An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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der eigenen Existenz als von Gott gewollte und Kritik dieser Existenz in ihren Schwächen und Sünden) mit dem Auftauchen der „unbekannten Mehrheit“ so nicht mehr existiert, jedenfalls nicht mehr für viele Mitglieder der Kirche, und auch, dass sie für die meisten von ihnen auch nicht wiederhergestellt werden kann.

      Die Kirche hat auf diese Situation pastoral zu reagieren. Das bedeutet nicht Nachgiebigkeit und „unverbindliche Freundlichkeit“. Denn Pastoral ist nicht die etwas gnädigere Handlungsvariante des strengeren systematischen Diskurses, sondern die kreative und handlungsbezogene Konfrontation von Evangelium und Existenz, eines Evangeliums, das von Jesus aus für alle Menschen gilt und das Heil aller will.

      Das spricht für eine Individualisierung der Sakramentenpastoral, nicht im Sinne des früheren Heilsegoismus oder einer gemeinschaftsabwehrenden Privatfrömmigkeit, sondern im Sinne einer Konzentration auf die Bedeutung einer gewünschten kirchlichen Ritualhandlung im je individuellen Leben.

      Im Zentrum aller Sakramentenpastoral hat das konkrete Verhältnis von Individuum und dem Gehalt der Kasualie zu stehen. Es ist in jedem einzelnen Fall neu über Sinn und vor allem Bedeutung des jeweiligen Sakraments, der jeweiligen Sakramentalie im Leben des je individuellen Kasualienfrommen nachzudenken. Für jene, die das dann tun müssten, die Priester und hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, könnte das zur Chance werden, den Reichtum der Sakramente in den vielen Leben der Menschen heute zu entdecken.

      ES GEHT UM ETWAS NEUES

      Die pastoraltheologische Herausforderung der Kirchenaustritte

      1 Die Situation und ihre Versuchungen

      Die Transformation der Kirche von einer Zwangs- in eine Freiwilligengemeinschaft unterstellt die Kirchenmitgliedschaft dem Kosten-Nutzen-Kalkül des Einzelnen. Religion vergesellschaftet sich zunehmend marktförmig, also unter Kundenentscheidung. Für niemanden aber ist es leicht zu akzeptieren, dass man nichts mehr von ihm wissen will. Da unterscheiden sich Institutionen nicht allzu sehr von Personen: Beide sind gekränkt. Deshalb gleichen sich auch die Reaktionsmuster, mit dieser Kränkung umzugehen.

      Einige davon sind Versuchungen, denn sie halten nicht, was sie versprechen. Man kann etwa mit depressiver Passivität reagieren: die irgendwie einfachste Möglichkeit. Man kann die Ausgetretenen als „Abgesprungene“ und „Abtrünnige“ denunzieren, bekanntlich war das die dominante Strategie der Kirche bis vor kurzem, und solange die Kirche sozialmoralisches und transzendentes Drohpotential besaß, konnte man sich das auch leisten. Man kann aber auch in betriebsamen Aktivismus flüchten und auf Kränkungslinderung durch betäubende Selbstbeschäftigung hoffen. All diese Strategien sind sozialpsychologisch verständlich, aber theologisch doch ein wenig unreflektiert, denn sie orientieren sich primär am Kränkungspotential der Austrittszahlen. Zudem nutzen sie offenkundig relativ wenig.

      Weiterführender dürfte es sein, erst einmal herauszufinden, was denn das Neue an der aktuellen Kirchenaustrittslage ist und welches prophetische Potential sie besitzt.68 Interessanterweise hilft da der Blick auf jene theologieinternen Diskurse, die sich bislang dominant mit dem „Kirchenaustritt“ beschäftigen, weiter.

      2 Das Kirchenrecht: „Du bist draußen“

      Die zugegebenermaßen maliziösen pastoraltheologischen Vermutungen, dass das Spannendste am Kirchenrecht sei, was nicht drin steht, und es zudem eher selten pastoral weiterführende Handlungshilfen bereitstellt, kann man beim Thema „Kirchenaustritt“ unmittelbar verifizieren. Denn der Kirchenaustritt, der ja den liberalen, religionsneutralen Staat voraussetzt, kommt im CIC explizit nicht vor.

      Natürlich sind damit die kirchenrechtlichen Kollegen und Kolleginnen nicht sprach- und hilflos gegenüber dem Phänomen der Kirchenaustritte: Es entspannt sich denn auch seit einiger Zeit eine rege Diskussion,69 ob, und wenn ja, unter welche Canones der Tatbestand der Kirchenaustrittserklärung im liberalen Staat fällt. Konkret heißt dies, inwiefern der vor dem Staat erklärte Kirchenaustritt die Delikte der Häresie, der Apostasie und des Schismas erfüllt, welche die automatische Exkommunikation nach sich ziehen, oder ob etwa der Entzug des Kirchenbeitrags die jedem Gläubigen aufgetragene Solidaritätspflicht gegenüber der Kirche verletzt. Ein Römisches Schreiben70 hat diese Diskussion 2006 neu belebt.

      In der 3. Auflage des LThK (1996) etwa schreibt Joseph Listl noch mit einiger Eindeutigkeit:

      Der Kirchenaustritt ist stets eine gegen die Einheit der Kirche gerichtete Straftat (Schisma; Trennung von der kirchlichen Einheit); je nach der Willensrichtung der Erklärung kann Kirchenaustritt auch Apostasie (Glaubensabfall; z. B. bei Übertritt zu einer anderen nichtchristlichen Religion) oder Häresie (Irrglaube, bei Übertritt zu einer anderen christlichen Konfession) sein. Wer den Kirchenaustritt erklärt hat, zieht sich die gem. c. 1364 § 1 CIC von selbst eintretende Kirchenstrafe der Exkommunikation zu.71

      Aber es finden sich auch andere Stimmen. So kommt eine Stellungnahme der „Österreichischen Theologischen Kommission“ zum Thema „Kirchenzugehörigkeit und Kirchenbeitrag“ aus dem Jahr 1996 zu dem ambivalenten Ergebnis, es müsse

      im Blick auf die Rechtsfolgen festgehalten werden, daß der Kirchenaustritt bis zum Ausschluß vom sakramentalen Leben (insbesondere bezüglich Eucharistie, Buße und Krankensalbung) führen kann, aber nicht muß.72

      Natürlich steht hinter dieser Diskussion die berechtigte Angst, ein möglicher (formaler) Kirchenaustritt vor dem säkularen Staat ohne spürbare innerkirchliche Rechtsfolgen untergrabe die Finanzierungsbasis der Kirche in Deutschland und Österreich. Denn wenn sich zuerst die rechtliche Realität und dann die Einsicht verbreiten würden, dass man durch Austritt die Kirchensteuer/den Kirchenbeitrag sparen und dennoch mit praktisch allen Rechten in der Kirche bleiben kann, dann würde dies die Finanzen der Kirche in Deutschland und Österreich überaus nachhaltig erodieren lassen. Die ebenso prompte wie die bisherige Rechtslage aufrecht erhaltende Reaktion der deutschen und österreichischen Bischöfe auf römische und/oder kanonistische Infragestellungen eben dieser Rechtslage73 ist daher ausgesprochen verständlich, verfestigt aber jene kirchenrechtliche Position, die als Reaktion auf den Kirchenaustritt den Ausgetretenen vor allem sagt, dass sie „draußen“ sind.

      3 Die Dogmatik: „Du kannst nicht gehen“

      Es findet sich in der Theologie noch ein zweiter Diskurs zum Thema „Kirchenaustritt“. Die Dogmatik verhandelt das Problem der Ausgetretenen als Frage ihrer „Kirchengliedschaft“. Leitmotiv ist dabei stets, was die bereits erwähnte Stellungnahme der Österreichischen Theologischen Kommission so formuliert:

      Der Ausgetretene bleibt unaufhebbar ein Getaufter (und Gefirmter), bleibt durch Taufe unwiderruflich in die „Communio“ Kirche, in die Christus- und Christengemeinschaft Kirche, eingefügt. Das „unauslöschliche Merkmal“ steht für die Treue Gottes, der dem Täufling Christuszugehörigkeit in der Kraft des Geistes so gewährt, daß sie vom Getauften her nicht ausgelöscht werden kann.74

      Die Ausgetretenen, so die Dogmatik, sind das gar nicht wirklich: ausgetreten, sie sind vielmehr „nur“ Kirchenmitglieder, die einen spezifischen Akt des Ungehorsams gegenüber der kirchlichen Institution gesetzt haben und ihre praktische Partizipation am kirchlichen Leben (meistens) einstellen. Es kommt damit in der dogmatischen Reflexion etwas in den Blick, das weder im religionssoziologischen noch im kirchenrechtlichen Diskurs auftauchte: eine spezifische Relativierung des Institutionellen im Problem der Kirchenmitgliedschaft. Dies gelingt dadurch, dass die Kirche als corpus permixtum unterschiedlicher „Wirklichkeiten“ gesehen wird, von denen ihre Institutionalität nur eine, wenn auch, gerade in der katholischen

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