An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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extern ist es mit der Kirchengliedschaft nicht so eindeutig. Schließlich sind, wie das Konzil in Lumen gentium 13 sagt, nicht nur „alle Menschen“ zur „katholischen Einheit des Gottesvolkes berufen“, sondern „gehören“, wenn auch „auf verschiedene Weise“, zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes oder „sind ihr zugeordnet“: so etwa zuvorderst „die anderen an Christus Glaubenden“, aber schließlich auch „alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind“.

      Die dogmatische Lage ist also ein wenig unübersichtlich, wenn auch auf der Basis der Lehre vom universalen Heilswillen Gottes weit und offen. Diese Lehre ist sicher im Weiteren stets zu beachten. Aber ihre Vermittlung mit der institutionellen Realität und den daraus folgenden Handlungsnotwendigkeiten von Kirche wie auch mit der Sakramentalität der Taufe scheint – vorsichtig gesprochen – nicht ganz einfach.

      4 Das pastoraltheologische Problem: Das Neue

      Der Blick auf Kirchenrecht und Dogmatik zeigt, dass die vorherrschenden Reaktionsmechanismen auf das Phänomen Kirchenaustritt – pastoraltheologisch gesehen – nicht recht weiterführen. Unmittelbar deutlich ist dies beim kirchenrechtlichen Diskurs. Er führt sich selbst in die Aporie, wenn er als Strafe für den bürgerlichen Kirchenaustritt de facto eben dies ansetzt: die Aufkündigung der vollen Kirchengemeinschaft. Das gleicht dem Bestrafen eines Vergehens mit einer Variante seiner selbst. Dass dieses Modell deutlich noch von einer realen, gesellschaftsweit durchsetzungsmächtigen Hoheit der Kirche ausgeht und damit in der bürgerlichen Gesellschaft faktisch unwirksam geworden ist, hat auch das Kirchenrecht bemerkt und verweist daher auf die „pastorale Sorge“.75

      Der dogmatische Zugang zum Phänomen der Ausgetretenen scheint mit der Lehre vom bleibenden Charakter der Taufe aussichtsreichere pastoraltheologische Perspektiven zu eröffnen. Udo Schmälzle betitelt denn auch seine Überlegungen zu den pastoralen Herausforderungen des Kirchenaustritts mit „Die Steuergemeinschaft endet. Die Heilsgemeinschaft bleibt!“76 und spricht völlig zu Recht davon, dass die „durch das Sakrament gestiftete Heilsgemeinschaft“ durch „einen Kirchenaustritt nicht zerstört“77 werde. Freilich stellt die Österreichische Theologische Kommission ganz realistisch auch fest, dass in

      der Seelsorge … damit zu rechnen (ist), daß der Anspruch der Kirche auf Verbindlichkeit und definitive Zugehörigkeit von vielen ihrer Mitglieder nicht übernommen, ja nicht einmal verstanden wird. Der Kirchenaustritt wird von vielen anders beurteilt, als dies in kirchenamtlichen Texten geschieht.78

      Das kommt dem Eingeständnis gleich, über den eigenen Diskursraum nicht wirklich hinauszukommen. Dabei geht es ja gerade um ein Phänomen, das wesentlich außerhalb dieses Diskursraums liegt. Mag der tauftheologische Zugang zur Problematik der Ausgetretenen in vieler Hinsicht sympathisch sein, vor allem, weil er sich jeglicher Denunziation der Ausgetretenen enthält und die bleibende Heilsgemeinschaft betont, so steckt auch er formal und pastoral in einer Aporie: Er begreift die Ausgetretenen unter einer Sinnperspektive, welche diese selbst ausdrücklich ablehnen und gegen die sie ihren Schritt gesetzt haben.

      Hatte das Kirchenrecht die Ausgetretenen bestraft und exkommuniziert, so reintegriert sie die dogmatische Tauftheologie. Das Kirchenrecht nimmt den bürgerlichen Kirchenaustritt ernst und bestraft ihn mit – innerkirchlichen, also unwirksamen – Sanktionen. Die Tauftheologie bestraft nicht und eröffnet eine bleibende Gemeinsamkeit jenseits der institutionellen Desintegration, aber gerade diese Gemeinschaft ist es ja, welche von den Ausgetretenen nicht mehr gewollt ist. Das Kirchenrecht bestraft die Tat mit ihr selber, die Dogmatik sagt, dass sie in einem tieferen Sinn eigentlich gar nicht stattgefunden hat.

      Freilich: Diese Aporie zeigt sich nur unter pastoraler Perspektive, das heißt: wenn Kirche konkret handelnd versucht, mit Ausgetretenen tatsächlich in Kontakt zu kommen, also nicht über sie, sondern mit ihnen zu reden. Dann aber wird klar: Weder die kirchenrechtliche Qualifikation der Ausgetretenen als Straftäter noch die tauftheologische Wahrheit „Ihr gehört weiter zu uns“ sind für sich genommen hinreichende Konzepte des Umgangs mit Ausgetretenen. Die Aporie des kirchenrechtlichen Zugangs liegt in seinem Versuch, den Kommunikationsabbruch mit Kommunikationsabbruch zu bestrafen, jene des dogmatischen Zugangs darin, den Kommunikationsabbruch als nicht wirklich geschehen zu kommunizieren. Beides aber eröffnet keine neue Kommunikationsbasis.

      Dazu wäre es notwendig, den anderen nicht nur von sich her, sondern auch sich von den anderen her zu sehen. Ohne diese Fähigkeit zur Reversibilität des Blicks und zur wirklichen Relationalität aber ist personale wie institutionelle Existenz in der Pluralität der späten Moderne überhaupt nicht mehr möglich. Und genau das zeigt sich im Umgang mit Ausgetretenen.

      Vielleicht gibt es im bisher Gefundenen eine Ausnahme: die Lehre vom universalen Heilswillen Gottes. Immerhin hält sie fest, dass auch die Ausgetretenen eine bleibende Aufgabe für die Kirche darstellen. Sie gehören, wie alle Menschen, Getaufte und Ungetaufte, zum Erlösungshorizont des Heilswillens Gottes und sind damit ein Thema und ein Problem für das Volk dieses Gottes. Aber welches?

      5 Die geistliche Herausforderung

      Meine These hierzu lautet: Sie sagen der Kirche Neues über sich selbst und sind darin eine geistliche Herausforderung. Denn es fordert von ihr, ihre alte pastorale Aufgabe neu zu lösen, ohne schon genau zu wissen, wie es geht.

      Die Austrittszahlen sprechen davon, dass die Kirche offenkundig nicht ausreichend Erfahrungsorte schaffen kann, an denen sich die Existenzbedeutsamkeit des Glaubens und der religiöse Sinn der menschlichen Existenz eröffnen. Nachdem der Kirche die alte soziale Codierung des Glaubens, die diesen Zusammenhang volkskirchlich darstellen konnte, abhanden gekommen ist, ist die Kirche auf konkrete neue Erfahrungsorte des Zusammenhangs von Glaube und Existenz angewiesen – und hat offenkundig zu wenige davon.

      Die geistliche Herausforderung liegt konkret im Test auf die Fähigkeit der Kirche, sich nicht aus sozialen Mechanismen der Macht, sondern in der Ohnmacht des Glaubens, in der Demut von Gottes- und Nächstenliebe, in der Erfahrung der Hingabe an die Botschaft vom Angenommensein durch Gott und in nichts anderem zu konstituieren. Sie liegt im Zurückgeworfensein auf ihre Substanz, auf ihren Glauben an die Wahrheit ihrer Botschaft, im Zurückgeworfensein auf deren Kraft und Wahrheit im Leben des Volkes Gottes.

      Wenn Kirchenaustritt geschieht, weil im Empfinden der Austretenden Aufwand und Gratifikation nicht länger im Einklang stehen, dann kann gerade im Selbstverständnis der Kirche diese Gratifikation nur in der Substanz des Glaubens selbst liegen. Denn die Kirche ist ihrem Auftrag verpflichtet und nichts anderem. Sie muss in ihrem Tun auf diesen Auftrag vertrauen, auf seinen Sinn und seine Bedeutung auch heute. Sie darf auf nichts anderes ihre Hoffnung setzen.

      Dieser Auftrag allerdings, die Verkündigung des Gottes Jesu in Wort und Tat, kann nicht Indoktrination bedeuten, sondern, will er Jesus treu bleiben, nur die Eröffnung neuer Horizonte. Es geht in der Verkündigung des Glaubens nicht um Formeln eines Lebens mit Gott, sondern um das Leben im Horizont Gottes selber. Es geht auch nicht um die Kirche überhaupt, sondern um die Kirche als Trägerin der Botschaft von diesem Gott und als sozialem Ort der Erfahrung eines Lebens aus dieser Botschaft.

      Die geistliche Herausforderung der Kirchenaustritte liegt also in der Herausforderung zur Wahrheit und Ehrlichkeit der Kirche über sich und über ihre Fähigkeit, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden, also zu leben. Kirchliche Praxis meint hier das Leben in der säkularen Bedeutsamkeit des Glaubens und aus dem religiösen Sinn der menschlichen Existenz. Sie meint das Leben im weiten Horizont jenes Gottes, den Jesus verkündet hat, meint Hingabe an den Nächsten, und sei er Sünder, meint also Nachfolge Jesu. Personal gewandt aber heißt das: Die geistliche Herausforderung der Kirchenaustritte liegt in der Frage nach dem Status unserer Kirchenmitgliedschaft. Denn das hatte das Konzil unmissverständlich geklärt: Unsere eigene Kirchenmitgliedschaft

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