Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2. Augustinus von Hippo

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Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 2 - Augustinus von Hippo Die Schriften der Kirchenväter

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worden. Obwohl er Schmähung nicht mit Schmähung erwiderte, obwohl er Schimpfrede nicht mit Schimpfrede zurückwies, so kam es ihm doch zu, das eine zu verneinen, das andere nicht zu verneinen. Nicht ohne Grund, Brüder. Denn Samaritaner heißt soviel als Wächter. Er war sich bewußt, unser Wächter zu sein. Denn „nicht schläft noch schlummert, der da Israel bewacht“1195. Und „wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, dann wachen vergebens die Wächter“1196. Es ist also der unser Wächter, der unser Schöpfer ist. Lag ihm etwa daran, daß wir* erlöst* würden, und sollte ihm nichts daran liegen, daß wir* bewahrt* würden? Damit ihr schließlich das Geheimnis noch vollständiger erfasset, warum er es nicht ablehnen durfte, ein Samaritaner zu sein, so denket an jenes so bekannte Gleichnis, wo ein Mensch von Jerusalem nach Jericho hinabging und unter die Räuber fiel, die ihn schwer verwundeten und halbtot am Wege liegen ließen. Es ging ein Priester vorbei und achtete nicht auf ihn; es kam ein Levit dazu, auch er ging seines Weges weiter; es kam ein Samaritaner daher ― der ist unser Wächter ― dieser näherte sich dem Verwundeten, tat an ihm Barmherzigkeit und erwies sich dem als Nächsten, den er nicht als einen Fremden ansah1197. Nur darauf also antwortete er, daß er keinen Teufel habe, nicht aber, daß er kein Samaritaner sei.

       3.

      Sodann nach einer solchen Lästerung sprach er bloß dies über seine Ehre: „Ich ehre“, sagt er, „meinen Vater, und ihr entehret mich“. Das heißt: Ich ehre mich nicht, damit ich euch nicht als anmaßend erscheine; ich habe jemand, den ich ehre. Aber wenn ihr mich erkennen würdet, so würdet auch ihr, wie ich den Vater ehre, mich ehren. Ich tue, was meine Pflicht ist, ihr tut nicht, was eure Pflicht ist.

       4.

      „Ich aber“, sagt er, „suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wen anders will er damit verstanden haben als den Vater? Wie sagt er also an einer andern Stelle: „Der Vater richtet niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne gegeben“1198, während er hier sagt: „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wenn also der Vater richtet, wie ist es dann zu verstehen, daß er niemand richtet, sondern alles Gericht dem Sohne gegeben hat?

       5.

      Damit wir diese Frage lösen, gebet acht; sie läßt sich durch eine ähnliche Redeweise lösen. Du findest geschrieben: „Gott versucht niemand“1199, und wiederum findest du geschrieben: „Es versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“1200. Das ist doch wohl eine Frage; das seht ihr ein. Denn wie „versucht Gott niemand“ und wie „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“? Desgleichen steht geschrieben: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“1201, und an einer andern Stelle steht geschrieben: „Die Furcht des Herrn ist lauter, bleibend für und für“1202. Auch das ist eine Frage. Denn wie „treibt die vollkommene Liebe die Furcht aus“, wenn „die lautere Furcht des Herrn für und für bleibt“?

       6.

      Wir sehen also, es gibt zweierlei Versuchungen, eine, welche täuscht, und eine andere, welche prüft; nach der, welche täuscht, „versucht Gott niemand“, nach der, welche prüft, „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren, ob ihr ihn liebet“. Allein abermal erhebt sich auch hier eine Frage, wie er „versucht, um zu erfahren“, er, dem nichts verborgen sein kann, noch ehe er versucht. Also Gott ist nichts unbekannt, wenn es aber heißt: „um zu erfahren“, so ist das soviel als: um es euch zur Kenntnis zu bringen. Solche Redensarten gibt es auch in unsern Gesprächen, und sie finden sich auch bei den Meistern der Beredsamkeit. Ich will etwas aus unserer Umgangssprache anführen. Man spricht von einem „blinden Graben“, nicht weil er die Augen verloren hat, sondern weil er durch seine Verborgenheit die Leute hindert, ihn zu sehen. Auch von den Schriftstellern will ich etwas anführen. „Traurige Bohnen“, sagt einer1203, d. h. bittere, nicht weil sie selbst traurig sind, sondern weil sie beim Verkosten betrüben d. h. traurig machen. Es gibt also auch in den heiligen Schriften solche Redeweisen. Die mit der Erforschung solcher Fragen sich beschäftigen, finden keine Mühe in der Lösung dieser Fragen. Also „versucht euch der Herr, euer Gott, um zu erfahren“; ― was heißt das: „um zu erfahren?“ ― um euch wissen zu lassen, „ob ihr ihn liebet“. Job kannte sich nicht, aber Gott war er nicht verborgen; er ließ den Versucher zu und machte ihn zum Erkenner seiner selbst.

       7.

      Was ist es mit der doppelten Furcht? Es gibt eine knechtische Furcht und eine keusche Furcht. Es gibt eine Furcht, damit man keine Strafe erleide, und es gibt eine andere Furcht, damit man die Gerechtigkeit nicht verliere. Die Furcht vor der Strafe ist knechtische Furcht. Was ist das Großes, Strafe zu fürchten? Das tut auch der nichtswürdigste Knecht, das tut auch der gefühlloseste Räuber. Es ist nichts Großes, die Strafe zu fürchten, aber es ist etwas Großes, die Gerechtigkeit zu lieben. Wer also die Gerechtigkeit liebt, fürchtet der nichts? Gewiß, er fürchtet, nicht, er möchte Strafe erleiden, sondern er möchte die Gerechtigkeit verlieren. Meine Brüder, glaubet und folgert daraus, was ihr liebet. Es liebt einer von euch etwa das Geld. Meinst du, ich finde einen, der es nicht liebt? Gerade aus dem aber, was er liebt, mag er verstehen, was ich sage. Er fürchtet den Verlust; warum fürchtet er den Verlust? Weil er das Geld liebt. In dem Grade als er das Geld liebt, fürchtet er auch, er möchte das Geld verlieren. Nun findet sich ein Liebhaber der Gerechtigkeit, der mehr im Herzen einen Verlust scheut, der mehr fürchtet, er möchte der Gerechtigkeit beraubt werden als du des Geldes. Das ist die keusche Furcht, diese währt für und für; diese hebt die Liebe nicht auf, noch treibt sie dieselbe aus, sondern schließt sie vielmehr in sich und wählt sie zur Begleiterin und hält sie fest. Wir kommen ja zum Herrn, um ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen; dort bewahrt uns die keusche Furcht; denn jene Furcht verwirrt nicht, sondern befestigt. Es fürchtet das ehebrecherische Weib, ihr Mann möchte kommen; es fürchtet auch das keusche Weib, ihr Mann möchte scheiden.

       8.

      Wie also nach der einen Versuchung „Gott niemand versucht“, nach der andern aber „der Herr, euer Gott, euch versucht“; und wie im Sinne der einen Furcht „keine Furcht ist in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe die Furcht austreibt“, im Sinne der andern Furcht aber „die keusche Furcht des Herrn ewig währt“, so auch an unserer Stelle: nach dem einen Gerichte „richtet der Vater niemand, sondern hat alles Gericht dem Sohne gegeben“, nach dem andern Gerichte aber sagt er: „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“.

       9.

      Auch hinsichtlich des Wortes selbst soll diese Frage gelöst werden. Du findest im Evangelium ein Strafgericht erwähnt: „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“1204, und an einer andern Stelle: „Es wird die Stunde kommen, da diejenigen, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und es werden hervorgehen, die Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes“1205. Sehet, wie er Gericht für Verdammung und Strafe gesetzt hat! Und doch, wenn Gericht immer für Verdammung genommen würde, würden wir dann wohl in den Psalmen hören: „Richte mich, o Gott“? Dort steht „Gericht“ im Sinne von Bedrängnis, hier im Sinne von Ausscheidung. Wie im Sinne von Ausscheidung? So wie es der selbst erklärt, der sagt: „Richte mich, o Gott“. Denn lies weiter und siehe, was folgt. Was heißt: „Richte mich, o Gott“? „Scheide meine Sache“, sagt er, „von dem unheiligen Volke“1206. Wie es also heißt: „Richte mich, o Gott, und scheide meine Sache von dem unheiligen Volke“, in diesem Sinne sagt jetzt Christus der Herr; „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“. Wie „ist einer, der sie sucht und richtet“? Es ist der Vater, der meine Ehre von eurer Ehre ausscheidet

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