Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer
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Читать онлайн книгу Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer страница 9
»Du meinst, ob auch eine Frau den Mord begangen haben könnte? Ja! Entschlossenheit ist notwendig, eine gewisse Sportlichkeit. Ich habe vor einiger Zeit einen Fachartikel gelesen, der sich mit dem Mord an einem Jugendlichen beschäftigte, den Gleichaltrige umgebracht haben. Sie ließen ihn in den Bordstein beißen und sprangen in sein Genick.«
Lundquist schüttelte sich.
»Wie alt waren die denn?«
»Zwischen vierzehn und sechzehn.«
»Da ist noch ein Detail, das für deine Ermittlungen von Bedeutung sein könnte: Das Mädchen war erst zwölf, sagst du?«, fragte Jussi Andersson plötzlich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Sven nickte, quetschte ein »Ja, warum?« aus der Enge des Halses hervor.
»Sie hatte sexuelle Kontakte. Das Hymen ist gerissen und zwar nicht erst vor kurzem. Es gab einen Jungen in ihrem Leben!«
Der Hauptkommissar bemühte sich, diese Neuigkeit zu verarbeiten.
»Ist das üblich? Mit zwölf?«, fragte er etwas später ratlos. »Wie alt mag der Freund sein?«
»Heute probieren die Heranwachsenden früh allerhand aus. Drogen zum Beispiel. Aber eben auch sexuelles Handeln. Viele der 10-Jährigen haben Sexvideos auf ihren Handys, bei denen die Eltern heiße Ohren bekämen, könnten sie einen Blick darauf werfen.«
Er musterte den Ermittler nachdenklich. »Man hat mir erzählt, dass du auch eine Tochter hast. Wie alt ist sie denn?«
»Sechs. Und in vier Jahren hat sie ihren ersten Sex?« Svens Augen funkelten angriffslustig.
Der Rechtsmediziner beschloss, das Thema nicht zu vertiefen.
»Der Mageninhalt«, dozierte Dr. Jussi Andersson und wies auf eine Edelstahlschüssel, »ist ganz unverkennbar. Das ist praktisch nicht zu verwechseln. Pommes, Burger, Cola, ein Dessert. Vielleicht ein Softeis. Sie war also in einem Fast-Food-Restaurant. Die Mahlzeit wurde nicht mehr verdaut, was bedeutet, dass der Tod kurz nach dem Verzehr eintrat. Die genaue Analyse wird zeigen, was er ihr eingeflößt hat. Das Medikament befand sich wahrscheinlich in der Cola. Der Täter muss es vorher aufgelöst oder in flüssiger Form besessen haben, er konnte ja schlecht mit einem Holzspatel im Getränk des Mädchens herumrühren, bis die Tabletten sich aufgelöst hatten. Das dauert viel zu lang. Ist auffällig. Sie wäre eventuell misstrauisch geworden.«
»Weiße Krümel in der Cola? Nein, das geht nicht! Das würde ja sogar mir auffallen«, stimmte Lundquist zu.
»Ach, weißt du, manchmal ist das nur eine Frage der passenden Erklärung. Zum Beispiel könnte der Mörder eine Fritte hineinfallen lassen. ›Ach, wie ungeschickt von mir. Sieh mal, nun sind ein paar Krümel in der Cola, stört dich das?‹ und schon ist für das Kind alles klar.«
»Simone war zwölf«, wehrte Sven schwach ab.
»Ja, aber das muss ja nicht bedeuten, dass sie nicht manchen Menschen gern geglaubt hat, oder?«, grinste Jussi breit. »Meine Schwester war auch so. Was der Lehrer gesagt hat, war alles Quatsch, erst wenn unser Vater es bestätigte, wurde es wahr. Ihm und seinem Wissen hat sie bedingungslos vertraut. Aber, um wieder auf das Tablettenproblem zurückzukommen, einfacher wäre es, sie vorher aufzulösen – allerdings hast du dann eine milchig trübe Flüssigkeit, meist nicht homogen. Das Krümelproblem bleibt, sie sind nur kleiner.«
Während er sprach, räumte er einige Gerätschaften zur Seite und signalisierte dem Helfer, er könne damit beginnen, den Körper wieder zu schließen. Der zweite Mediziner beschriftete in der Zwischenzeit die letzten Proben, die zur Analyse vorbereitet werden sollten.
»Ansonsten war das Mädchen völlig gesund. Und da wir weder Sperma noch typische Hämatome entdeckt haben, ist sie wohl auch nicht Opfer einer Vergewaltigung geworden. Wir untersuchen das vaginale Gewebe noch gründlich auf Mikro-Einrisse und Spuren, die auf die Verwendung eines Kondoms schließen lassen.«
»Gibt es schon einen Verdächtigen?«, erkundigte er sich dann.
»Die Mutter hat ihren Ex-Mann beschuldigt. Sie ist fest davon überzeugt, dass der Vater das Mädchen missbraucht und danach umgebracht hat, um seiner geschiedenen Frau das größtmögliche Leid zuzufügen. Im Moment versuchen wir noch, ihn aufzuspüren. Sein Handy ist bedauerlicherweise ausgeschaltet.«
Svens Mobiltelefon brummte in der Tasche.
»Sven!«, rief Lars aufgeregt, »Wir haben Gottwald gefunden. Er ist jetzt bei sich zu Hause. Ich hole dich ab!«
5
Gottwalds Haus war eher eine noble Villa.
Umgeben von einer hohen Mauer wirkte das Anwesen abweisend, ja gar auf eigentümliche Art bedrohlich, so, als könnten die, die es bis hinter diese Einfriedung geschafft hatten, nie mehr in ihr bisheriges Leben zurück.
Sven schauderte.
Zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
»Es ist Sommer!«, feixte Lars.
»Klar. Ab 1. Juni geht ganz Skandinavien in kurzen Hosen und trägt T-Shirt und Flip-Flops, egal wie das Wetter wird. Es ist schließlich Sommer. Mein Körper ist nicht kalendergesteuert. Der merkt noch, wenn er friert! Und unter 10 °C mag er nur mit warmer Jacke.«
Hinter der Mauer schlugen mehrere Hunde an. Ihr Bellen und Knurren war wütend und erklärte jedem, sie würden nicht zögern, Eindringlinge zu zerfleischen.
»Hoffentlich drückt jetzt von drinnen niemand auf den Summer fürs Tor. Die klingen so, als würden sie ungeladene Gäste notfalls auch am Stück zum Frühstück fressen«, murrte Sven unbehaglich und trat einen Schritt zurück, beugte leicht die Knie, wappnete sich gegen einen Angriff.
Lars grinste. »Das Thema Hund scheint dich ja im Moment zu verfolgen!«
Unerwartet schnarrte doch noch eine menschliche Stimme aus der Gegensprechanlage, eine Überwachungskamera schwenkte sich in Position.
»Wer klingelt?«, lautete die patzige Frage.
»Kriminalpolizei Göteborg. Wir möchten zu Gottwald Paulsson.«
»Haltet eure Ausweise vor den Scanner!«, forderte die Stimme unfreundlich.
Die beiden Freunde sahen sich suchend um.
»Scanner?«
»Ich sehe auch keinen«, meinte Lars grimmig. »Da nimmt uns einer auf den Arm!«
Ein leises Rattern.
Langsam zog sich das Rollo unterhalb der Sprechanlage zurück. Tatsächlich, eine dunkle Glasscheibe.
»Legt die Ausweise auf die Fläche, einen nach dem anderen«, lautete die nächste geschnarrte Anweisung.
Nachdem der Hausherr einen Blick auf ihre Legitimation geworfen hatte, teilte die verfremdete Stimme ihnen mit, sie müssten sich noch einen Augenblick gedulden.
Kurz darauf hörten sie