehr wirken kann? Das wird die Nacht der Gottlosen sein, das wird die Nacht derjenigen sein, zu welchen am Ende gesagt wird: „Gehet hin in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist“1236. Aber es heißt doch „Nacht“, nicht Flamme, nicht Feuer. Höre, daß es auch eine Nacht ist. Von einem gewissen Knechte sagt er: „Bindet ihm Hände und Füße, und werfet ihn hinaus in die äußerste Finsternis“1237. Also soll der Mensch wirken, solange er lebt, damit er nicht von jener Nacht überrascht werde, wo niemand mehr wirken kann. Jetzt muß der Glaube durch die Liebe wirken, und wenn wir jetzt wirken, das* ist* der Tag,* das* ist Christus. Höre, was er verspricht, und halte ihn nicht für abwesend. Er hat gesagt: „Siehe, ich bin bei euch“. Wie lange? Ängstigen wir uns nicht, die wir noch leben; wenn es möglich wäre, würden wir mit diesem Worte auch die später lebenden Nachkommen vollständig beruhigen. „Siehe“, sagt er, „ich bin bei euch bis zum Ende der Welt“1238. Dieser Tag, der durch den Umlauf der Sonne bewirkt wird, hat wenige Stunden, jedoch der Tag der Gegenwart Christi erstreckt sich bis zum Ende der Welt. Nach der Auferstehung der Lebendigen und Toten aber, wenn er zu den auf der Rechten