Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Hunter S. Thompson
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Eine besondere Ironie liegt darin, das Miller mehr über Big Sur geschrieben und es mehr gepriesen hat als jeder andere Schriftsteller. 1946 verfasste er einen Essay mit dem Titel Das ist meine Antwort, der schließlich in seinem 1958 publizierten Buch Big Sur und die Orangen des Hieronymus Bosch erschien – lange nach der ersten Invasion.
»Frieden und Einsamkeit. Ich habe einen Vorgeschmack davon bekommen, sogar hier in Amerika. Wenn ich morgens auf Partington Ridge aufstand, zur Tür der Hütte ging, um sie zu öffnen, schaute ich auf die samtigen, dahinrollenden Berge, und ich war so von Zufriedenheit und Dankbarkeit ergriffen, dass sich instinktiv meine segnende Hand hob … So möchte ich den Tag beginnen … Und das ist der Grund, warum ich mich in Big Sur niedergelassen habe. Jeder Tag sollte genau so beginnen … Hier herrschen Frieden und Gelassenheit, ein Leben mit ein paar guten Nachbarn, und sonst nur wilde Tiere, edle Bäume, Bussarde, Adler; das Meer, der Himmel, die Hügel, endlose Berge …«
Doch es kam der Tag, an dem Miller aus seiner Tür herausschaute und nicht mehr nur Bäume, wilde Tiere und eine Handvoll freundlicher Nachbarn vor sich sah. An manchem Morgen würde er auf die Lobgesänge auf den Ort verzichten und stattdessen der in seinem Garten versammelten Horde von Unverbesserlichen mit der Faust drohen. Sein Fall aber war speziell; er war ein Mann, den jeder kannte. Doch auch der Rest von Big Sur leistete erbitterten Widerstand, und obwohl die Schlacht von Anfang an verloren war, kam die Dampfwalze, die man Fortschritt nennt, nur langsam voran und steckte stellenweise komplett fest.
Es gibt hier Leute, die nicht die leiseste Ahnung haben, was sonst in der Welt vor sich geht. Sie haben seit Jahren keine Zeitung mehr gelesen, hören kein Radio und bekommen vielleicht einmal im Monat, wenn sie in die Stadt fahren, ein Fernsehgerät zu Gesicht.
Es kann ein traumatisches Erlebnis sein, in Big Sur die New York Times zu lesen. Wenn man hier schon ein paar Monate verbracht hat, kommt es einem zunehmend schwierig vor, die Masse an einschüchternden und komplexen Informationen noch irgendwie ernst zu nehmen. Es genügt, auf einer Klippe zu sitzen, hoch über dem felsigen Strand, am Rande des leeren weiten Ozeans, und hinter sich die geschichteten Hügel zu spüren, an denen wie an einer großen Wand das Durcheinander von Krieg und Politik abprallt, und schon erscheint einem die Welt der New York Times so unwirklich und fremd, so vollständig gegen die Stille und die Schönheit dieser Küste gerichtet, dass man sich manchmal nur noch wundert, wie die Menschen, die diese andere Welt bewohnen, bei Verstand bleiben. Was natürlich auch nicht allen gelingt. Täglich sieht man Menschen, die den Halt verlieren. Tausende sind überdreht, weil sie zu viel Zeitung lesen, und mit unzähligen anderen ist es bergab gegangen, ohne dass es einen erkennbaren Grund gegeben hätte.
Anders in Big Sur. Bis 1947 gab es nicht einmal Elektrizität, das Telefon wurde erst 1958 eingeführt. In New York, wo man ständig Geschichten über die »Bevölkerungsexplosion« an der Westküste hört, kann man es kaum glauben, dass es einen Ort wie diesen überhaupt gibt. Verglichen mit den anderen Teilen Kaliforniens scheint Big Sur extrem primitiv zu sein. Schroffe Hügel, die im Nirgendwo verlaufen, keine Supermärkte, keine Reklametafeln, kein ins Meer ragender Kai, der bevölkert ist und auf dem Handel getrieben wird. Entlang des gesamten Küstenstreifens, der sich über hundertdreißig Kilometer erstreckt, finden sich nur fünf Tankstellen und zwei Lebensmittelläden. Auf einem Abschnitt von achtzig Kilometern gibt es keine Elektrizität. Die Menschen, die hier leben – und manche von ihnen besitzen ganze Berge und jungfräuliche Ländereien –, benutzen immer noch Gaslaternen und Coleman-Öfen.
Trotz eines aggressiven Fortschritts ist es immer noch möglich, tagelang auf diesen Hügeln umherzuwandern und nur Rehe, Wölfe, Berglöwen und Wildschweine zu sehen, sonst nichts. Teile von Big Sur sind so ursprünglich und verlassen wie damals in jenen Tagen, als Jack London auf einem Pferd von San Francisco angeritten kam. Das Haus, in dem er wohnte, existiert noch; es befindet sich oben auf einem Kamm, einige Kilometer südlich vom Postamt.
Mit ein bisschen Glück kann man immer noch ganz für sich sein; die meisten aber, die es hierher verschlägt, haben anderes im Sinn. Es sind Durchreisende – »Verwaiste« und »Wochenendausflügler«. Die Verwaisten, das sind die spirituell Heimatlosen, verlorene Seelen einer genauso komplexen wie nervenaufreibenden Gesellschaft. Ob es sich um Rechtsanwälte, Arbeiter, Beatniks oder wohlhabende Dilettanten handelt – sie alle sind auf der Suche nach einem Ort, an dem sie sich niederlassen und »zuhause fühlen« können. Einige bleiben tatsächlich in Big Sur und finden die Art von Freiheit und Entspannung, die sie bislang vergeblich gesucht haben. Die meisten aber gehen wieder – es ist für ihren Geschmack »zu langweilig« oder »zu einsam«.
Der Wochenendausflügler dagegen ist ein anderes Geschöpf. Es mag ein Kundenberater oder eine Tunte aus Hollywood sein oder ein Major der Luftwaffe in Stanford – jedenfalls hat er Geschichten von Big Sur gehört und ist hier, um Spaß zu haben. Sein weibliches Gegenstück ist ein Teilzeitmodel aus L.A. oder ein kleines gelangweiltes Rich Girl aus San Francisco. Sie kommen alleine oder in Gruppen, freitags und samstags, sind ganz außer sich vor Neugierde und zu allem bereit. Es sind genau diejenigen, die mit den Orgien anfangen – die vom Gin besoffenen Heteros und die verkappten Perversen, die der Stadt entfliehen, um Dampf abzulassen. Sie starten gewöhnlich in Nepenthe, dem sommerlichen Hauptquartier der örtlichen trinkenden Klasse, und beschließen das Ganze in den großen Römischen Badewannen in Hot Springs Lodge, fünfzehn Kilometer die Küste runter. Die Girls treffen samstags in Nepenthe ein, lassen die gesamte Bar mit einem arroganten Blick verstummen – und toben um Mitternacht in den überfüllten Wannen in Hot Springs herum, sind dabei völlig nackt und verlangen kreischend nach einer neuen Ladung Gin. Das Badehaus ist nichts weiter als ein offener Schuppen aus Beton mit Blick aufs Meer, und die Wannen sind mit heißem schwefelhaltigen Wasser gefüllt; sie bieten Platz für zehn Personen. Tagsüber starren die meisten auf die Wand, die den Männer- vom Frauenbereich trennt. Ist aber die Sonne erst einmal untergegangen, geht es in den Wannen so gemischt zu wie in einem Bordell bei einer Silvesterfeier, und oft um einiges wilder.
Das ist die glamouröse Seite von Big Sur, jene Seite, die sich gelegentlich mit dem Mythos deckt – diese Dinge aber spielen sich nicht auf den Hügeln ab, wie viele vermuten.
Der einsame Highway genügt, um einen nachdenklich zu stimmen. Er erhebt und schlängelt sich entlang der Klippen wie eine riesige Asphaltwelle, und an einigen Stellen geht es achthundert Fuß geradewegs nach unten, und man kann das Donnern der Brandung hören. Zwischen Carmel und San Simeon, wo die grünen Hänge der Berge von Santa Lucia ins Meer abfallen, ist die Küste furchteinflößend. Nepenthe ist von April bis November geöffnet und eines der schönsten Restaurants in Amerika; und Chaco, der lüsterne alte zaristische Schriftsteller, der auf seiner Terrasse »Spirituosen alle macht«, wie er sagt, ist eine so schillernde Person, wie man es sich nur wünschen kann.
Hier leben eine Menge Künstler, von denen die meisten in der Coast Gallery ausstellen, ziemlich genau in der Mitte zwischen Nepenthe und Hot Springs. Wie überall sonst auch jobben die meisten der Künstler, um Essen und Miete bezahlen zu können. Andere, wie etwa Bennet Bradbury, fahren ein neues Cadillac-Cabrio und wohnen in »angesagten« Ecken wie Coastlands oder Partington Ridge.
An jedem beliebigen Tag braucht