Die Anfänge Roms. Harald Haarmann
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Die Regionalkultur der Lepontier gehört zu den ältesten Gruppierungen der Festlandkelten mit Eigengepräge. Ihre formative Periode steht im Zusammenhang mit der eisenzeitlichen Golasecca-Kultur des 7. Jahrhunderts v. Chr. Vermutlich zeitlich vor der Ausgliederung der keltischen Sprachen bildete sich in der lepontischen Kultur ein goidelischer (gälischer) und ein britannischer Zweig aus (Cunliffe 1997: 23).
Kelten aus der Region nördlich der Alpen sind um 400 v. Chr. in einer Migrationswelle nach Norditalien vorgedrungen und haben sich im Tal des Po niedergelassen (Galli cisalpini). Damals existierte die Regionalkultur der sprachlich verwandten Lepontier bereits im Alpenvorland (im Gebiet des Lago Maggiore, des Luganer Sees und des Comer Sees). Der Name dieser Region – Alpi Lepontine (»Lepontiner Alpen«) – erinnert bis heute an die vorrömische Bevölkerung.
Schon früh standen die Lepontier im Kontakt mit den anderen Populationen in Norditalien. Die Kontakte mit den Etruskern, die ihren Einflussbereich militärisch, wirtschaftlich wie auch kulturell über Etrurien hinaus nach Norden erweiterten, waren zunächst konfliktbeladen. Hinweise darauf findet man in einer Grabstele aus Bologna, auf der ein etruskischer Reiter im Kampf mit einem keltischen Krieger abgebildet ist.
Langfristig jedoch waren die Beziehungen zwischen Etruskern und Lepontiern friedlicher Natur und sie betrieben Handel miteinander. Die Schriftlichkeit gelangte zu den Lepontiern über etruskische Vermittlung (s. Kap. 3). Das Lepontische ist als Schriftsprache fast ebenso alt wie das Lateinische. Frühe Inschriften werden ins 6. Jahrhundert v. Chr. datiert.
Die Römer wurden auf die Lepontier im Zusammenhang mit der Ausdehnung des römischen Machtbereichs in das keltische Siedlungsgebiet (im Alpenvorland und in Gallien) aufmerksam. Erste Erwähnung finden die Lepontier in Julius Caesars De bello gallico (IV, 10, 3). Im letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende haben sich die Lepontier verstärkt akkulturiert, haben römische Lebensweise angenommen und sich ans Lateinische assimiliert.
Als im ausgehenden 8. Jahrhundert v. Chr. die griechische Kolonisation in Sizilien begann, trafen die Griechen dort auf eine vorgriechische Bevölkerung, die sie Elymoi (Elymer) nannten. Die Elymer siedelten im Nordwesten der Insel. Griechische Historiographen wie Thukydides (5. Jahrhundert v. Chr.) nahmen an, die Elymer seien trojanischer Abstammung, und sie wären als Gefolgsleute von Aeneas nach Westen gezogen, auf der Suche nach neuen Wohnsitzen. Die Griechen in den Kolonien an der Ostküste Siziliens trieben seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. Handel mit den Elymern. In jener Zeit übernahmen die Elymer auch die griechische Schrift zur Schreibung ihrer eigenen Sprache (s. Kap. 3). Das sprachliche Material (Textfragmente auf Keramik und wenige Münzlegenden) ist allerdings so spärlich, dass eine eindeutige Identifizierung des Elymischen als indoeuropäisch nicht gesichert ist. Vielleicht gehört das Elymische zum Kreis der nicht-indoeuropäischen (altmediterranen) Sprachen Italiens.
Schon im Verlauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurden die Elymer hellenisiert und gaben ihre eigene Sprache zugunsten des Griechischen auf. In einer sekundären Akkulturationsphase wurden sie romanisiert.
Nicht-indoeuropäische Völker und Sprachen in den Randgebieten
Die nicht-indoeuropäischen Regionalkulturen, deren Angehörige sich während der Antike an römische Lebensweise akkulturierten und sich sprachlich ans Lateinische assimilierten, waren sämtlich an den Peripherien Italiens verbreitet. Dies waren Restkulturen der einst weit verbreiteten altmediterranen Populationen, die von den bevölkerungsstarken italischen Gruppen marginalisiert worden waren.
In den norditalienischen Alpen datieren die frühesten Spuren menschlicher Präsenz ins 7. Jahrtausend v. Chr. Dabei handelt es sich um Felsbilder aus der Tallandschaft von Valcamonica (Provinz Brescia). Eine kontinuierliche Besiedlung der Alpentäler reicht bis ins 6. Jahrtausend v. Chr. zurück. Die Bergbewohner, die ihre Felsbildkunst über Jahrtausende tradiert haben, wurden von den Römern Camunni genannt. Zwar gibt es keine Berichte über die Geschichte der Camuner bei antiken Autoren, die Entwicklung der Siedlungsgemeinschaften in den Alpentälern scheint aber in den Felsbildern auf, die seit den 1960er-Jahren erforscht worden sind. Dies sind in Felswände und auf die Oberfläche von Felsblöcken eingravierte Bilder, deren Motive sich in vielerlei Kompositionen formieren, mit narrativen Szenen aus dem Leben und der religiösen Vorstellungswelt der Alpenbewohner.
Die Darstellungen reichen von Jagdszenen über Ackerbau und Viehhaltung bis zur Organisation dörflicher Gemeinwesen. Der Motivschatz ist reichhaltig. Es herrschen figürliche Motive vor, zusätzlich aber treten auch verschiedene abstrakte Symbole auf.
Bis über die Antike hinaus entstanden hier Felsbilder, doch während des Mittelalters erlosch diese Tradition des Kulturschaffens bei den Alpenbewohnern, die damals bereits ihre eigene Sprache aufgegeben hatten und eine lokale Variante des Frühromanischen (italienischer Prägung) sprachen. Unter den Bildkompositionen gibt es auch einige Inschriften, die in einer Variante des etruskischen Alphabets geschrieben wurden (s. Kap. 3).
Die Camuner sind wohl Nachkommen der einheimischen alteuropäischen Bevölkerungen, die ähnlich wie die Räter (s. u.) nicht von den indoeuropäischen Migranten assimiliert worden waren. Einige Forscher vermuten, dass das Camunische und das Rätische verwandte Sprachen sind. Das Material der camunischen Inschriften ist allerdings so spärlich, dass eindeutige Aussagen über eine ethnische Verwandtschaft der beiden Populationen oder über eine engere Zugehörigkeit von deren Sprachen nicht möglich sind.
Die Räter (lat. Raeti) bewohnten eine Region auf beiden Seiten der Alpen, von Graubünden bis nach Südtirol und ins südliche Bayern. In antiken Quellen ist davon die Rede, die Räter hätten ursprünglich auch in der norditalienischen Tiefebene gesiedelt und wären von dort von den Galliern vertrieben worden. Für eine historische Präsenz der Räter in der Poebene gibt es jedoch keine archäologischen Hinweise. Im Kernland der Räter (in den italienischen Provinzen Trento und Bozen/Bolzano) hat sich die Erinnerung an die Räter im Namen der »Rätischen Alpen« erhalten.
Römische Autoren wie Livius (V, 33) und Plinius (NH III, 133) betrachteten die Räter als stammverwandt mit den Etruskern. Dafür hat die moderne Forschung allerdings ebenfalls keine eindeutigen Beweise ermitteln können. So wird zwar auf bestimmte lexikalische und morphologische Parallelen im Rätischen und Etruskischen hingewiesen (z. B. rät. tenace: etrusk. zinace, rät. sfuras: etrusk. spuras, rät. klan: etrusk. clan), dabei kann es sich auch ohne Weiteres um Einflüsse des Etruskischen auf das Rätische handeln, nicht aber um eine genealogische Verwandtschaft (Rix 1998). Das Etruskische hat dem Rätischen auch die Schriftlichkeit vermittelt (s. Kap. 3).
Anhand des inschriftlich überlieferten Sprachmaterials lässt sich das Rätische als eine nicht-indoeuropäische Sprache identifizieren. Die Räter sind wohl nicht eingewandert, sondern die Nachkommen der einheimischen