Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer страница 12
»Also ging die Entscheidung zur Trennung von dir aus?«
Gottwald musste wohl das Erstaunen im Ton wahrgenommen haben. »Wieso? Hat sie etwa was anderes behauptet?«, brauste er erneut auf. Diesmal hatte sich seine Gesichtsfärbung schlagartig von rot nach blau verändert. »Nur um das jetzt ein für alle Mal klarzustellen: Simone war auf dem Weg zu ihrer Mutter, als ich sie das letzte Mal sah! Was sich unterwegs oder bei den beiden in der Wohnung ereignet haben mag, kann ich nicht sagen!« Er holte tief Luft. »Ich meine, ihr kommt hierher, ich erfahre vom Tod meines einzigen Kindes und dann werde ich im selben Atemzug verdächtigt, es getötet zu haben! Ist euch klar, wie unglaublich dieses Verhalten ist?«
»Wir befragen jeden, der in den letzten Tagen Kontakt zu Simone hatte. Das richtet sich nicht gegen dich, sondern ist Routine«, erklärte Lars ruhig.
»Routine? Routine? Für euch ist der Tod von Simone schon nach so kurzer Zeit Routine?«, brauste Gottwald sofort wieder auf.
»Nein«, schaltete Sven sich ein, »nicht ihr Tod. Mord wird nie zur Routine. Die Befragung aber schon. Und der muss sich jeder stellen.«
Der Vater blasste langsam wieder ab, schnaufte aber wie eine Dampfmaschine.
»Simone hat bei unserem Treffen im letzten Monat den Zoo als Ziel festgelegt. Sie hat sich gestern darauf gefreut. Es war ein richtig schöner Tag mit Lachen und entspannter Zweisamkeit. Danach habe ich sie zu ihrer Mutter zurückgebracht. Als sie ausstieg, war sie ausgesprochen guter Dinge.«
»Es gab keine Diskussion über Geld, Wünsche, Pläne? Keinen Missklang?«, blieb Lars hartleibig am Thema.
»Nein! Sie hatte Wünsche – wie immer – und ich versprach, ein paar davon zu erfüllen. Manche waren ›Auftragswünsche‹ ihrer Mutter, das habe ich sehr wohl erkannt. Die bediene ich natürlich nicht. Simone war auf ein stylisches Outfit aus, das sie bei jemand anderem gesehen hatte. Ich versprach ihr einen Einkaufsbummel.«
»Kennst du einige ihrer Freundinnen?« Sven registrierte, wie leicht es Gottwald fiel, von seiner Tochter im Präteritum zu sprechen – vielleicht weil er schon lange in der Vergangenheit von Simone dachte? Größtmögliche innere Distanz?
»Ja. Bloß dem Namen nach. Es gab nur drei, die echte Freundinnen waren – und von denen war nur Ulla so etwas wie eine beste Freundin.« Er zog einen kleinen Notizblock aus der Sakkotasche, notierte etwas.
»Den Namen von Agnetas Psychologen bräuchten wir auch – und den von deinem Scheidungsanwalt«, meinte Lars.
Gottwald sah kurz auf, murrte unwillig, setzte zwei Zeilen hinzu und riss das oberste Blatt ab, reichte es Lars hinüber. »Simone war schwierig, da findet man nicht so leicht Kontakt.« Er hob die Arme gen Himmel und ließ sie wieder auf seine massigen Oberschenkel fallen. »Sie war mir wichtig. Für die Störungen ihrer Mutter konnte die Kleine ja nichts.« Er starrte auf seine fleischigen Hände. Schwieg. Hustete. »Agneta ist alles zuzutrauen, wenn es mir zum Schaden gereicht. Ihr solltet nicht unterschätzen, was solch eine Frau tun kann, um das Glück ihres Exmannes zu verhindern.«
»Wir haben schon verstanden. Und natürlich werden wir in alle Richtungen ermitteln«, meinte Sven und nickte ihm zum Abschied zu. »Wir finden selbst hinaus – es sei denn, die Hunde sind wieder los.«
»Die sind im Zwinger. Eigentlich laufen sie nur nachts übers Gelände«, murmelte Gottwald und sah aus, als habe er die Anwesenheit der beiden schon vergessen, noch bevor sie den Raum verlassen hatten.
Doch noch ehe sie durch die Tür getreten waren, stand er unvermittelt neben ihnen. »Dann kann ich die Unterhaltszahlungen mit sofortiger Wirkung stoppen, oder? Spricht doch nichts dagegen, dass Agneta nun für ihren Lebensunterhalt allein sorgt, nicht wahr?«, fragte er und grinste diabolisch. »Ein Kind hat sie ja jetzt nicht mehr zu betreuen!«
»Was meinst du?«
»Schwer zu sagen«, knurrte Sven düster. »Ich denke, meine Reaktion auf die Mitteilung, meine Tochter sei Opfer eines Mörders geworden, fiele deutlich anders aus. Gottwald war, hm, so unemotional.«
»Wäre ich Regisseur und hätte die Karikatur eines pädophilen Serientäters zu besetzen, würde ich Gottwald auf jeden Fall zum Casting einladen!«, spuckte Lars wütend in die kühle Morgenluft. »Ist das ein arroganter, aalglatter Kerl. ›Seht her, ich bin der tolle Gottwald Paulsson!‹«
»Simone kam nicht nach Hause, die Mutter alarmierte die Polizei. Schon bei diesem ersten Gespräch brachte sie die Möglichkeit ins Spiel, der Vater könne der Kleinen etwas angetan haben. Ist zumindest sonderbar. Sie wollte sicher sein, dass wir als erstes diese Spur verfolgen. Zu dem Zeitpunkt wusste sie nichts vom Tod ihrer Tochter. Und nun behauptet Gottwald, Agneta käme ohne weiteres selbst als Täterin infrage. Rosenkrieg der besonderen Art?«
»Es gibt keine Anzeichen oder Hinweise auf eine Vergewaltigung, erste ›Tatwaffe‹ war irgendeine beruhigende Substanz, nach der Betäubung benutzte der Täter eine Art Metallrohr. Eine Frau könnte den Mord ebenso begangen haben wie ein Mann. Simone wurde nicht entwürdigend drapiert oder ›weggeworfen‹, sondern auf eine Decke gebettet. Der Täter hat sich um das tote Kind bemüht. Sieht für mich aus, als mochte er sie. Was nicht automatisch bedeutet, dass es sich um ein Familienmitglied handeln muss! Wir beide wissen sehr genau, was manch ein Täter nach dem Mord versucht, um die Tat ungeschehen und alles wieder gutzumachen. Die Haare über ihrem Gesicht – wollte er sie nicht länger ansehen oder sollte sie ihn nicht mehr sehen? Kannst du dich noch an diesen Hugo erinnern?«
Lars nickte. »Klar. Der hat sich immer auf den ersten Blick unsterblich verliebt und wollte die Frauen dann ganz für sich allein besitzen. Das ging seiner Meinung nach nur, wenn sie willenlos waren …« Sven hatte Recht, räumte er in Gedanken ein. Sie wussten gar nichts! Alles nur Gerüchte, keine belastbaren Aussagen. Er schob energisch die Fäuste in die Hosentaschen. »Nach der Tat hat er sie in eine Decke eingewickelt, komplett, nur die Haare guckten noch raus. Weil er ihnen nicht mehr ins Gesicht sehen konnte, hatte Hugo behauptet. Schließlich hatten sie Sex miteinander gehabt, waren sich nicht mehr fremd. Ich erinnere mich genau.« Lars stockte. »Du willst darauf hinaus, dass er an dem Mädchen etwas wieder ›gutmachen‹ wollte? Mag sein, dass sie ihm nicht gleichgültig war. Er machte es ihr bequem.«
»Nun, so ganz stimmt das allerdings nicht. Er legte sie nicht ab – er hat sie regelrecht zwischen die Gitter ›gestopft‹. Dazu musste er Kraft aufwenden. An den Knien hat das zu Hautabschürfungen geführt. Liebevoll war das nicht. War doch eher Wut oder gar Hass im Spiel?«
Nach wenigen Schritten ergänzte er: »Simone hatte einen Freund. Regelmäßige sexuelle Kontakte fanden statt. Ein Geheimnis, von dem die Eltern sicher nichts ahnten. Wo haben die beiden sich getroffen? Bei ihm? Agneta ist den ganzen Tag zu Hause, da waren sie nicht unbeobachtet. Vielleicht hatte sie beschlossen, sich von ihm zu trennen – er konnte diesen Gedanken nicht ertragen, wollte sie auf keinen Fall an einen anderen verlieren. Auch das wäre schließlich ein denkbares Szenario. Wir wissen bisher nichts über das Mädchen, über ihre Vorlieben, ihre Träume, Pläne, Wünsche. Im Grunde nur, dass sie Tiere mochte. Wir sollten uns so schnell wie möglich ein Bild von ihr machen.«
»Ihre Freundin?« Lars zog