An neuen Orten. Rainer Bucher
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Wohin die Kasualien die Kasualienfrommen führen, das wäre weiter zu erforschen und vor allem noch näher theologisch zu analysieren. Das alte Thema der Tradition jedenfalls, wie sich im christlichen Leben Weltaffirmation und Weltdistanz, wie sich Normalität und Exzentrizität, wie sich selbstgewisse (kirchliche) communio und kritische Selbstrelativierung etwa vor dem Anspruch des eschatologischen Gerichts63 zueinander verhalten, wäre dabei neu und im Blick auf die konkrete Funktion der Kasualien für die Kasualienfrommen zu bedenken.
3.3 Das Sprachproblem: Das „beredte Beschweigen“
Die vorliegende Studie dokumentiert nun aber nicht nur von der Subjektseite her, wie weit sich die Einzelnen zum einen der früher wirksamen Bindekraft kirchlicher Institutionen entzogen und zum anderen ihre eigene Interpretation kirchlichen Handelns in Wort und Tat geschaffen haben, sondern ermöglicht auch einen schlaglichtartigen Einblick in die aktuellen Strategien des Umgangs des pastoralen Personals mit diesen Phänomenen. Dabei zeigt sich Zweierlei. Einerseits gilt:
Viele IP sind über die gegenwärtigen Erfahrungen mit der Kirche positiv überrascht. Sie sind dem Bild von Kirche gegenläufig, das sie von Kindheit und Jugend her kannten.64
Die „schrittweise Distanzierung von Kirche, die viele als Befreiung aus ehemals erfahrenen Zwängen erleben“65, führt im Augenblick der Wiederbegegnung zur Erfahrung der Differenz zwischen verlassener und (punktuell) wiedergefundener Kirche, zumindest auf der konkreten Erfahrungsebene. Statt Strenge und Formalismus findet man Zugänglichkeit, „Modernität“ und Unaufdringlichkeit: kommunikative Werte also, die frühere Ohnmachts- und Repressionserfahrungen im Raum der Kirche positiv kontrastieren.
Dieser kommunikativen Sensibilität steht andererseits eine bemerkenswerte inhaltliche Sprachlosigkeit gegenüber.
Der Wandel im Verständnis der Kirche wurde in den Vorbereitungsgesprächen zur Kasualfeier mit dem jeweiligen kirchlichen Hauptamtlichen nicht thematisiert. Obwohl mit dem Pfarrer beziehungsweise Pastoralreferenten stets ein persönliches Treffen vereinbart wurde, führte der anscheinend weitgehend ‚ritualisierte‘ Charakter der Begegnung dazu, dass diese biographische Ebene der IP nicht zur Sprache kam. Die Schilderungen der Vorbereitungsgespräche zeigen, dass die Beteiligten mit sehr unterschiedlichen Interessen in das Gespräch hineingingen. Während die IP häufig kaum Erwartungen mitbrachten … richtete sich das Interesse der kirchlichen Hauptamtlichen vor allem darauf, den Ablauf der Feier zu besprechen.66
Geradezu tragikomische Züge nimmt diese Sprachlosigkeit an, wenn Först berichtet, dass die aktivierenden Angebote der Hauptamtlichen an die Kasualienfrommen, „eigene Gestaltungsmomente in den Gottesdienst einzubringen, von den IP nicht verstanden“ wurden, insofern es nach deren Auffassung doch den Hauptamtlichen als den „Experten“ obliege, „die kirchliche Feier ‚sachgemäß‘ zu gestalten“.67
Es ist also bei aller kommunikativen Sensibilität eine doppelte Sprachlosigkeit bei den pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu beobachten. Diese Sprachlosigkeit bezieht sich auf die Rekonstruktion der religiösen Situation der Kasualienfrommen, die offenbar in den Vorbereitungsgesprächen zu den Feiern „beredt beschwiegen“ wird. Sie gilt aber offenkundig auch für die Theologie des anstehenden rituellen Vollzugs selber, die ebenfalls nicht wirklich thematisiert wird. Die letztlich schwindelerregend instabile Basis des gemeinsam vollzogenen Ritus ist das Beschweigen der – zumindest von Seiten der Hauptamtlichen nur zu gut erahnten – Differenz im Verständnis dessen, was man gemeinsam zu tun beabsichtigt. Was bleibt ist die Konzentration auf den korrekten und störungsfreien Ablauf der Feier.
Es ist deutlich, dass sich diese beiden Sprachlosigkeiten bedingen. Weil man nicht sieht, wie das von der offiziellen Lehre abweichende Verständnis der Kasualien bei den Kasualienfrommen mit dem kirchlichen Verständnis in Einklang zu bringen sein soll, thematisiert man es nicht, um diese Differenz nicht bearbeiten zu müssen. Die klassische Bearbeitungsart dieser Differenz, autoritäre Einforderung bei Sanktionsandrohung, ist in Zeiten schwindender Sanktionsmacht ebenso unmöglich geworden wie die neue Bearbeitungsart im gemeindetheologischen Kirchenszenario. Hier wären einigermaßen kontinuierliche gemeinsame Kommunikationsprozesse in Familienkreisen und/oder Vorbereitungsgruppen das (tatsächlich ja bisweilen eindrucksvolle Erfolge erzielende) Mittel der Wahl, um ein gemeinsames Verständnis der anstehenden Kasualfeier zu erarbeiten und gar in eigenständige liturgische Gestaltungsbeiträge umzusetzen.
Doch genau dieser Gemeindeintegration entziehen sich die Kasualienfrommen. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang wieder einmal, dass die gemeindetheologisch akzentuierte Pastoral, bei aller kommunikativen Sensibilität, Anstrengung und Anspannung, ebensowenig in der Lage ist, mit Differenzen jenseits des eigenen Sozialraumes produktiv umzugehen, wie das alte geschlossene und kommunikativ autoritäre katholische Milieu.
Der mit dieser Studie eröffnete punktuelle, wahrscheinlich aber repräsentative Einblick in die aktuellen Strategien des Umgangs des pastoralen Personals mit dem Phänomen der Kasualienfrommen offenbart, dass sowohl die Kasualienfrommen selber in ihrer individuellen Differenz zu den „Kirchenfrommen“ wie auch der theologische Gehalt des anstehenden Ritus weitgehend nur in der Weise des Nicht-Thematisierten, des Ausgeschlossenen in den diversen Vorbereitungsgesprächen präsent sind. Dieser weitgehende Ausschluss des eigentlich Unvermeidbaren – der personalen Differenz wie des sachlichen Gehalts dessen, worum es geht – schreibt sich dem Diskurs natürlich ein, schließlich braucht dieser Ausschluss Energie und Strategie. Diese Beobachtungen, letztlich Ausfaltungen der Unbekanntheitsthese, dramatisieren nicht wenig die Beobachtungen zur Mehrheits- und Frömmigkeitsthese.
Solche Sprachlosigkeit ist aber ein unabweisbares Zeichen. Man darf es weder übersehen noch ihm ausweichen. Diese Sprachlosigkeit ist vielmehr der Ort, an dem die neue Sprache gefunden werden kann, weil man an ihm erfährt, dass und warum die alte versagt. Das Versagen der alten Sprache zeigt sich dabei wohl mehr noch als ein pragmatisches, denn als ein hermeneutisches Problem. Denn worum es in den Kasualien geht, das ist den Kasualienfrommen wohl noch verstehbar zu machen. Aber was diese kirchlichen Riten für sie bedeuten, welchen Wahrheitswert sie besitzen und welche Konsequenzen, das definieren sie selber und offenbar durchaus in einer für die christliche Tradition nicht einfach zu akzeptierenden Weise.
Der kirchliche Referenz- und Bedeutungsraum, der für die Kirchenfrommen den Zusammenhang von Sinn und Bedeutung mehr oder weniger festlegt und sichert, fällt bei den Kasualienfrommen aus und kann eben auch nicht einfach wiederhergestellt werden. Man sollte es daher auch gar nicht versuchen, so sehr man diesen kirchlichen Raum natürlich auch den Kasualienfrommen stets anbieten muss. Aber es braucht nun andere Orte und Mechanismen, um nicht nur den Sinn der Kasualien zu vermitteln, sondern auch ihre Bedeutung für diese Menschen entwickeln zu können. Diese Bedeutung aber ist eben nicht beliebig, sondern vom Gehalt der jeweiligen Riten abhängig.
4 Resümee
Die Studie von Först/Kügler hilft, das Neue im neuen Phänomen der Kasualienfrommen als unbekannte Mehrheit der Kirche nicht zu übersehen und dieses Neue nicht in Beschwichtigungs- oder Ausgrenzungsdiskursen zu verstecken. Will man nicht einfach die Strategie fahren, möglichst viele Kasualienfromme wieder zu Kirchenfrommen zu machen, was aus kirchlicher Sicht vielleicht wünschenswert, aber kaum realistisch wäre, muss man das Neue wahrnehmen, das die Kasualienfrommen repräsentieren, und die Sprachlosigkeit erst einmal akzeptieren, welche die kirchliche Pastoral ihnen gegenüber an den Tag legt.
Das Neue für die katholische Pastoral könnte etwa in der Erkenntnis bestehen, dass die alte kirchlich-sozialräumliche Sicherung spezifischer unverzichtbarer Zusammenhänge (allgemeiner Sinn